Beitragvon Reini » 31.07.07 @ 12:10
KARRIERE NACH DEM SPORT: HANSPETER ZWICKER (19)
Der Rebell fand seine Erfüllung
Fussballprofi mit 17, in «Pension» mit 30, mitten im Leben mit 47: Hanspeter Zwicker arbeitet als Pädagoge im Kinderdorf Trogen.
Von Peter M. Birrer, Trogen
Neulich passierte es, in der Stadt, und es war ein Moment, in dem es Hanspeter Zwicker peinlich war wie lange nicht mehr. In einem Lokal wurde er erkannt und – viel schlimmer für ihn – um ein Autogramm gebeten. Zwicker, 47 mittlerweile, erfüllte den Wunsch, aber nur widerwillig. Er sagt über seine sportliche Vergangenheit: «Da liegt kiloweise Staub drauf. Dieses Schaukelpferd gehört längst in den Estrich.» Er findet den Ausdruck «ex-Fussballer» schrecklich: «Ich bin doch ein ganz normaler Mensch.» Hanspeter Zwicker. Er sitzt vor einer Tasse Kaffee, an einem lauschigen Plätzchen auf 900 Meter über Meer, dort, wo er sein berufliches Zuhause und gewissermassen Erfüllung gefunden hat. In Trogen arbeitet er, genauer im Pestalozzi-Kinderdorf. 2002, als er wieder einmal auf der Suche nach einer Anstellung war, half er im technischen Betrieb mit. Er erhielt eine Anstellung als Pädagogischer Mitarbeiter, liess sich zum Sozialpädagogen weiterbilden und betreut seit dem 1. September 2004 Kinder.
Helfer, nicht strenger Erzieher
Als Teil eines Betreuerteams in einem eigenen Haus im Dorf hilft er ihnen, das Leben mit all seinen Problemen zu meistern. Er wäscht, kocht gelegentlich, führt Gespräche mit den Kindern, gestaltet mit ihnen die Freizeit. Zu seinem Aufgabenbereich gehört auch der Dialog mit Vormundschaftsbehörde und Jugendanwaltschaft. Zwicker, der wirblige Fussballer von einst, der Lebemann junger Tage, ist so etwas wie eine Vaterfigur. Und er redet auch wie ein Vater: «Die Kinder, die im Dorf leben, sind ganz normal. Sie hatten nur nicht so viel Glück wie andere.» Zwicker sieht sich als Helfer, nicht etwa als strenger Erzieher. Er kann pingelig sein, wenn es um die Schule geht, weil er von den Kindern Fleiss und Disziplin erwartet, wenn es um die Ausbildung geht. Aber ansonsten ist er vielmehr der Kumpel, ist er der «Hampi», der seine Erfahrungen im Leben gesammelt hat.
Das wilde Leben in jungen Jahren
Mit 17 Jahren zog er aus St. Gallen weg nach Zürich, wechselte sechs Jahre später zu Lausanne. Er war ein wilder Kerl, auf und neben dem Platz, einer, der das Leben in vollen Zügen genoss. Partys verliess er selten als Erster, und als Spieler pflegte er seine Meinung beharrlich kundzutun. Das führte nicht selten zu Reibungen mit dem Trainer. Mit 20 Jahren wurde er erstmals Vater. Er heiratete ein erstes Mal, liess sich scheiden. Heiratete wieder. Trennte sich wieder. Und ist vor dreieinhalb Jahren zum dritten Mal eine Ehe eingegangen. Mit seiner Frau Conny, die im Kinderdorf in Trogen als Personalleiterin arbeitet, ist er schon seit neun Jahren zusammen.
Zwickers Weg führte aus der Westschweiz nach Bregenz, zurück nach St. Gallen, weiter nach Wettingen, zurück auf das Espenmoos, darauf für 800 000 Franken Ablöse zu Xamax und schliesslich zu Old Boys in die Nationalliga B. 30 war Zwicker, als es plötzlich nicht mehr weiterging, als er auf einmal nicht mehr gefragt war, als er auf einmal vor der Frage stand: Worin besteht eigentlich mein Sinn des Lebens? Wie soll es weitergehen? Er wurde ein erstes Mal pensioniert – und damit nicht fertig. Vor ihm tat sich ein dunkles Loch auf.
Die schwierige Zeit der Experimente, der Rückschläge, der Wirren fing an. Zwicker jobbte als Kellner, auf dem Bau, vertrieb im Aussendienst Reinigungsprodukte, probierte sich als Sportreporter, er führte auch ein Pub. Der hohe Alkoholkonsum war für ihn Beweggrund, seine Karriere als Wirt abzubrechen. Er betreute auch Spieler, vorwiegend Nigerianer, aber das Ganze verkam zu einem Verlustgeschäft. «Ich war unberechenbar», sagt Zwicker, «auf und neben dem Platz.» Heute ist er nicht mehr der Zwicker von früher, auf jeden Fall nicht mehr jener, der 13 Jahre lang Fussballprofi war. Er will auch nicht mehr Trainer sein wie damals, als er 2000 in Widnau vom B-Juniorencoach als Notnagel die 1.-Liga-Mannschaft übernahm und später nach Eschen-Mauren wechselte. Er belegte den A-DiplomKurs, bestand aber die praktische Prüfung nicht – weil er «das Thema verfehlte», als er eine Trainingsübung in die Praxis umsetzen musste.
Umgehend packte er seine Sachen, reiste aus Magglingen ab und sagt heute mit etwas Abstand: «Es ist mein grosses Glück, dass ich durchgefallen bin. Sonst wäre ich womöglich im Fussballgeschäft hängen geblieben.» Fussball ist für ihn nur noch Fernsehsport.
«Ich stehe mitten im Leben»
Zwicker wirkt weder verbittert noch frustriert, er sieht jetzt aus wie ein ausgeglichener, zufriedener Mensch, der nach Jahren der Unruhe und mehreren Misstritten wieder auf Kurs ist. Er lebt im beschaulichen St. Galler Rheintal und ist seit Jahren Hobbymaler. Er bereut nichts, «weil ich keine Zeit habe, zu bereuen». Folglich denkt er auch nicht daran, welchen Lauf seine Karriere genommen hätte, wenn er seriöser gewesen wäre, nie geraucht und nie Alkohol angerührt hätte. «Ich bin mit dem, was ich erreicht habe, glücklich», sagt er, «angepasst wollte ich gar nicht sein.» Ihm gefiel die Rolle des Rebellen. Darum trägt er auch das Etikett «enfant terrible» mit gebotener Gelassenheit.
Nur etwas würde er ändern, wenn er noch einmal zurück könnte. Er würde als 30-Jähriger umgehend den Berufsberater aufsuchen. «Vielleicht hätte er schneller meine soziale Ader entdeckt», sagt Zwicker. Zur inneren Zufriedenheit hat er auf Umwegen doch noch gefunden, das belegen seine überzeugten Worte: «Ich stehe mitten im Leben. Und es geht mir gut.»
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