Zhyrus hat geschrieben:Das ist systembedingt. Zürilive bewertet die einzelnen Aktionen, grundsätzlich in sehr gut - gut - schlecht - Cömert-penaltymässig, oder so ähnlich. Das heisst, es gibt eine begrenzte Anzahl Punkte für extrem gute oder schlechte Aktionen. Als Fussballkonsument neigen wir den Einfluss eines Spielers aufgrund von Schlüsselszenen zu bewerten, so ist ein Assist - wie im Falle von Blerim - deutlich präsenter in unseren Köpfen und somit wertvoller als 5 gute Aktionen in der eigenen Hälfte, die zu nichts führen. Die Leistung fällt dann nicht so schnell in's Negative, wenn Blerim hinten recht oft mal einen Stellungsfehler einstreut, weil er ja die Spielentscheidung mit einer überragenden Aktion herbeigeführt hat.
Es hat beides seine Berechtigung! Auf der einen Seite brauchst du diesen Dosenöffner, diese eine Aktion, die das Spiel in deine Richtung bringt. Auf der anderen Seite gewinnst du keinen Blumentopf, wenn die Details nicht stimmen und du eine Menge kleine Fehler machst. Ein Cömert hat gestern das gesamte Spiel mit einer dummen Grätsche entschieden. Man kann das als einzelnen Fehler sehen, der jedem passieren kann und den man locker kompensieren könnte, oder man kürt ihn zum Flop des Spieles, weil er hat die Niederlage in die Wege geleitet hat. Letzteres müsste dann aber auch für Brechers Pässe in die Basler Stiefel gelten.
Das beschreibt es ziemlich gut.
Florian hat geschrieben: Ebenfalls scheinen auch mir die "Soft Skills" wie eine positive Auswirkung auf die Mitspieler völlig aussen vor zu bleiben in diesem Bewertungsschema...
Die Bewertung soll ja so objektiv wie möglich sein, und bei der Bewertung von "Soft Skills" kann es leicht passieren, dass man die Auftritte gewisser Spieler nur noch durch eine Rosabrille sieht, weil man irgendwann mal für sich entschieden hat, dass das die "Leadertypen" mit der "positiven Ausstrahlung" sind. Bei jemandem wie Dzemaili hat man das ja quasi schon vor dem ersten Spiel entschieden. Speziell für den Fall, dass der FCZ gewinnt, waren die Schlagzeilen und Kommentare bereits vor der Partie gemacht. Tatsache ist aber, dass das kaum jemand Externes wirklich seriös beurteilen kann. Und was ein Spieler neben dem Platz und in der Kabine alles leistet, kann nun mal auch nicht Teil einer objektiven Spielanalyse sein. Das sind Elemente, die man intern am besten beurteilen, einordnen und mitberücksichtigen kann.
Das heisst nicht, dass Soft Skills in der Spiel-Bewertung völlig aussen vor bleiben. Sie fliessen aber nur ein, wenn eine konkrete positive oder negative Wirkung auf Mitspieler, Gegenspieler oder Schiedsrichter in den Bildern offensichtlich nachweisbar ist. Zum Beispiel hat Dzemaili gegen St. Gallen positive Defensivpunkte erhalten, als er als Einziger bemerkt hat, dass bei einem Eckball St. Gallens neu eingewechselter Staubli von niemandem gedeckt wird und Tosin angewiesen, dies zu übernehmen. Es kann auch Negativpunkte geben wie für Tosin, der gegen Vaduz mehrmals gestenreich Wallner und Schättin Anweisungen erteilt hat, die widersprüchlich zu seinem eigenen Handeln waren und er brachte sich dabei auch noch selbst aus dem Konzept und verlor beispielsweise den Ball.
