Beitragvon grandezurigo » 23.09.07 @ 9:39
Artikel über 1. Letzi Eröffnung im Blick:
1. Eröffnung vor 82 Jahren
Freude über mehr Verkehr – Ärger über kindische Fans
VON MAX KERN UND STEPHAN ROTH, MITARBEIT: PETER HÄSSIG
22.09.2007 | 23:31:57
Hans Enderli hiess der Präsident des FC Zürich vor 82 Jahren, der den neugeschaffenen Sportplatz Letzigrund einem «stattlich Trüpplein der Zürcher Presse» vorstellte, wie die NZZ am 22. November 1925 berichtete. Und wenn der heutige FCZ-Präsident Ancillo Canepa das neue Stadion mit den gleichen Worten preisen würde wie Dr. Enderli, dann würde er 82 Jahre später für seinen politischen Fauxpas in der Luft zerrissen…
Bildzoom
Fünf Monate nach der Einweihung am 22. November 1925 (FCZ – GC 2:2) stieg im Letzigrund, den FCZ-Mitglieder in 7000 Arbeitsstunden errichtet hatten, der erste Cupfinal überhaupt. Und GC holte sich die Trophäe gegen den FC Bern (2:1). Die Hoppers (v. l.): Frankenfeldt, Amiet, Honegger, Bühler, Xam Abegglen, Tschirren, Neuenschwander, De Weck, Ceribello, De Lavallaz, Max Weiler.
November 1925 in Zürich. Im Orient-Cinema an der Waisenhausstrasse 2 lief der Film «O Schweizerland! Mein Heimatland!». Im «Speck» auf der Walchebrücke trat der «weltberühmte Experimental-Psychologe und Komponist» Henry Kassbon auf. «Sie müssen unbedingt zu zweien kommen!», warnte der Veranstalter, «einer allein kann das gar nicht glauben.» Im Theater zur Kaufleuten lief das Lustspiel «Madame Sans-Gêne» – «Die unverfrorene Dame» – zu Preisen zwischen einem und vier Franken.
Und der Autor der NZZ lobte den damaligen Präsidenten des «F. C. Z.» mit den Worten: «Mit Recht machte Dr. Enderli bei der der Besichtigung folgenden gemütlichen Zusammenkunft im benachbarten Restaurant ‹Eber› auf den Wert solcher Anlagen im Dienste der Verkehrssteigerung aufmerksam». Verkehrssteigerung?
Richtig gelesen. Die Pioniere von damals waren sieben Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs offenbar in Aufbruchstimmung, setzten Verkehr mit Fortschritt gleich. «Die breite Herdernstrasse wird auch mit dem stärksten Verkehr fertig werden», schrieb die NZZ, «das neue fertige Stück der Bäckerstrasse zwischen Sportplatz und Schlachthof gibt einen idealen Aufstellungsplatz für die Autos ab.
Überdies ist bis kommendes Frühjahr die Erstellung eines an der Haltestelle Letzigraben beginnenden Stellgeleises bis zum Tribünenbau vorgesehen, so dass verkehrstechnisch der neue Sportplatz durchaus nicht zu den abgelegenen Quartieren gezählt werden kann».
Der Autor von 1925 schloss mit den Worten: «Am Sonntag wird der neue Sportplatz dem Betrieb übergeben.» Kein Wort von FCZ – GC…
Tags darauf hielt der Sport in der NZZ Einzug. «Grasshoppers und Zürich spielen unentschieden 2:2. Baden I schlägt Zürich Promotion 4:2. Mit diesen beiden Spielen wurde der prächtige Sportplatz Letzigrund gestern Sonntag seiner Bestimmung übergeben. (…) Pfändler nahm einen weiten Abstoss Ewadingers vor dem Strafraum des Grasshopperstors unter die Füsse und schoss für Zürich das erste Tor. (…)
Die Veranstalter können mit dem Kassenerfolg dieses ersten Spieltages zufrieden sein; in einem Massenaufmarsch bekundete das Zürcher Publikum das Interesse für Platz und Spiel. Der F. C. Zürich übergab dem Grasshoppersklub zum Zeichen einer langwährenden Freundschaft auf dem Hardturm Sportplatz eine prächtige Weinkanne.»
Und: «Schiedsrichter Herren war dem Spiel der gegebene Leiter: Seine Pfeife bewahrte das Spiel vor völliger Härte, die sich gegen Schluss hin leicht bemerkbar machte.»
Der Tages-Anzeiger vom 23. November 1925 schrieb: «Im Nordwesten unserer Stadt, in ihrem äusseren Ländergürtel, der Zürich gegen die Gemeinde Altstetten abschliesst, ist ein gewaltiger Sportplatz entstanden. Und dieses Stadion hat gestern Nachmittag mit einem Fussballmatch der Stadtrivalen Grasshoppers gegen Zürich, einem erbitterten, zähen und aufregenden Kampf, einem wahrhaft hinreissenden Ringen um die Palme des Sieges, seine Sportweihe empfangen.»
Mehr Mühe hatte der Autor des «Tages-Anzeigers» von 1925 mit den Emotionen «des Kranzes von nahezu 6000 Zuschauern» auf der Tribüne. «Wie anders ist es möglich», fragte der «Tages-Anzeiger»-Berichterstatter vor 82 Jahren, «dass reife Männer, auf der Tribüne,
in kindische Protestrufe verfielen, sobald einer ihrer Klubspieler in Nachteil geriet? Haben diese Eiferer nicht gesehen, wie wenige Augenblicke später dasselbe Schicksal einem Spieler der Gegenpartei widerfuhr? Aber es scheint nun einmal im Wesen der Sportzuschauer ein Übermass an kritiklosem Egoismus zu geben, das sie ständig wie eine Rakete hochsausen macht, sobald es nicht nach Wunsch geht. Möchte der neue Sportplatz von solchen pyrotechnischen Schauspielen verschont bleiben!
Der Polizeivorstand, Stadtrat Höhn, der dem Treffen beiwohnte, hat bei dieser Gelegenheit bemerken können, wie schwer das Fabeltier Publikum zu bändigen ist.»
82 Jahre sind seither ins Land gezogen. Seit 1934, der Eingemeindung von Altstetten, liegt der Letzigrund auf Stadt-Areal. Die von Dr. Hans Enderli 1925 gelobte Verkehrssteigerung ging ungebremst weiter, bis am 31. August 1978 die Grüne Partei des Kantons Zürich gegründet wurde… Parkplätze sind bei der heutigen Eröffnung ein wahres Luxus-Gut.
Der heutige FCZ-Präsident Ancillo Canepa (er fährt Range Rover und Jaguar) wird sich hüten, das neue Stadion als Ursache für erweitertes Verkehrsaufkommen zu loben.
Und Canepa wird hoffen, dass er als amtierender Meister nicht gleich lange auf den nächsten Meistertitel warten muss wie Dr. Hans Enderli ab 1925: Der F. C. Zürich hatte 1924 den Titel geholt und konnte erst 1963, oder 39 Jahre nach dem Einzug in den Letzi, den nächsten Meistertitel feiern. Das wäre in der Zeitrechnung des heutigen Stadions im Jahre 2046…