Letzikids: Wo die Kinder mehr als Fussball lernen

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billy
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Letzikids: Wo die Kinder mehr als Fussball lernen

Beitragvon billy » 27.12.07 @ 9:40

Wie man ausländische Kinder integrieren kann, zeigen die Macher von Letzikids in Zürich seit bald fünf Jahren. Sie haben aus einer Fussballschule eine Schule fürs Leben gemacht.

Von René Staubli

Zürich. – Die Kinder sind dunkelhäutig oder bleich, kommen aus Ex-Jugoslawien, der Türkei oder der Schweiz, leben in den Zürcher Arbeiterquartieren oder in der Agglomeration, gehören zum Mittelstand oder zur Unterschicht – kurz: Sie sind ein Abbild der Stadtzürcher Gesellschaft.
Allen gemeinsam ist die Zugehörigkeit zu den Letzikids, einem Fussballprojekt des FC Zürich. Seit Juli 2003, damals noch in Zusammenarbeit mit dem Quartierver­ein Blue Stars, sind rund 300 Kinder in die Fussballschule eingetreten, normaler­weise mit 7 Jahren. Mit 12 erfolgt der Ab­schied vom Kinderfussball und der Über­tritt in die FCZ-Academy oder in die Ju­niorenabteilung eines Quartier- oder Landvereins. Projektleiter Marco Bernet zieht nach fast fünf Jahren eine positive Bi­lanz: «Die Kinder haben sich in sportlicher Hinsicht sehr gut entwickelt, aber auch in ihrem sozialen Verhalten.»
Am Anfang steht ein Vertrag
Tatsächlich ist es weit mehr als ein Fussballtraining, das die Macher der Letzikids anbieten – es ist praktische Inte­grationsarbeit. Mit Einfühlungsvermögen und Konsequenz gelingt es ihnen, den Kin­dern wichtige Grundregeln des Zusam­menlebens zu vermitteln.
Jeweils 40 bis 45 Siebenjährige nehmen am halbjährigen Schnupperkurs teil. Die Betreuer bewerten in erster Linie ihr fuss­ballerisches Talent. Nur 25 schaffen den Sprung zu den Letzikids. Damit ver­bunden ist ein Aufnahme­gespräch, an dem die El­tern, das Kind, sein künf­tiger Trainer und ein Pro­jektkoordinator teilneh­men. Eltern und Kind er­fahren, welche Verhal­tensregeln von nun an gelten sollen. Die Kinder müssen sich in die Gruppe integrieren; für die Eltern gilt es, ihre Sprösslinge loszulas­sen und bei Trainings und Spielen einen Respektsabstand einzuhalten, was nicht allen leicht fällt: Jede Einmischung von der Seitenlinie ist verboten.
Wenn Stanic und Barmettler kommen
Ein Augenschein an einem kalten Mitt­wochnachmittag auf der Sportanlage Buchlern vermittelt eine Vorstellung da­von, was die Betreuer von den Kids verlan­gen. Fünf Minuten vor Trainingsbeginn stehen die Kinder umgezogen und in ein­heitlicher Kleidung auf dem Platz. Jedes geht zu jedem Betreuer und begrüsst ihn per Handschlag und direkten Augenkon­takt. Wer zu spät kommt, muss sich erklä­ren. In notorischen Fällen droht der Aus­schluss vom Trainingsbetrieb.
An diesem Tag kommt niemand zu spät. Auch die FCZ-Spieler Kresimir Stanic und Heinz Barmettler erscheinen pünktlich zum Fototermin. Sie sollen mit ihrer An­wesenheit beim Training und beim Foto­termin zeigen, wie wichtig der Profi-Ab­teilung des FCZ die Nachwuchsarbeit ist. Natürlich schüttelt ihnen jedes Letzikid mit spürbarem Stolz die Hand.
Zum Aufwärmen reihen sich die Kinder kommentarlos in kleine Gruppen ein, wo einer versuchen muss, den Ball zu erwischen, den sich vier oder fünf an­dere auf kleinem Raum zuschieben – eine Art Ri­tual vor dem eigentlichen Training. Die nachfolgen­den Übungseinheiten ver­laufen erstaunlich diszip­liniert und dauern bis zu 20 Minuten, was für Kin­der in diesem Alter an­spruchsvoll ist. Keiner hängt ab, und nach Fehlern sind keine abschätzigen Bemer­kungen zu hören. Der Betrieb wirkt fast professionell, nur dann und wann von fröhlichem Lachen unterbrochen. Wenn die Betreuer die Gruppen versammeln, um neue Übungen zu erklären, hören die Let­zikids konzentriert zu.
Laut Marco Bernet entwickeln die Bu­ben – leider melden sich (noch) fast keine Mädchen – im Laufe der Zeit ein gesundes Selbstbewusstsein. Sie lernen ihre sportli­chen und psychischen Grenzen kennen, finden sich im Umgang mit Autoritätsper­sonen zurecht, haben Spass im Training, sind aber auch fähig, jederzeit auf Leistung umzuschalten. Es gebe keine Probleme mit Rassismus, auch unter den Eltern nicht. Natürlich komme es in der Garderobe, wie üblich bei Jungs, dann und wann zu Hänse­leien, doch schreiten die Trainer laut Ber­net «konsequent ein, wenn ein gewisses Mass überschritten wird». Das Ziel sei, die Kinder zu Fairplay zu erziehen.
