Beitragvon Tschik Cajkovski » 26.10.14 @ 8:39
aus der NZZaS:
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Aserbaidschan und der FC Sion - wer wird da schon glücklich? Johnny Leoni und Xavier Margairaz waren einst mit dem FC Zürich sehr erfolgreich. Dann kam der Bruch. Von Samuel Burgener
Hauptsächlich ist Johnny Leoni in diesen lauen Herbsttagen Vater und Sohn. Erst am Abend fährt er von Sitten ins Dörfchen Le Mont-sur-Lausanne, um zu arbeiten. Eine Stunde mit dem Auto. Manchmal dauert's länger. Manchmal ist Stau. Es stockt halt grad im Leben.
Als Goalie gewann Leoni mit dem FC Zürich 2005 den Cup und 2006, 2007 und 2009 die Meisterschaft. Er spielte in der Champions League und war Teil einer erfolgreichen Nationalmannschaft. Nicht viele Schweizer Torhüter haben so viel erreicht. Doch unbestritten war Leoni nie. Wegen ein paar Patzern. Und vielleicht wegen der fehlenden Ausstrahlung. Als er das Grand Café am Bahnhofplatz in Sitten betritt, erkennen ihn die Leute nicht. Es ist noch leiser geworden um ihn, als es immer war. Wie konnte das passieren?
Im Sommer 2012 verliess Leoni den FCZ. Nach neun Jahren. Er hatte ein Angebot zur Vertragsverlängerung abgelehnt, wollte ins Ausland. Er war wie besessen davon, etwas von der Welt zu sehen. Der zypriotische Klub Omonia Nikosia machte eine konkrete Offerte. «Eine gute», wie Leoni sagt.
Viele Leute glaubten damals, Leoni hätte auf eine bessere warten sollen.
Xavier Margairaz sitzt in einem Sessel in der Weinbar Tomate bleue. Monthey, eine Industriestadt im Chablais. Er trägt einen Kapuzenpulli, trinkt Grüntee und redet so langsam wie immer. Er war dabei, als Leoni und der FCZ Erfolg hatten. Er war im Klub zuerst ein grosses Talent und dann ein guter Spieler. Nach dem zweiten Meistertitel wechselte er nach Spanien zu Osasuna. Nach anderthalb Jahren kehrte zum FCZ zurück, wurde wieder Meister, war Nationalspieler. Im Januar 2012 machte der FC Sion ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Er freute sich auf Abgeschiedenheit und Stille im Wallis.
Aber der FC Sion ist nicht der richtige Klub, wenn man Ruhe haben möchte.
Margairaz' Start im Wallis war gut. Er war in Form, Sitten Leader und das Tourbillon proppenvoll. Doch die Freude währte kurz. Der Präsident Christian Constantin wirbelte, Trainer und Spieler mussten gehen. Im Frühjahr 2013 wurde der italienische Weltmeister Gennaro Gattuso nach Wochen des Chaos als Spielertrainer entlassen. Sitten verlor ein Heimspiel gegen die Grasshoppers 0:4 und Margairaz die Fassung. Nach Spielschluss lief er, angetrieben von Wut und Verzweiflung, auf die Tribüne. Er schimpfte in Richtung Constantin, musste zurückgehalten werden.
Boulevardmedien schrieben tags darauf, Margairaz habe Constantin einen Hurensohn genannt. Das hatte er nicht. Aber vielleicht hatte er sich in diesem Moment die Karriere kaputtgemacht. Mit Constantin streitet man besser nicht. Er ist sehr geübt darin.
«Baku war wie im Militär»
Johnny Leoni fühlte sich wohl auf Zypern. Die Menschen waren herzlich. Doch er durfte nicht spielen. Nach einiger Zeit suchte Omonia einen Klub für ein Leihgeschäft. Nur Neftschi Baku aus Aserbaidschan hatte Interesse. Leoni wollte nicht dahin, und ging trotzdem. Zwei Wochen war er da, verstand die Mitspieler nicht. Ausser dem Trainingsgelände hat er nichts gesehen. Kein Geschäft. Kein Restaurant. «Es war wie im Militär», sagt Leoni. Als er fünf Tage frei hatte, flog er in die Schweiz. Sein Visum verlor die Gültigkeit. Er ging zurück nach Zypern. Trainieren, ausharren, türkischen Tee trinken.
Im Sommer 2013 wechselte er zu Maritimo Funchal auf die Insel Madeira. Portugal, höchste Division, ein Zweijahresvertrag, immer 25 Grad. Am Anfang ein paar Einsätze, dann eine Verletzung. «Es wäre schon alles gut gekommen», sagt Leoni. Doch dem Vater ging es immer schlechter. Krebs. Leoni löste den Vertrag auf und kehrte in die Schweiz zurück. Viele Koffer, wenig Perspektive.
