Beitragvon Basler » 31.10.07 @ 17:36
aus der NZZ von heute:
Einspruch unerwünscht
Die Fifa bestimmt Brasilien zum WM-Veranstalter 2014 und würgt jegliche Bedenken ab
Was längst klar war, ist am Dienstag im Fifa-Haus in Zürich offizialisiert worden: Brasilien, die selbsternannte Heimat des Fussballs, darf die WM 2014 durchführen. Einen Gegenkandidaten hatte es nicht gegeben. Nach der Vergabe verlor der Präsident des brasilianischen Verbandes bei einer Frage zur Sicherheit die Beherrschung und polterte drauflos.
bir. Als könnte die Wahl, die keine Wahl ist, noch schiefgehen, präsentierte die Delegation aus Brasilien nochmals die ganze Gilde. Der Schriftsteller Paulo Coelho war anwesend, der Staatspräsident Lula da Silva, der Sportminister Orlando Silva, der Nationaltrainer Carlos Dunga, der frühere Fussballer Romario und der Verbandspräsident Ricardo Teixeira. Zudem waren 13 von 27 Gouverneuren des Landes zugegen. Sie alle warteten darauf, dass Entschiedenes offizialisiert und Brasilien von der Exekutive des Weltfussballverbands Fifa mit der Durchführung der Männer-WM 2014 betraut wird. Der Fifa-Präsident Joseph Blatter wollte und konnte denn auch keine künstliche Spannung erzeugen, als er am Dienstagnachmittag im Fifa-Haus hoch über Zürich das Couvert öffnete.
Heimspiel der Brasilianer
Brasilien, der fünffache Weltmeister, organisiert in sieben Jahren nach 1950 zum zweiten Mal die WM. Der kräftige Applaus im Plenum spiegelte den Umfang der brasilianischen Delegation, die in der Schweiz ein Heimspiel hatte und ihre PR-Arbeit mit letzten Wellen beendete, die schlichtweg alles überspülten. Bedenken zwecklos, Einspruch nicht erwünscht. Zuvor hatte Deutschland den Zweikampf gegen Kanada für sich entschieden und die Frauen-Endrunde 2011 zugesprochen erhalten. Man könne nicht die WM 2006 nachahmen, sagte Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fussballbunds DFB, aber sein Land werde bereit sein – «dem Frauenfussball bietet sich rund um den Erdball eine riesige Entwicklungschance».
Der Grundton solcher Veranstaltungen ist der Superlativ. Darunter geht fast nichts, Zwischentöne dringen nur marginal durch. Es bleibt zuweilen der Eindruck haften, dass sich die Welt ohne Fussball nicht mehr weiterdrehen würde. Schon die Präsentation der Brasilianer am Mittag war ein halbstündiger exzessiver PR-Spot. Der Sportminister Orlando Silva verstieg sich zu den Worten «stabile Wirtschaft» und «Rechtssicherheit», verklärte Brasilien «zum Ursprung und zur Heimat des Fussballs» und äusserte den unvermeidlichen Satz, dass 2014 «die beste WM aller Zeiten» bieten werde. Wie skrupellos teilweise Zahlen verdreht werden, bestätigte die Lobrede Teixeiras. Der Verbandspräsident sagte, die WM 2006 habe in Deutschland 40 000 permanente Arbeitsplätze geschaffen. Teixeira verwandelte die (möglichen) Temporär- kurzerhand in Dauerjobs. Hauptsache, es klingt gut. Zudem ergibt es keinen Sinn, wenn Stellen entstehen, die grösstenteils mit öffentlichen Geldern alimentiert werden müssen. Aber wen interessierte das?
Der Aussetzer Teixeiras
Der Höhepunkt der Irritation folgte allerdings erst nach der WM-Bekanntgabe. Als eine kanadische Agenturjournalistin Teixeira fragte, wie er die Sicherheitslage für 2014 einschätze angesichts der Tatsache, dass Brasilien eines der gefährlichsten Länder sei, war Teixeira nicht mehr zu halten. Der 60-jährige, langjährige Präsident des brasilianischen Fussballverbands im (übersetzten) Originalton: «Das Problem der Gewalt ist weltweit. In den USA bringen Schüler ihre Mitschüler um. In Brasilien hat es das noch nie gegeben. In jeder Stadt der Welt herrscht Gewalt, sie ist bei uns nicht mehr verbreitet als anderswo. Auch Brasilianer sind in anderen Ländern schon ausgeraubt worden. Kürzlich hat die Polizei in Kanada brasilianische Spieler angegriffen.» Den unkontrollierten Worten Teixeiras folgte Applaus im Saal.
Nun sah sich der sichtlich ebenfalls enervierte Blatter bemüssigt, nochmals ans Rednerpult zu stehen. Schon im Fall von Südafrika und der WM 2010 sei die erste Frage diejenige nach der Kriminalität, rief Blatter, jetzt komme das wieder. Das gehe nicht – «als Patron dieses Hauses fordere ich mehr Respekt». Wieder Applaus. Keine Widerrede! Keine Kritik! Die letzte PR-Welle schwappte über den Anlass. Aber wer hatte unmittelbar zuvor vor wem wenig Respekt gezeigt und baren Unsinn aufgereiht? Die schäumende Fifa-Replik auf die ganz normale Frage drückte die Arroganz der Macht aus. So deutete nicht nur die Vielzahl der Sicherheitsleute im Fifa-Haus an, wie entrückt die abgekapselte Welt der Mächtigen des Fussballs bisweilen sein kann.
Wie kann es eigentlich sein, dass kein anderes Land sich für die Durchführung der WM bewirbt? Erst recht, wenn das ganze Land ja so enorm davon profitieren wird?!?
Schuld sind immer nur die Anderen!