Beitragvon #10 » 05.05.08 @ 23:39
Nein, nicht schliessen. Natürlich nicht. Raoul, schon seinetwegen nicht. Ihm wünsche ich mehr als nur 'gute Besserung', ihm wünsche ich die besten Ärzte, die besten Reha-Menschen, die auf diesem Kontinent aufzutreiben sind, starke Nerven und ganz viel Zuversicht, damit er möglichst bald wieder zurück ist, da wo er hin gehört: zu unserem FCZ-Nachwuchs, der vielen wie mir inzwischen mehr bedeutet als "die eins" im Letzigrund, die von einer ganz anderen gelegentlich unappetitlichen Sosse umgeben ist, mit der wir immer mehr Identifikationsprobleme bekommen.
Natürlich sind die vielen Ausrufenzeichen bullshit, der Eindruck, dass da eine Polemik geschürt wird, ist irgendwie berechtigt. Dennoch: möglicherweise im Gegensatz zu mom, der den Vorfall auf Sonntag datiert, bin ich am Samstag auf dem Herrenschürli zugegen gewesen, als das verheerende Foul an Raoul passiert ist. Und ich schreibe mit Absicht "passiert ist", und nicht "verübt wurde" oder "begangen wurde". Ich habe es zugegebenermassen nicht einmal selber gesehen, wie ein Grossteil der Anwesenden wohl auch nicht. (Dies ergaben jedenfalls meine entsprechenden Nachfragen; die Besonderheit bei solchen Spielen wie jenen der U18 ist wohl, dass die meisten Zuschauer immer irgendwie am Schwatzen sind und sich nur nach besonders schrillen oder langezogenen Pfiffen des Schiris mal dem Spielgeschehen zuwenden, zumindest in der zweiten Halbzeit.)
Es war also am letzten Samstag in der zweiten Halbzeit, Basel spielte bereits mit einem Mann weniger nach einer einer gelb-roten Karte, und dann passierte es. Ich glaube allen, die das Foul wirklich gesehen haben, dass es ekelhaft und böse gewesen sein muss, und der Schiri hat den Basler auch sofort per rot in die Kabine geschickt. Nur: die Beschimpfungen und Drohungen (teils auch mit rassistischem Unterton), die sich dieser Spieler danach auf dem Weg zur Kabine gefallen lassen musste, die weckten einen Verdacht: dass das brutale Foul in einen Zusammenhang mit den Ereignissen des Vorabends im St. Jakob-Park gebracht werden.
Das Spiel lief weiter, obwohl einige Funktionäre und Zuschauer einen Spielabbruch forderten, Zürich führte mit 2:0 und hatte jetzt mit 11 gegen 9 eine relativ problemfreie Aufgabe, schoss später das 3:0, da ist die Ambulanz vorgefahren. Raoul lag auf einer Bahre am Strassenrand, man konnte erkennen, dass er grosse Schmerzen hatte, die Gaffer konnten es erkennen, und ich war in diesem Moment, gestoppt auf dem Nachhauseweg von einer Menschengruppe, in einer Mischung von Anteilnahme, Rat- und Hilflosigkeit, ich war in diesem Moment ein anteilnehmender, hilfloser Gaffer und dachte mir dabei:
Es ist einfach zuviel Brutalität in unserem Fussball!
Und zwar überall. Auf dem Feld, in der Ausbildung, auf den Rängen, und im Ganzen Geschnorr drumrum sowieso. Jeder Junge, der es mal bis in eine U18 gebracht hat, weiss, dass es x Konkurrenten gibt, die nur darauf warten, seinen Platz einzunehmen. Entsprechend ist der Druck auf den Jungs. Schaut mal nach auf der Website des Verbands, wieviele der ehemaligen U17-Nationalmannschaften heute noch bekannte Fussballer sind. Wenn wir schon die Nachwuchsförderung loben, weil es unsere Trainer immer wieder schaffen, einen bis zwei Spieler pro Jahrgang in die ersten Mannschaft zu bringen (und das ist schon viel), dann verschwenden wir viellleicht auch mal einen einzigen Gedanken, an die rund 20 anderen, die das nicht schaffen (und jetzt z.b. bei Rapperswil, Küsnacht oder Wil spielen). Vielleicht auch, habe ich gelegentlich den Verdacht, weil sie die verlangte Härte nicht "mitgebracht haben"? Oder, ganz anders gefragt: wie soll sich ein wunderbarer Fussballer aus Dübendorf oder Allschwil oder Onex in einer Super-League-Mannschaft aufdrängen, die schon von 10 Spielern besetzt ist, die sich in einem anderen Land in der höchsten Liga ausgezeichnet haben?
Das ist nur mal ganz kurz angetippt, was auf dem (Nachwuchs-)Feld läuft. Was aber erst auf den Tribünen?! Hat vielleicht auch damit zu tun. Fussball als "Krieg". "Du oder ich", sonst gar nichts. Oder auch: "FCZ susch gar nüt" - ich habe schon einmal (ratlos) darauf hingewiesen, dass mir der Slogan "unsportlich" erscheint, auch dass ich finde, der Begriff "Hass" hat in Diskussionen über Fussball überhaupt nichts verloren.
Was denn sonst? Die Freude am Spiel, auch am Wettkampf. Diese Freude setzt immer auch die Anerkennung einer Gleichwertigkeit voraus: "ich fordere dich heraus" heisst immer auch "ich respektiere dich". (Könnte von Dölf Ogi stammen, ist mir egal.)
Dieses Prinzip ist an diesem meinem Fussball-Wochenende leider mehrfach mit Füssen getreten worden. Und: ich habe angst, dass dies in der gegenwärtig überhitzen Atmosphäre zur Routine werden wird.
Ich habe keine Rezepte dagegen, ich mache nur meinen kleinen Teil in meinem Umfeld, damit die Brutalität und die Geringschätzung nicht zum Alltag werden.
Membre du groupe Hassli