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Der Manndecker
Der Freiburger debütierte 1987 bei Xamax. Danach spielte er für Basel, Sion, Lausanne und Zürich, ehe er 2004 ins Wallis zurückkehrte und nach einem halben Jahr zurücktrat. Er wurde dreimal Meister und gewann dreimal den Schweizer Cup.
FC-Sion-Präsident Christian Constantin wechselt einen Trainer nach dem anderen aus. Der Einzige, der nie in Ungnade fällt, ist Assistenz-Trainer Frédéric Chassot.
Von David Wiederkehr
Der Aschenbecher müsste geleert werden. Immer wieder zündet sich Frédéric Chassot, 37, eine Marlboro an, er trinkt Espressi, ist in Plauderlaune. «Ich spreche Deutsch wie ein Idiot», findet er. Chassot, einst das Enfant terrible des Schweizer Fussballs und dennoch überall Publikumsliebling, ist ruhiger geworden, gewinnend. Sein Blick allerdings sticht noch immer so, als hätte ihn ein Schiedsrichter soeben verwarnt.
Diesen Blick muss man wahrscheinlich draufhaben, will man beim FC Sion bestehen. Chassot sitzt im Hotel «La Porte d’Octodure» in Martigny, der Vereinszentrale des Klubs. Er bezeichnet sich als Mädchen für alles, ist in erster Linie verantwortlich fürs Marketing und nebenher der Assistent des neuen Trainers Alberto Bigon. Die erste Stelle hat ihm Christian Constantin angeboten, als er im Sommer 2004 zurücktrat. Er tat es aus Dankbarkeit für Chassots Dienste als langjähriger Spieler des FC Sion.
Die zweite Aufgabe zwang ihm der Präsident vor gut einem Jahr auf, als wieder mal ein Sion-Trainer desillusioniert erfahren hatte: Neben sich toleriert Constantin niemanden. Ausser Chassot. Mit dem Sonnengott, CC genannt, kommt nur der klein gewachsene Freiburger klar. «Ich bin der Einzige, der ihm widerspricht», sagt Chassot, der 16 Länderspiele für die Schweiz bestritt. «Wir haben oft Streit,weil ich mich nicht verbiegen lasse. Wir haben beide harte Köpfe.»
Constantins schlechter Ruf
Bigon heisst der fünfte Trainer des FC Sion in dieser Saison. Nestor Clausen, Christophe Moulin, Marco Schällibaum und Pierre-Albert Chapuisat sind seine Vorgänger. «Nicht ich entlasse die Trainer», pflegt Constantin jeweils zu sagen, «sondern der Totomat.» Wer zu oft verliert, hat verloren. «CC – der nächste Trainer?», fragten am vergangenen Samstag die Fans derYoung Boys nach deren 2:0-Sieg über Sion auf einem Transparent.
Constantins Ruf ist schlecht, gerade in der Deutschschweiz. 2002 übernahm der Walliser den FC Sion wieder, den er 1997 überschuldet verlassen hatte. Der 50-jährige Walliser zwängte den Klub zurück in die Challenge League, nachdem dieser in die 1. Liga zwangsrelegiert worden war. Die Liga musste aufgestockt werden. Er steht im Verdacht, einen Schiedsrichter tätlich angegriffen zu haben, und will einen anderen verklagen,weil dieser ein Foul von FCZ-Spieler Gökhan Inler an Sions Carlitos nicht ahndete. Mancher wünscht Constantin ins Pfefferland.
Frédéric Chassot weiss um das Image seines Vorgesetzten. Aber er sagt: «Constantin ist das Gegenteil von dem, wie er dargestellt wird.» Sensibler Familienvater statt Choleriker, der sich, scheinbar arrogant, permanent hinter seiner Sonnenbrille versteckt. «Die setzt er nur auf, damit niemand sieht, wie er weint, wenn Sion ein Tor schiesst», behauptet Chassot.
Überhaupt sei Constantin ganz einfach der grösste Fan des FC Sion. Und um zu manifestieren, wie stark rotweiss das präsidiale Herz tatsächlich schlägt, findet Chassot ein noch deutlicheres Wort: «Er ist ein Hooligan.» Angesichts der hängigen Klage gegen Constantin wegen Körperverletzung an den Schiedsrichtern Markus von Känel und José Antonio Gonzalez nicht die allerbeste Formulierung.
Anderseits lebt der FC Sion von der Emotion. «Hier brennt das Feuer», sagt Chassot. Und es gibt darum kein besseres Aushängeschild als ihn. «Ich bin ein Kämpfer», sagt er, «und passe gut in einen Arbeiterkanton wie das Wallis.» Er hätte immer schon gewusst, dass er eines Tages nach Sitten zurückkehren würde. Zwischen 1995 und 1998 hatte Chassot mit Sion seine grössten Erfolge gefeiert.
