Beitragvon eifachöppis » 08.02.24 @ 16:46
Interview mit unserem letzten Meistermacher
Paar interessante Anektoten.
Seit einem Jahr arbeitslos: So geht es dem FCZ-Meistertrainer
Der Deutsche schwärmt von seiner Zeit in Zürich. Was ihn immer wieder hierherführt, wie «Bella ciao» zum prägenden Lied auf dem Weg zum Titel wurde und warum er zuletzt lukrative Angebote abgelehnt hat.
Wobei störe ich Sie?
Sie stören gar nicht. Ich war gerade mit dem Hund draussen. Es ist kalt bei uns in Hannover, windig und regnerisch, typisch norddeutsches Winterwetter halt.
Seit der Entlassung in Hoffenheim vor knapp einem Jahr sind Sie nicht mehr aktiv als Trainer. Warum?
Es haben mich zuletzt einige Angebote beschäftigt, häufig ging es dabei um Jobs im Ausland. Ich hätte in Saudiarabien, Ägypten, in der Türkei oder anderen Ländern sehr viel Geld verdienen können. Richtig überzeugt war ich bisher aber nie, auch bei Anfragen aus der Bundesliga nicht, deshalb habe ich nirgends zugesagt.
Wenn alles stimmt, sind Sie aber bereit, wieder einzusteigen?
Ich habe wieder richtig Lust, Trainer zu sein. Aus Erfahrung weiss ich allerdings, dass Aktionismus mir nichts bringt. Ich will nicht irgendwo unterschreiben, um einfach einen Job zu haben und um die Fragen nach meiner Zukunft nicht mehr aushalten zu müssen. Bei den Gesprächen mit dem FCZ war ich vom ersten Moment an überzeugt, dass ich in Zürich erfolgreich arbeiten kann. Genau dieses Gefühl möchte ich vor dem nächsten Engagement wieder haben.
Was hat damals beim FCZ dieses Gefühl ausgelöst?
Ich möchte nicht behaupten, dass ich im Vorfeld sehr viel wusste über den FC Zürich. Mir war klar, dass er ein Traditionsverein ist. Ich wusste auch, dass der Club drei Jahre in Folge fast abgestiegen wäre. Es war eine Ausgangslage, in der Menschen nach Erfolg lechzen, in der Menschen tiefe Freude verspüren, wenn Erfolg aufkommt. Eine bessere Ausgangssituation für einen Trainer gibt es nicht. Und ich wusste, was ich in Zürich mit meiner Art bewegen kann, welche Wirkung ich auf eine Mannschaft haben kann mit dem nötigen Glück und den richtigen Mitarbeitern.
Wie haben Ancillo und Heliane Canepa in den Verhandlungen auf Sie gewirkt?
Sie haben mich emotional gepackt. Ich war schnell derart überzeugt von allem, dass ich gesagt habe: Das mache ich.
Sie haben beim FCZ mit dem Meisterjahr sehr viel ausgelöst. Unter Ihnen stieg der Zuschauerschnitt auf über 13’000, und danach ging es einfach weiter. Im Moment kommen über 16’000 an die Heimspiele. Haben Sie das mitbekommen?
Natürlich.
Haben Sie es jemals bereut, den Club dann nach einem Jahr verlassen zu haben? Sie gingen nach Hoffenheim und wurden dort nach wenigen Monaten entlassen.
Das ist eine gute Frage – aber auch eine Frage, bei der ich extrem ins Detail gehen müsste, um sie zu beantworten. Um es kurz zu machen: So leid es mir damals für die Mannschaft, für das Trainerteam, die Leute im Club und die Fans tat – ich habe aus Überzeugung gehandelt und würde heute wieder so entscheiden.
Können Sie es trotzdem etwas genauer ausführen?