Im August suchte nur Le Mont einen Goalie. Ein Dorfklub oberhalb von Lausanne, ein Sportplatz im Grünen. Der Aufsteiger in der Challenge League. Und der Vater ist so krank, dass es nicht mehr besser wird.
Leoni hat eine Frau und zwei Kinder. Er verdient wenig bei Le Mont. Weil er die vergangenen zwei Jahre im Ausland war, erhält er von der Arbeitslosenkasse keine Kompensationsleistungen wie andere Spieler, die früher gute Verträge hatten und so mindestens 7000 Franken kriegen. Diese Saison ist für ihn ein Übergangsjahr. Spätestens im Sommer will er wieder in der Super League spielen. Oder bei einem guten Klub in der Challenge League. Er wohnt in Savièse, einem Dorf oberhalb von Sitten, in der Nähe der Eltern, wo er in den dickeren Jahren der Karriere ein Haus gekauft hat. Der Sohn wird im nächsten Jahr eingeschult. Wenn es nichts mehr wird mit einem Schweizer Klub, sucht er sich eine Stelle oder eine Ausbildung in der Region. Er schloss damals die Handelsmittelschule ab.
Leoni, Bürstenschnitt wie eh und je, lehnt sich zurück und sagt: «Ich würde alles wieder so machen. Und wenn das Zeugs dann mal vorbei ist, bin ich auch glücklich.»
Das Zeugs ist der Fussball, dieses undurchsichtige Geschäft. Und dieser Moment ist der einzige, in dem die Verbitterung durchdringt. Dann surrt das Handy. Jemand vom Militär. Leoni soll in einen Wiederholungskurs. Er lacht, schüttelt den Kopf. Es ist das bürgerliche Leben, dass ihn gerade einholt.
Washington? Sheffield? Blackpool?
Nach dem Rencontre mit Constantin hatte Margairaz keine Zukunft im Klub, obschon er einen Vertrag bis 2015 besass und gerne geblieben wäre. Er musste gehen, doch frei war er nicht. Constantin hatte viel Geld in ihn investiert. Und wenn es um Geld geht, kennt der Patron kein Pardon. Margairaz reiste nach Washington, hatte ein Angebot von DC United, einem Klub der Major League Soccer. Doch der FC Sion sperrte die Dokumente. Die Sache war juristisch aufgeladen. Constantin hat einen sehr guten Anwalt. Im nächsten Jahr muss Margairaz vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne aussagen.
«Ich habe keinen Groll auf Constantin», sagt er. «So ist das Business.»
Im Winter kam Margairaz bei Servette in Genf unter. Das passte viel zu gut: ein Klub und ein Spieler, die mal zu den Grossen im Land zählten und nun am Boden lagen. Zehn Spiele machte Margairaz. Es war kein gutes dabei. Ohne die Vorbereitung mit dem Team war der Körper nicht bereit.
Margairaz, Waadtländer, 30 Jahre alt, Vater zweier Kinder, hat keine Mühe damit, arbeitslos zu sein. Er sagt, der Gang aufs Arbeitsamt sei jedes Mal eine gute Erfahrung. Hier spiele das Leben und nicht im Stadion. Er hat viel nachgedacht im vergangenen Jahr und viel gelernt. Es sei ganz gut, wenn man von diesem harten Trip mit der Fussballdroge mal runterkomme. Nur das Leben in der Kabine fehle ihm. Die Kollegen. Er fährt jeden Tag ins Fitnesscenter der Universität Lausanne. Regelmässig trainiert er abends mit dem 1.-Liga-Klub FC Martigny. Sein Agent sucht einen Klub. Margairaz ist für alles offen. Am liebsten ginge er ins Ausland. Vor einem Monat war er bei Sheffield Wednesday im Testtraining, früher mal bei Blackpool. Die zweithöchste Liga Englands hätte ihn gereizt. Die Frau ist Engländerin, und Margairaz hat sich viel Neugierde bewahrt. Und etwas von der Sehnsucht, die Leoni irgendwo verloren hat.
Margairaz hat keine Mühe mit der Vorstellung, den Fussball irgendwann hinter sich zu lassen. Er hat wie Leoni eine Ausbildung gemacht und viele Ideen für danach. «Aber», sagt er und fährt sich durchs Haar, «noch bin ich nicht so weit.»
"we do these things not because they are easy, but because they are hard" jfk