Stallo hat geschrieben:In der aktuellen WOZ hat Pascale Claude wieder mal nicht knapp daneben, sondern direkt ins Schwarze getroffen. Der Artikel zur Gamma-Abstimmung lautet "Heute brüllen, morgen schlagen?". Kaufen. lesen. Gut!
Die Kolumne konnte ich leider nicht in elektronischer Form finden, hier aber der Leitartikel von P. Claude dazu:
WOZ vom 10.09.2009 hat geschrieben:Das Gamma-Game:
Eine Sportfan-Datenbank soll aus Zürcher PolizistInnen ProphetInnen machen
In Zürich soll die Datenbank Gamma Sportfans erfassen, von denen man glaubt, sie könnten in Zukunft gewalttätig werden. Dafür kämpfen BefürworterInnen und Polizei mit unlauteren Mitteln. Wer brüllt, boxt wohl.
Es war als stadträtliches Argument gedacht, um Skeptikerinnen und Gegner zu beruhigen: Zugriff auf die Datenbank Gamma hätten nur wenige ausgewählte Polizisten, und zwar jene der Hooliganabteilung der Stadtpolizei Zürich. Dumm nur, dass am Montag vergangener Woche Angehörige genau dieser Abteilung vor dem Meisterschaftsspiel GC-Xamax Abstimmungsflyer konfiszierten, die GC-Fans und Gamma-Gegner vor dem Stadion verteilten.
Die Polizei griff damit nicht nur aktiv in einen Abstimmungskampf ein, bei dem es um polizeiliche Arbeit geht. Sie verletzte auch geltendes Recht, indem sie die jederzeit erlaubte politische Information auf öffentlichem Grund verbot. «Unglücklich und ärgerlich» nennt Polizeisprecher Michael Wirz im «Tages-Anzeiger» die Aktion seiner Kollegen.
Mitten im Getümmel
Die Verordnung über die polizeiliche Datenbank Gamma, über die in der Stadt Zürich am 27. September abgestimmt wird, sieht vor, rund um Sportveranstaltungen Personen zu erfassen, die laut Verordnungstext als «Gewalt suchend» auffallen und deren «problematisches Verhalten» die öffentliche Sicherheit gefährdet. Im Gegensatz zur nationalen Datei Hoogan, in der Fans mit Massnahmen wie Rayon- oder Stadionverbot registriert sind, zielt Gamma also auf zukünftige Gewalt- und StraftäterInnen. Der Polizei kommt dabei die Rolle der Prognostikerin zu: Situativ muss sie bei Ausschreitungen entscheiden, wessen Verhalten genug «problematisch» ist, um daraus eine zukünftige Straftäterschaft abzuleiten.
Wie waghalsig die Idee ist, mitten im Getümmel sauber zwischen friedlichen Matchbesucherinnen, Gaffern, Gewaltsuchenden und Gewalttätigen zu unterscheiden, lässt sich am Beispiel des Meisterschaftsspiels FCZ-Basel vom 17. Mai dieses Jahres illustrieren. Zürcher und Basler Fans in angrenzenden Sektoren provozierten sich so lange, bis es nach Spielschluss zur Eskalation kam: Petarden flogen in den Zürcher Block, Basler Fans rissen den Zaun zwischen den Sektoren nieder. Obwohl in der Situation ein erhebliches Gefahrenpotenzial lag und obwohl die grosszügige Architektur des neuen Letzigrund-Stadions genug Platz für eine rasche Flucht bot, blieben zahlreiche «unbeteiligte» ZürcherInnen, einige mit Kindern, im Stadion und verfolgten gebannt und zum Teil pöbelnd die Auseinandersetzung. Wer von diesen vielleicht 200 wäre nun ein Fall für Gamma? Nach welchen objektiven Kriterien könnte die Polizei entscheiden, wer bei einem nächsten ähnlichen Vorfall nicht mehr nur zuschauen und rumbrüllen, sondern auch randalieren oder boxen würde?
Bild aus Belgrad
Die Idee einer «Präventiv»-Datenbank, bei der die Unschuldsvermutung ausser Kraft gesetzt wird und auf Vorrat persönliche Daten gesammelt werden (unter anderem auch über die «Freundschaften» der Registrierten), stösst in breiten Kreisen und quer durch die politischen Lager auf Ablehnung. Alternative Liste, Grüne und SVP empfehlen ein Nein, die SP hat Stimmfreigabe beschlossen. Verschiedene Fan-Organisationen unterstützen die Gamma-Nein-Kampagne. In einem halbseitigen Kommentar bezog am letzten Samstag auch die NZZ gegen die geplante Datenbank Stellung: «Wer sich (noch) nichts hat zuschulden kommen lassen, gehört nicht fichiert.»
Als einzige befürwortende Stimme neben Stadt- und Gemeinderat ist der Verein Pro Sportstadt Zürich zu vernehmen. Auf einer von SP-Mitglied Alan Sanginés betriebenen Website wirbt er mit dem Slogan «Gegen Hooliganismus - Ja zur Gammadatenbank», obwohl selbst Polizeivorsteherin Esther Maurer im Gemeinderat klarstellen musste, dass es sich bei Gamma eben gerade nicht um eine Hooligandatei handelt. Den bewusst irreführenden Slogan - wer ist schon nicht gegen Hooligans? - verstärkt Pro Sportstadt Zürich in seiner Plakataktion mit einem Gewaltbild aus Belgrad. Der (fragwürdige) Zweck heiligt offenbar jedes Mittel.
Dem Vorstandsmitglied des FC Zürich und Fanverantwortlichen Philipp Burckhardt ging diese Art von Propaganda zu weit: Er distanzierte sich vor wenigen Tagen öffentlich von der Ja-Kampagne und bedauert, dass der FCZ sein Klubemblem dem Verein Pro Sportstadt Zürich zur Verfügung stellte.
Pascal Claude unterstützt als Erstunterzeichnender die Gamma-Nein-Kampagne.