Grundsätzlich gilt, dass wenn jemand die ganze Zeit Anweisungen gibt, dies nicht per se positiv sein muss. Es gab in den letzten Jahren mehrere Fälle von Spielern beim FCZ, die viel dirigierten, aber damit den Mitspielern wohl in erster Linie einfach auf die Nerven gingen, auch weil sie aufgrund ihres eigenen bescheidenen Auftretens gar nicht den Status und die Anerkennung als Führungsspieler in der Mannschaft haben konnten. Es trägt nicht unbedingt zu einem guten Teamgeist bei, wenn der neue Spieler A, der wenig Sozialkompetenz und ein geringes Standing im Team hat, und eher mediokre Leistungen auf dem Platz zeigt, gestenreich Anweisungen erteilt, die vielleicht erst noch nicht wirklich viel Sinn ergeben – und damit zum Beispiel einen Spieler B, der ein hohes Standing hat, lange dabei ist und viel leistet, in den Augen von oberflächlichen Medien und Zuschauern zum «Anweisungsempfänger» und Mitläufer degradiert.
yellow hat geschrieben:Sehe ich auch so. Da Zürilive aber schon jetzt einen riesigen Aufwand betreibt, werde ich mich hüten, ihm eine Ausdehnung seiner Bewertungskriterien vorzuschlagen. Aber evtl. müsste er einfach bei so entscheidenden Situationen (Vorbereitung eines Tors oder einer 100%-igen Chance, die dann von einem weniger talentierten Stürmer vergeigt wird) mit einem Faktor 2 oder gar 3 multiplizieren. Aber evtl. macht er das ja schon. Ich muss zugeben, dass ich nicht mehr genau weiss, wie sein Bewertungssystem funktioniert. .
Faktor 2 und 3 ist schon fast seit Beginn implementiert. 1 Punkt gibt eine Aktion, die überdurchschnittlich ist. Eine normale Kopfballklärung einer Flanke aus dem Strafraum gibt beispielsweise keinen Punkt. Ist die Klärung allerdings besonders schwierig, war der Verteidiger besonders aufmerksam/proaktiv, in grosser Bedrängnis und/oder kommt der Ball ausserhalb des Strafraums auch noch direkt zu einem Mitspieler und nicht zum Gegner, gibt’s einen Punkt. Sehr gute Aktionen geben zwei Punkte. Aussergewöhnliche Aktionen 3 Punkte. Die Bezeichnung «Top-Aktionen» ist daher vielleicht etwas erklärungsbedürftig, denn eine Top-Aktion definiert sich mit zwei Punkten. Zwei überdurchschnittliche Aktionen ergeben also eine Top-Aktion und eine 3 Punkte-Aktion sind 1,5 Top-Aktionen. Negativpunkte werden mit 1,5 multizipiert – die Gesamtnoten würden sonst zu hoch herauskommen. Das ist schlecht für jemanden wie Dzemaili, der einige Glanzpunkte mit 3 Punkten aber zur Zeit auch sehr, sehr viele Negativaktionen hat.
Die Situation mit Dzemaili ist schon aussergewöhnlich. Es gab immer wieder Spieler mit einzelnen Glanzpunkten und einer generell schlechten Leistung wie zum Beispiel Popovic oder lange Zeit Kololli. Die hatten dann aber in diesen Phasen in der Regel jeweils nicht so viele Torbeteiligungen wie Dzemaili, denn sie haben nicht die gleiche für Super League-Verhältnisse weit überdurchschnittliche Klasse und Erfahrung wie letzterer.
Eventuell werde ich mal noch Faktor 4 implementieren, aber wahnsinnig viel würde das auch nicht ändern, denn es gibt halt sehr viele Aktionen während eines 90-minütigen Spiels. Die «vielen kleinen Dinge» haben in der Super League-Realität mit vielen Mannschaften auf ähnlichem Niveau einen enormen Einfluss auf den Erfolg. Sie kippen im Normalfall ein Spiel auf die eine oder andere Seite. Bin zur Zeit grad am YB-Spiel dran. Die ersten 15 Minuten des FCZ waren sehr gut. Jetz bin ich grad in der Phase rund um das erste Tor angelangt, wo man als Betrachter fast selbst in Schräglage kommt, so plastisch sieht man das "Kippen des Spiels" auf die YB-Seite durch mehrere kleine Fehler von Dzemaili, Khelifi oder Kramer vor sich.
