Interessanter Bericht aus dem SG Tagblatt über den Chefscout und das Scouting des FCSG:
https://www.tagblatt.ch/sport/fcstgalle ... duced=true
Der Perlensucher – wie FCSG-Chefscout Nnamdi Aghanya neue Spieler findet und weshalb er immer über eine «Schattenmannschaft» verfügt
Seit fünf Jahren ist Nnamdi Aghanya Chefscout des FC St.Gallen. Der 47-Jährige will auf Fragen von Trainer und Sportchef stets eine Antwort bereit haben. «Wir müssen immer auf alles vorbereitet sein», sagt er.
Patricia Loher 01.07.2023, 05.00 Uhr
Die Zeit ist wieder einmal intensiv. Spieler gehen, Spieler kommen und was andere Akteure vorhaben, steht noch in den Sternen. Der FC St.Gallen ist gerade dabei, seiner Mannschaft zu einem grossen Teil ein neues Gesicht zu verleihen.
Ganz am Anfang von Spielertransfers steht Nnamdi Aghanya. Er sagt: «Wir müssen immer eine Antwort bereit haben und auf alles vorbereitet sein.»
Der 47-Jährige ist St.Gallens Chefscout. Er steht einem achtköpfigen Team vor, das nach der Amtsübernahme von Präsident Matthias Hüppi und Sportchef Alain Sutter zusammengestellt wurde.
Sein Auftrag: Spieler finden, Spieler beobachten. Auf Akteure stossen, die noch nicht auf dem Radar anderer, finanzkräftigerer Klubs aufgetaucht sind. «Sie sollten noch nicht allzu viel gespielt haben. Sonst gibt es für sie schon einen Markt», sagt der in Kamerun geborene Schotte.
10'000 Dokumente in der Datenbank
Aghanya hat ein ausgeklügeltes System etabliert. Die Scouts, zu denen auch der frühere Assistenztrainer Werner Zünd gehört sowie ein Beobachter in Deutschland, werden zielgerichtet losgeschickt. Sie liefern nach jedem Spiel kurze, aber prägnante Berichte.
10'000 solcher Dokumente haben in den vergangenen fünf Jahren den Weg in die Datenbank des FC St.Gallen gefunden. Wird ein Akteur interessant, nimmt ihn noch ein zweiter Scout unter die Lupe. 75 Prozent der Spiele beobachtet das Team in der Schweiz: Challenge League, Promotion League, 1. Liga Classic und Nachwuchs-Spitzenfussball.
Für den Chefscout geht es oft auch nach Italien, Spanien, Österreich oder Frankreich. 390'000 Kilometer hat er in den vergangenen fünf Jahren mit seinem Auto zurückgelegt.
Als die spannendsten Märkte bezeichnet Aghanya Italien, Spanien und Frankreich, wo viele Spieler gut ausgebildet sind, in den höchsten Ligen aber aufgrund der qualitativ grossen Auswahl nicht unterkommen.
Die «Schattenmannschaft»
St.Gallen verfügt immer über eine «Schattenmannschaft». Also über eine Liste mit Spielern, die sofort kontaktiert werden könnten. Aber natürlich gestaltet sich die Angelegenheit nicht gar so einfach. Denn die Ausgangslagen ändern sich schnell. «Vielleicht hat der Spieler gerade seinen Vertrag verlängert. Oder den Klub schon gewechselt», so der Chefscout.
Deshalb reicht ein «Schattenteam» nicht aus. Das Ziel ist es, für Trainer und Sportchef pro Position immer drei bis vier Vorschläge bereit zu haben. Manchmal benötigt es auch einen fünften Kandidaten.
Die Digitalisierung hat die Arbeit in den vergangenen Jahren vereinfacht. So werden auf der Plattform «Wyscout» Spiele aus der ganzen Welt und unterschiedlichen Ligen bis hin zu U19-Partien archiviert.
Mehr als 2000 neue Fussballpartien werden jede Woche hochgeladen, von Analysten bis ins Detail seziert. So kann beispielsweise abgerufen werden, wie sich ein Spieler im Pressing verhält. Oder welche Qualität seine vertikalen Pässe haben. Aber trotzdem sagt Aghanya: «Das Scouting vor Ort ist unersetzbar.»
Die klare Spielidee hilft den Scouts
Denn für den FC St.Gallen ist nicht nur die fussballerische Qualität eines Akteurs entscheidend, sondern auch Intelligenz und Charakter. Schon beim Aufwärmen vor einer Partie könne man sehen, wie sich ein Spieler verhalte, sagt der Chefscout.
«Zentral ist für uns, dass wir keine egoistischen Spieler holen. Sie passen nicht zu uns und in das System, das unsere erste Mannschaft spielen soll. Wir brauchen Spieler, die im Kopf stabil sind.»
Die klare Spielidee der sportlichen Leitung hilft der Arbeit der Scouts. Die Anforderungen sind unmissverständlich, zwei Grundeigenschaften stehen im Zentrum. Die Spieler müssen jung und schnell sein. «Zudem fragen wir uns immer: Bringt uns ein Spieler auch in der Kabine Energie? Oder zieht er sie eher ab?»
Stürmer Emmanuel Latte Lath war in dieser Beziehung offenbar ein Glücksfall. Nicht nur auf dem Platz wegen seiner Tore, sondern auch neben dem Feld wegen seiner Offenheit und integrativen Art.
Latte Lath hätte noch viele Tore mehr erzielen können
Für den Chefscout ist die Arbeit mit der Vertragsunterschrift zwar beendet. Dann übergibt er den Spieler an Trainer und Sportchef. Die Entwicklung aber verfolgt er trotzdem intensiv.
So hat Aghanya alle Partien der St.Galler der vergangenen Saison nochmals studiert und dabei festgestellt, dass Latte Lath aufgrund seiner Chancen 23 Treffer mehr als «nur» deren 14 hätte erzielen müssen. «Eine weitere Saison in St.Gallen täte ihm gut», sagt Aghanya.
Auf den 24-jährigen Ivorer ist der Chefscout per Zufall gestossen. Er wollte sich in Italien eigentlich einen anderen Spieler ansehen, als ihm beim Gegner Latte Lath auffiel. «Ich sah sofort, dass er zu uns passt.» Das Leihgeschäft verzögerte sich allerdings um zwei Jahre. Ob St.Gallen seinen besten Torschützen nun definitiv von Atalanta Bergamo übernehmen kann, ist ungewiss.
«Hier können Spieler erwachsen werden»
Vor zehn Jahren ist Aghanya beim FC St.Gallen unter Trainer Jeff Saibene als Datenanalyst eingestiegen. Beim FC Basel hatte er sich bereits einen Namen gemacht, als nach einem Trainerwechsel die Vorstellungen nicht mehr übereinstimmten.
Aghanya wurde in St.Gallen vorstellig, präsentierte Saibene seine Ideen und erhielt eine Anstellung. Vor fünf Jahren schliesslich folgte die Beförderung zum Chefscout. Viele Transfers waren in dieser Zeit ein Erfolg, andere weniger.
Aghanya weiss: Es gehört dazu, dass Erwartungen teilweise gegenseitig nicht erfüllt werden. «Aber dank des stabilen Umfelds können wir Spielern helfen, erwachsen zu werden, um den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen.»