Der Gewinn des Meistertitels überdeckte gewisse Strömungen im Verein, die mir nicht gefielen. Einige im Club hatten plötzlich das Gefühl, es gehe nun wie selbstverständlich weiter mit dem Erfolg. Gleichzeitig bekam ich das Angebot aus Hoffenheim, das sehr attraktiv war, weil es mir die Möglichkeit bot, in einem Club mit noch einmal ganz anderen Voraussetzungen zu arbeiten. In diesen Tagen reifte in mir der Entschluss zum Wechsel. Mehr möchte ich nicht sagen, das führt zu nichts.
Lassen Sie uns über Ihr Zürcher Erfolgsjahr sprechen. Mit Ihnen als Trainer kam eine Leichtigkeit und Lockerheit in den Club, irgendwann schienen alle auf Wolken zu schweben.
Ich habe die Zeit beim FCZ nicht nur genossen, ich habe sie geliebt! Mir sind viele Leute ans Herz gewachsen, ich habe Freunde gewonnen, ich vermisse diese Menschen. Ich denke auch sehr gern an die Atmosphäre zurück. Auswärtsspiele waren mit vielen mitreisenden Fans wie Heimspiele für uns. Und dann die Mannschaft! Die Jungs sind uns zu hundert Prozent gefolgt, haben sich nach kleineren Erfolgen nicht zufriedengegeben und einfach immer weitergemacht. Über meine Zeit in Zürich kann ich nur schwärmen.
Einmal habe ich Sie vor einem ZSC-Heimspiel beim Hallenstadion gesehen. Wie offen Sie da auf Leute zugegangen sind, wie viel Zeit Sie sich für fremde Menschen genommen haben, hat viel über Sie erzählt.
Ich ging gern zum ZSC. Ich war auch in der Kabine des Teams und habe mich darüber gefreut wie ein kleines Kind. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass es auch für einige ZSC-Spieler und -Betreuer etwas Besonderes war, mich in der Kabine zu treffen. Strahlende Gesichter von Spielern, Fans, von Kindern – das sind Momente, die mir als Mensch einfach wichtig sind, das löst bei mir Gänsehaut aus.
Es gibt dieses wunderbare Video, als Sie den FCZ wegen einer Corona-Infektion nicht coachen konnten, sich nach dem Sieg gegen YB aber über den Bildschirm in der Kabine meldeten.
Dieses Video sagt alles aus über unsere Verbindung, über den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft, über diese Freude, über diese Leichtigkeit. Es gibt keinen besseren Imagefilm für den FC Zürich als dieses Video, das spontan entstand und dann viral ging.
Sie machten beim FCZ aus Ersatzspielern oder früheren Randfiguren Leistungsträger. Wie ging das?
Kommt ein neuer Trainer in ein Team, treffen Fremde aufeinander. Sie können nur zusammenfinden, wenn der Trainer totale Authentizität vorlebt, auf die Spieler zugeht und Werte vermittelt. Bei mir heisst das: Wir gehen den Weg gemeinsam. Wer dabei sein möchte, ist herzlich eingeladen. Wer nicht dabei sein möchte, kann auch gehen. Die Jungs müssen gern ins Training kommen und frei Fussball spielen können.
Das genügt aber noch nicht, um aus einem vermeintlichen Fehltransfer wie Assan Ceesay einen Topskorer zu machen.
Wenn ein Team häufig verliert, ist das extrem frustrierend. Es geht also zuerst darum, mit der eigenen Spielidee die Lust der Spieler zu wecken. Als ich nach Zürich kam, habe ich von einigen im Club gehört: Diesen Spieler müssen wir abgeben, und jener ist auch gescheitert. Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Also bin ich zum einen oder anderen hingegangen und habe gesagt: «Du bist also der, von dem hier alle sprechen, der eigentlich gut Fussball spielen kann, aber keine professionelle Einstellung hat, nun bin ich mal gespannt.» Wir haben also gemeinsam ein paar Dinge besprochen. Und danach entscheidet der Spieler, ob er bereit ist, alles zu investieren.
Stürmer Ceesay ist ein Beispiel für den Aufschwung, Verteidiger Mirlind Kryeziu ein anderes. Er war unter Ihnen Stammkraft, vorher hatte er kaum gespielt.