Man kanns aktuell auch sehr schön am FCB beobachten. Sie haben (mit einem qualitativ deutlich besser bestückten Kader) ähnliche Probleme wie der FCZ lange Zeit unter Magnin. Grundsätzlich gewinnt in der Super League fast immer die Mannschaft, die (vor allem defensiv) weniger Schwachpunkte aufweist, und nicht das Team mit einzelnen Top-Spielern. Oder anders gesagt: das Team mit dem stärksten Spieler Nummer 11 gewinnt, nicht dasjenige mit dem stärksten Spieler Nummer 1. YB hat fast nie einen Schwachpunkt. Maceiras ist ein kleines bisschen einer, wenn man mal auf ihn zurückgreifen muss wie in Zürich. Manchmal auch Lefort. Oder wenn ein Von Ballmoos mal eine schwache Phase hat und man ihn aus langfristigen psychologischen Gründen verständlicherweise trotzdem nicht ersetzen will, wie vor einiger Zeit mal. Der FCB hat trotz prominenterem Team mehr Schwachpunkte.
yellow hat geschrieben:So wirklich stören tut mich eigentlich nur die Tatsache, dass Spieler, die z.T. knapp 10 Minuten auf dem Platz standen, oft zu gut oder dann miserabel wegkommen.
Einwechselspieler können durchaus auch einen grossen Einfluss auf das Resultat haben. Ich würde sagen, es waren aber trotzdem bisher mehrheitlich Spieler aus der Startformation MVP.
Bei Spielern, die +/- 45 Minuten auf dem Platz sind, wird die (positive oder negative) Gesamtpunktzahl mit dem Faktor 1,5 multipliziert, bei +/- 30 Minuten ist es Faktor 2, bei +/- 20 Minuten Faktor 3 und bei +/- 10 Minuten Faktor 4. Natürlich, wenn einem Einwechselspieler alles gelingt oder alles misslingt, ergibt dies schnell mal eine extreme Note, denn jede Aktion zählt doppelt und dreifach, aber aus meiner Sicht durchaus gerechtfertigterweise. Es liegt in der Natur der Sache eines Jokers. Bei einem Spieler, der 90 Minuten spielt, gibt es mehr Raum für Leistungsschwankungen. So hätte Tosin in St. Gallen nach den ersten 20-30 Minuten wohl eine Note «1» gehabt, hat sich dann aber im Verlauf des Spiels stark gesteigert.
Die Multiplikationsfaktoren rechnen bewusst auf eine Zeit von 40-70 Minuten hoch, nicht 90 Minuten. Denn von Spielern mit kürzeren Einsätzen können mehr Aktionen pro Zeiteinheit erwartet werden. Auch wenn ein Spieler, der in der 20. Minute verletzt raus muss, das natürlich nicht vorher wissen und sich dementsprechend verausgaben konnte.
Was ich mache, ist Leistungsanalyse, und die Bewertung der einzelnen Aktionen muss dabei unabhängig davon sein, was die Mitspieler und Gegenspieler aus der Aktion machen. Die «Böcke» von Brecher gegen Basel geben dieselbe Minuspunktzahl unabhängig davon, ob Zhegrova danach ein Tor macht und ob es anerkannt wird. Darum ist die Durchschnittsnote bei einem Sieg auch nicht immer gut und bei einer Niederlage nicht immer schlecht.
Bisher habe ich mich einfach noch nie dazu durchringen können, einen Spieler als MVP zu betiteln, der nicht zu den Spielern mit der höchsten Note gehörte. Auch wenn die Bezeichnung grundsätzlich eher auf den Spieler mit der Beteiligung (im positiven) Sinne an den meisten entscheidenden Aktionen abzielt, was hier ja etwas vermisst wird. Möglich, dass ich den Faktor «entscheidende Aktionen» auch aufgrund der Inputs hier in Zukunft beim MVP stärker berücksichtige und zwischendurch auch mal ein Spieler mit Note 5 oder 6 MVP sein kann. Das ist auch nicht wirklich ein zusätzlicher Aufwand in der Auswertung. Ein Spieler mit ungenügender Note wie zuletzt Dzemaili kann ich aber so oder so kaum als MVP in Betracht ziehen.
P.S.: Dem «Hilfe – Teamanalyse» habe ich geantwortet