Die turbulente Geschichte eines untypischen Fussballstadions
Wie der alte Letzigrund als Pionier bald einmal vom Hardturm überschattet wurde, dafür aber Europacup-Highlights setzte
Der alte Letzigrund mit seinen Leichtathletikanlagen war nicht etwa eine Verlegenheitslösung für die Austragung von Fussballspielen. Lange Jahre war er das fussballerische Zentrum Zürichs.
Die Jubiläumsschrift «50 Jahre Schweizerischer Fussball- und Athletik-Verband» (1895 bis 1945) nennt das zweite Dezennium des vorigen Jahrhunderts als einen Eckpfeiler bei der Entstehung der Sportinfrastruktur in unserem Land. Verfügten Fussballvereine 1914 über 36 eingezäunte Sportplätze, so stieg diese Zahl bis 1924 auf 154 an. In derselben Zeitspanne nahmen die durchschnittlichen Zuschauerzahlen an Länderspielen in der Schweiz um das Sechsfache auf über 18 000 zu. Zeitgenossen sprachen vom Ende der idealistischen und dem Auftakt der materialistischen Epoche im hiesigen Fussball – beschleunigt durch den sensationellen Olympia-Silbermedaillengewinn der Nationalmannschaft 1924 in Paris.
Bis Ende der zwanziger Jahre entstanden in Zürich erst der Förrlibuck (1924), dann der Letzigrund (1925) und zuletzt der Hardturm (1929) – Basel und Bern waren schon lange zuvor wichtige Treffpunkte. Es war dies der Anfang der Ära von Sportplätzen, die neu von Tribünenbauten umgeben waren. Bald wurde es dem FCZ im Utogrund zu eng. Er verkaufte ihn und übernahm unweit davon im Baurecht aus städtischem Besitz eine Wiesenfläche, auf welcher der Letzigrund mit Rasenfläche und einer Aschenbahn mehrheitlich in Fronarbeit entstand. 1925 wurde sie mit dem Stadtderby (2:2) eingeweiht.
Keine Verlegenheitslösung
Fussballenthusiasten jüngeren Alters rümpften in den letzten Jahren der zunehmend baufälligen Beton-Arena Letzigrund die Nase. Das Stadion mit seiner oktogonalen Tribünenanlage und den Bahnen für die Leichtathletik sei gar kein echtes Fussballstadion, seine Verwendung für wichtige Fussballanlässe sei meist als Verlegenheitslösung erfolgt. Diese weitverbreitete Ansicht bedarf der Korrektur, denn die traditionelle Arena Letzigrund blickt auf eine glorreiche Ära der Nationalmannschaft zurück. Der privatrechtliche Hardturm gewann zwar rasch die Gunst der Verbandsoberen (und behielt sie bis in die letzten Jahre), weil er die typisch englischen Kennzeichen eines Fussballstadions aufwies. Aber es war der Letzigrund, auf dessen Bühne sich ab Mitte der zwanziger Jahre sportlicher Grossbetrieb entwickelte.
1926 wurde der Cup-Wettbewerb aus der Taufe gehoben – erster Durchführungsort war der Letzigrund. GC besiegte vor 10 000 Zuschauern den FC Bern. Nur eine Woche später fanden sich trotz Sechseläuten-Wochenende schon doppelt so viele Schaulustige an gleicher Stelle ein, als die Italiener mit viel Politprominenz zu Besuch auf den «geräumigen Letzigrund» (Zitat NZZ) kamen und eine Rekordbesucherzahl für ein Schweizer Länderspiel anlockten. Im Jahr 1930 sahen Tausende den 6:3-Erfolg gegen Holland. Dann warf die Weltwirtschaftskrise Schatten über die Anlage. Der FCZ brachte gerade noch die Kraft (und die Mittel) auf, um für 180 000 Franken einen neuen Stand mit 1500 Sitzplätzen zu erstellen. Bald musste er den Letzigrund an die Stadt abtreten.
Fortan übernahm der Hardturm die Rolle des Letzigrunds. Zwischen 1930 und 1960 fanden alle 25 Fussballländerspiele dort statt. Die Stadt blieb nicht untätig, obwohl sie bezüglich ihrer Sportinfrastruktur hartes Brot biss und mit Projekten beim Souverän keinen Anklang fand. Die berühmt gewordene Abstimmung im Jahr 1953 über einen neuen Letzigrund ging bachab. «Zürich» trug an der WM 1954 im eigenen Land die Nummer 2, Basel, Bern, Genf, Lausanne und Lugano hatten dagegen neue Arenen erhalten (auch heuer bildet die Stadt Zürich das Schlusslicht beim Bau neuer grosser nationaler Sportarenen). Mitte der fünfziger Jahre wurde immerhin der Ausbau des Letzigrunds bewilligt. Im August 1958 wurden die damals futuristisch anmutende Haupttribüne sowie die Stehrampen am Kopfende eingeweiht. Aus dieser Zeit datiert auch die stärkere Entwicklung des Zürcher Leichtathletik-Meetings.
Real Madrid und Liverpool als Stargäste
Das Fussball-Nationalteam blieb jedoch seltener Gast. Damit liess sich aber leben. Die Augen waren weiterhin auf die Arena an der Badenerstrasse gerichtet, sei es wegen populärer Doppelspiele (FCZ und YF), sei es der Leichtathletik-Weltrekorde wegen oder aber weil der seit 1924 ohne Titel gebliebene Hausherr ein Hauptkapitel zu schreiben begann. Zwischen 1963 und 1976 gewann der Stadtklub sechs Meistertitel und fünfmal Cup-Pokale. In diese Phase fielen auch der Einbau einer Kunststoffbahn, die Überdachung der Kopftribünen sowie die Erstellung der mächtigen Beleuchtungsmasten. Die ganz grossen Höhepunkte stellten aber die Meistercup-Halbfinals 1963/64 und 1976/77 (Vorgänger der Champions League) dar. Zuerst machten die Zelebritäten von Real Madrid ihre Aufwartung, dann der Meistercup-Sieger FC Liverpool. 29 000 bzw. 30 000 Anhänger markierten Letzigrund-Besucherrekorde.
Quelle: nzz