Der Freiburger wechselte danach zum FC Zürich. Zum ersten Mal lebte er in einer Grossstadt. Für Chassot war das nicht einfach, es fehlten ihm die Freunde. In FCZ-Präsident Sven Hotz fand er einen und in Chad Silver, Eishockeyspieler der ZSC Lions und sein Nachbar in Oerlikon. Silver verstarb am 3. November 1998 an Herzversagen. Es war für Chassot ein schwerer Verlust – als 16-Jähriger war sein Vater dem Krebs erlegen.
Trainerschreck Chassot
Chassot rauchte schon als Spieler, er trank gerne ein Bier. Er wusste, er machte einen guten Job. 478 Spiele bestritt er, sein Markenzeichen waren späte Tore, die ein Spiel entschieden. «Edeljoker» wurde er genannt. Rasch war Chassot die Kultfigur des FCZ, das Idol der Südkurven-Fans. Nur mit einer Spezies verstand sich der Querkopf nie: den Trainern. Gilbert Gress war sein erster gewesen, 1987 bei Neuenburg Xamax. Die Beziehung der beiden ist Legende. «Unglaublich, dieser Mann», sagte Gress einmal, «er macht nie, was ich sage, steht am falschen Ort – und schiesst trotzdem das Tor.» Gleichwohl berief ihn Gress in die Nationalmannschaft, als dieser 1997 deren Trainer war, ihre Wege kreuzten sich auch in Zürich, als derweisshaarige Elsässer den FCZ übernahm. «Oh, mein Gott», dachte Chassot da.
Doch stets begegneten sich die beiden mit Respekt. Über Raimondo Ponte aber spricht Chassot nicht – er nimmt nicht einmal seinen Namen in den Mund. Auch mit Roy Hodgson hatte er sich nie verstanden, die WM 1994 in den USA deswegen verpasst. Er hatte ihm ein Trikot an den Kopf geworfen. Doch schmutzige Wäsche waschen mag er heute nicht mehr. Lieber schwärmt er von Alberto Bigon, «dem besten Trainer, den ich je hatte».
Und das sei jetzt nicht geheuchelt, um sich anzubiedern, fügt Chassot an. Tatsächlich hängt der Westschweizer nicht am Amt des Assistenten. «Ich habe um diese Aufgabe nie gebeten. Wenn das morgen jemand anders macht, habe ich damit kein Problem», sagt Chassot. Und schon gar nicht wird er irgendwann selber Cheftrainer sein. «Ich hatte als Spieler zu viele Probleme mit Trainern, um mich in dieser Rolle zu sehen.» Bei einem Gedanken zum Stichwort Trainer schmunzelt er: 2005 musste er auf Geheiss Constantins den Trainer entlassen – Gilbert Gress hiess der.
Im Rhoneknie ist der Verschleiss an Trainern gewiss grösser als anderswo, was selbst Chassot «ungewöhnlich» findet. «Es ist aber noch niemand mit der Pistole am Kopf gezwungen worden, hier zu arbeiten», sagt Chassot. Im Gegenteil: Jedes Mal,wenn Sion ein Spiel verliert, würden im Sekretariat zehn Bewerbungsschreiben interessierter Trainer eintreffen, behauptet Chassot. Folglich dürfte die Faxleitung ins Wallis derzeit ziemlich stark beansprucht sein: Von den vier Spielen seit der Winterpause hat Sion drei verloren.
Chassot glaubt gleichwohl ans Potenzial der Mannschaft, die im Herbst zwischenzeitlich sogar die Super League angeführt hatte, nach dem jüngsten 0:2 in Bern aber auf den sechsten Platz abrutschte. Das ist Constantin zu wenig. Er möchte in der Champions League spielen. Trotzdem brennt die Frage: Darf der FC Sion, immerhin Aufsteiger, nicht auch mal verlieren? «Natürlich darf Sion verlieren», sagt Chassot. Zu häufig allerdings nicht.
Feindbild Schiedsrichter
Lieblingsfeindbild der beiden Schmiede Sittener Erfolge sind die Schiedsrichter. Ein zwölfminütiges Video hätten sie geschnitten, sagt Chassot, auf dem zu sehen sei, wie häufig der Klub benachteiligt werde. Zehn Sekunden pro Sequenz – 72 Fehlentscheide. Alle aus dieser Saison. Constantins diverse Geplänkel mit der Swiss Football League oder dem Fussballverband nennt Chassot Kämpfe.
Er schwärmt von Constantin und dessen Loyalität. Und dankt mit viel Herzblut für die Sache. Das kann vermutlich nur nachvollziehen, wer Insider oder zumindest Walliser ist. «Der FC Sion ist eine Walliser Identität und das Stadion Tourbillon eine Kathedrale», sagt Chassot. Was dort gepredigt wird, bestimmt Sonnengott Constantin. Und Chassot bringt den Weisswein.