Notgedrungen lernen die Kids auch, mit Enttäuschungen umzugehen. Wenn für ein internationales Turnier im Ausland nur 11 Spieler aufgeboten werden, ist das für die 15 Überzähligen natürlich frustrierend. Die Trainer reden mit ihnen: «Noch seid ihr leistungsmässig nicht ganz so weit wie Eure Kollegen, aber auch ihr habt einen wichtigen Anteil am Teamerfolg, und auch ihr könnt es eines Tages schaffen!» Die «Amtssprache» ist bei den Letzikids übrigens Züritüütsch oder Hochdeutsch, ebenso im Kontakt der Betreuer mit den Eltern. Dolmetscher werden keine einge­setzt, was die Motivation aller Beteiligter erhöht, Deutsch zu lernen. Die jährlichen Kosten belaufen sich auf 300 bis 500 Fran­ken pro Kind, doch wurde noch nie eines abgewiesen, dessen Eltern sich den Betrag nicht leisten konnten.
Integration im Feriencamp
Integration findet auch in den jährlichen Feriencamps der Letzikids statt. Im kom­menden Februar gibt es auf dem Utogrund wieder zwei einwöchige Sportlager. Fuss­ball wird nur am Nachmittag gespielt, der Morgen ist ausgefüllt mit andern Sportar­ten – und die zweistündige Mittagspause hat einen besonderen Stellenwert.
Für das Essen wird eine Fassstrasse ein­gerichtet. Die Kinder müssen von allem probieren: Suppe, Salat, Hauptspeise. Sie dürfen so viel schöpfen, wie sie essen kön­nen, aber es dürfen keine Essensreste auf dem Teller liegen bleiben. Natürlich darf den Teller ein zweites Mal füllen, wer noch Hunger hat. Schon dieser Entschei­dungsprozess in eigener Sache ist für viele eine Herausforderung. «Für 25 von 50 Kin­dern wird es das erste Camp überhaupt sein», sagt Bernet. «Viele waren noch nie weg von zu Hause.» Nach dem Essen spielen die Kinder mit­einander Lotto, Bilderrätsel und derglei­chen mehr. Dabei kümmern sich die Älte­ren um die Jüngeren; jede Gruppe hat ei­nen Captain, also ein Vorbild. Bernet sagt, es gehe «zwei Tage lang darum, die defi­nierten Regeln durchzusetzen – vom drit­ten Tag an gibt es selten mehr Probleme.»
Einbezug der Eltern
In all diesen Prozessen spielen auch die Eltern eine wichtige Rolle. Bernet sagt, sie seien «der wichtigste Coach ihres Kin­des ». Diese Ressource wollen die Leiter von Letzikids nutzen. Seit 2004 gibt es ei­nen Elternrat. Über dieses Gremium kön­nen Väter und Mütter ihre Anliegen an die Trainer herantragen, was allerdings nicht allzu oft geschieht.
Fast wichtiger sind die Veranstaltun­gen, an denen Fachleute die Eltern über Themen wie Leistungsdruck, sportmedizi­nische Betreuung, Schuhkauf, Wachs­tumsprobleme, adäquate Ernährung oder Schule & Sport informieren. An solchen Veranstaltungen nehmen laut Bernet je­weils 80 bis 90 Eltern teil.
Mit welcher Konsequenz und Transpa­renz bei Letzikids gearbeitet wird, illus­triert folgende Episode. Einmal ging ein Vater während eines Spiels verbal auf ei­nen Schiedsrichter los. Die Leiter von Let­zikids verboten ihm in der Folge für ein halbes Jahr den Besuch von Spielen und Trainings. Er musste sein Kind am Sta­dioneingang abgeben und es nach dem Training dort wieder abholen. Der Bub durfte weiterhin am Training und an den Spielen teilnehmen; schliesslich traf ihn am Verhalten seines Vaters keine Schuld. Alle Eltern und alle Letzikids wurden von den Betreuern über den Vorfall und die ge­troffenen Sanktionen informiert.

Quelle: tagi,27.12.07, Seite 13


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wettskandal
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Beitragvon wettskandal » 27.12.07 @ 10:37

Eindrücklich, wunderbar.

Pieder
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Beitragvon Pieder » 27.12.07 @ 12:16

Ist ja alles gut und recht und eine tolle Sache, denn die Integrationsarbeit, die in Fussball- und anderen Sportklubs geleistet wird, kann nicht genug gewürdigt werden. Ich finde es allerdings einen Affront allen kleinen Quartier- und Landklubs gegenüber, die diese Arbeit seit Jahren mit viel Engagement und ohne Lohn sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verrichten, dass nun ein Nationalliga A-Verein den "Lohn" in Form eines anerkennenden Berichtes im Tagi einheimsen und noch ein wenig PR machen kann. Aber eben, von diesem Low-Quality-Blatt ist nicht mehr zu erwarten.


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