Es ist die Aufgabe des Trainers, die Spieler zu begleiten. Kryeziu war für mich in dieser Saison der beste Innenverteidiger der Liga, Ceesay erzielte plötzlich viele Tore. Und da war auch noch Blerim Dzemaili: Als ich kam, war er bereits seit einem halben Jahr zurück in Zürich. Nach seinen Auslandjahren stand er als Hoffnungsträger unter massivem Druck, ausserdem war er wiederholt verletzt gewesen. Im Meisterjahr war er dann der Kopf der Mannschaft, im Grunde hat er uns zum Titel geführt.
Lustig. Dzemaili hat einmal gesagt, Sie als Trainer hätten mit Ihrer Art alles ermöglicht, weil Sie es extrem gut verstanden hätten, eine Vertrauensbasis zu den Spielern zu schaffen.
Ich spreche nicht gern über mich, lieber über andere. Als ich nach Zürich kam, redete ich schnell mit Blerim. Ich spürte sofort, wie sehr er sich selbst unter Druck setzt, weil er eben auch so hohen Erwartungen ausgesetzt ist. Er glaubte, alles allein richten zu müssen. Das war von ihm bestimmt gut gemeint, aber das schafft kein Mensch. Ich habe ihm gesagt: «Du musst nicht das Gefühl haben, die ganze Mannschaft tragen zu müssen. Ich bin da, andere sind da. Mit 34 musst du auch nicht mehr den Anspruch haben, in jedem Match von Beginn an auf dem Rasen zu stehen. Uns hilft es nichts, wenn du dich wieder verletzt. Bringe deine herausragenden Qualitäten ein, und du wirst für mich hier die wichtigste Person sein.»
Der FCZ startete gut, gewann weiter und schien irgendwann einfach nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Mit jedem Sieg wächst die Überzeugung. Wenn es dann auch noch gelingt, und das ist so etwas wie die Königsaufgabe eines Trainers, auch diejenigen Spieler mitzureissen, die häufig nicht zur Startformation gehören, dann ist die Kraft riesig. Und was auch besonders war: dass kein Spieler plötzlich glaubte, der Erfolg sei normal. Dieses Gefühl verleitet Spieler häufig dazu, selbstgefällig zu werden, zufrieden zu sein und weniger zu investieren. So war es übrigens in Hoffenheim.
Sie standen bei Hoffenheim nach zehn Runden auf Rang 4, danach gewann die Mannschaft in neun Partien noch zwei Punkte.
In Zürich gab es diese Genügsamkeit nicht. Der Konkurrenzkampf war hoch, und die Führungsspieler sorgten dafür, dass wir nicht nachlassen. Oder sie erstickten die Unruhe sofort im Keim, wenn doch einmal einer unzufrieden war mit seiner Rolle im Team.
Nach Ihrem Abgang spielte Kryeziu wie vor Ihrer Ankunft kaum mehr eine Rolle. Tut Ihnen so etwas weh?
Natürlich habe ich noch Kontakt mit dem einen oder anderen vertrauten Spieler – auch mit Kryeziu. Aber aus der Ferne kann ich die Situation nicht bewerten, und es wird leider seine Gründe haben. Es ist für mich trotzdem schade, zu sehen, dass er keine Rolle mehr spielt, weil er ein toller Spieler sein könnte.
Sie haben von den Führungsspielern gesprochen, die nicht zuliessen, dass das Team nachlässt. Wer war das neben Dzemaili?
Zuerst muss der Trainer das vorleben. Doch wenn immer nur der Trainer spricht, wird es einseitig. Ich hatte mit Yanick Brecher und Antonio Marchesano exzellente Captains, die alles im Griff hatten. Blerim mit seiner Erfahrung stand trotzdem über allen, weil er wusste, dass es für ihn nicht mehr viele Möglichkeiten geben wird, die Meisterschaft zu gewinnen und so die Rückkehr zu seinem Club zu krönen.
Vor der Saison wurde der FCZ sogar als Abstiegskandidat gehandelt. Wann hatten Sie erstmals das Gefühl, dass die Mannschaft Meister werden kann?
Nach den ersten guten Wochen dachte ich, wir könnten um einen Platz im Europacup spielen. Irgendwann hatten wir dann zehn Punkte Vorsprung und gingen mit dem Gefühl auf den Rasen, dass wir heute auf jeden Fall gewinnen. Und dann hatten wir im Trainingslager im Winter noch ein Schlüsselerlebnis, das alle Energie zeigte, die in diesem Team steckt.
Erzählen Sie.
Wir waren in der Türkei, und Frau Canepa hat uns zu einem Mannschaftsabend eingeladen: Wir gingen gemeinsam essen, ein tolles Restaurant mit riesigen Aquarien. Es lief gute Musik, die Atmosphäre war locker, und dann kommt dieses Lied: «Bella ciao». Einige Spieler standen auf, fingen an, mit den Servietten zu wedeln und mitzusingen. Und plötzlich stand das gesamte Team, der gesamte Staff inklusive Cheftrainer und Präsidentin. Alle machten mit. Dieser Moment war für mich ein Zeichen, dass wir in dieser Saison einfach nicht aufzuhalten sind.
«Bella ciao» spielte dann auch in der Kabine eine Rolle.
Wir hatten zwei Lieder, die wichtig waren. «Bella ciao» wurde immer gespielt, wenn wir nach den Spielen zurück in die Kabine kamen. Und bevor wir zum Warm-up auf den Rasen gingen, lief «La bicicleta». Auch hinter diesem Lied steckt eine Geschichte. Irgendwann fing Adrian Guerrero an, auf Spanisch mitzusingen. Von Woche zu Woche haben mehr Spieler mitgemacht, am Ende alle. Wir haben mit diesem Song Energie aufgebaut und sind dann gemeinsam ins Stadion gegangen. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, habe ich stets ein Lächeln im Gesicht.
Musik als Leistungsfaktor?
Jedes Team hat seine Playlist, aber es war schon aussergewöhnlich und funktioniert auch nur, wenn die Situation positiv ist. Nach Niederlagen tanzt niemand in der Kabine. Vor dem Spiel herrscht eine gewisse Anspannung. Die braucht es auch, um voller Energie ins Spiel zu gehen. Die Musik hat uns die nötige Lockerheit dazu gegeben.
Sie hatten ein sehr gutes Händchen bei Einwechslungen. Wiederholt erzielten Ersatzspieler wie Wilfried Gnonto oder Blaz Kramer wichtige Treffer.
In dieser Saison hat einfach alles gepasst. Ich habe vorher darüber gesprochen: Wir haben versucht, allen Spielern das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Gnonto war ein junger, ehrgeiziger, ungeduldiger Junge. Natürlich wollte er immer von Beginn an spielen. Aber bei ihm war es auch so, dass er als Einwechselspieler zunächst den grössten Wert für die Mannschaft hatte. Oft wurden wir durch Einwechslungen gar noch stärker. Gnonto habe ich gesagt: «Ich verspreche dir: Die Clubs, die auf dich schauen, sehen deine Qualitäten auch in 30 Spielminuten.» Und so war es dann ja auch. (Gnonto wechselte nach dem Meisterjahr für rund 4,5 Millionen Franken zu Leeds in die Premier League.)
Wie oft waren Sie seit Ihrem Abgang noch in Zürich?
Vier Mal. Ich war an zwei FCZ-Spielen und am Leichtathletikmeeting. Ich war auch schon in der Stadt, nur um alte Freunde zu besuchen. Es soll sich jetzt nicht nur toll anhören, aber mein Weg wird immer wieder nach Zürich führen, weil ich mit dieser Stadt und dem FCZ einfach viele positive Emotionen und Momente verbinde, weil Zürich ungemein schön ist und weil ich Leute kennen gelernt habe, zu denen ich mein Leben lang Kontakt halten werde.