Alle reden von "Verkommerzialisierung", doch was ist das genau?
Der Sport, wie wir ihn kennen und lieben, war immer auch ein Spiel um Geld. Da gab es reiche Gönner, gutbezahlte Profis und das Lächeln auf dem Gesicht des Kassenwartes. Es gab die fahrenden Händler mit Kirmesbuden, die Schals, Aufnäher und Presslufthupen verhökerten. Und es gab Bandenwerbung, offizielle Sponsoren der Nationalmannschaft und ab und zu singend werbende Stars.
Doch was uns heute um die Augen und Ohren gehauen wird und das eigentliche Treiben auf dem Rasen und den Stadionrängen immer mehr in den Hintergrund drängt, explodierte erst in den letzten paar Jahren: Die in den achtziger Jahren aus dem Boden geschossenen Privatsender buhlten um die Übertragungsrechte aus europäischen Wettbewerben. Die Werbebranche kaufte die Fernsehwerbeminute vor Anpfiff, in der Halbzeit und nach dem Schlusspfiff. Neue, bunte Sportmagazine mit Klatsch und Tratsch verkauften sich ebenfalls prächtig und schliesslich, dermassen zugedröhnt mit voller Ladung Fussball, kauften auch die lieben Kunden alles Erdenkliche, so nur ein Vereinslogo oder eine Lederkugel darauf prangte.
Die Auswirkungen sind klar: Hauptposten der Vereinsumsätze der Clubs ist nicht mehr der Obolus am Kassenhäuschen, sondern ein Einnahmemix aus Fernsehgeldern, Werbeeinnahmen und Fanartikeln. Das Fernsehen wurde zum wichtigsten Kunden der Vereine und dementsprechend hofiert. Jede Europapokalbegegnung wird live übertragen; und damit auch alles zeitversetzt über die Mattscheibe huschen kann, kommt es zu ulkigen (und fanfeindlichen) Spielansetzungen; Dienstag um 14 Uhr in Jotwede oder Montags um 19.25 zum 'Topspiel' der zweite Liga. (Oder eben im Hockey 19:30, Anmerkung)
Die Terminansetzung der Spiele richtet sich schon einige Jahre hauptsächlich nach den Interessen der Sender und Werbekunden und nicht mehr nach dem zahlenden Zuschauer im Stadion. England und Spanien zeigen deutlich, wo der Profisport hinkommt, wenn noch mehr im Fernsehen übertragen wird: Spieltage sind erst nach einer Woche komplett, die Spitzenteams sind ständig in der Glotze zu sehen und das Interesse an kleineren Clubs und unteren Ligen nimmt ab.
Der Sport verliert so seine Vielfalt und entwickelt sich Schritt um Schritt zum reinen Medienspektakel. Mittlerweile darf das Fernsehen nicht nur sagen, "wann" gespielt wird, sondern bestimmt zunehmend auch das "wie". Das Spiel soll noch fernsehgerechter werden.
Doch nicht nur das Fernsehen macht dem Fan das Leben schwer und dem Sport wohl bald den Garaus. Den Weltfu\'dfballfunktion\'e4 ren ist das liebe Geld und der totale Kommerz dermassen zu Kopf gestiegen, dass sie auf die Abschaffung der Stehplätze in den Stadien drängen und europäische Partien nur noch vor versitzplatzten Tribünen abhalten lassen (das ganze wird nur notdürftig verschleiert von Sicherheitsrhetorik).
Was in England zunächst als Reaktion auf die Stadionkatastrophe von Sheffield im sogenannten Taylor-Report ersonnen wurde, wurde rasch zur Leitlinie der UEFA - mit dem Hintergedanken, dass Fussball zu einer sauberen, vor allem ein mittelständisches Publikum ansprechenden Sache werden soll und ein für allemal befreit vom Stigma des rauhen proletarischen Volksvergnügens. Die wichtigste Zielgruppe der Funktionäre und Manager ist demnach der gut betuchte Dauerkarteninhaber, der mit Geld und Anhang ins Stadion pilgert, den Fanartikelstores vor Anpfiff noch einen Besuch abstattet, um es sich dann, um ca. 200 Mark erleichtert, in seiner Sitzschale oder VIP-Lounge gemütlich zu machen. Die traditionellen Fangruppen werden herausgedrängt - in England kostet die billigste Eintrittskarte über 35 Mark.
Mächtigstes Vehikel bei der Durchsetzung eines rundum modernisierten Sports sind ausgerechnet die internationalen Wettbewerbe, sei es der reformierte Europacup oder die Welt- und Europameisterschaften. Nach der Wahl von Josef Blatter zum FIFA-Generalsekretär wird mit mächtigen Schritten umgemodelt. Die Championsleague wurde zu Gunsten der kontinentalen Grossclubs ausgeweitet, nachdem sich die sogenannten 'G 14' (die mächtigsten vierzehn Vereine Europas tauften sich so in massloser Anspielung auf die Treffen der globalen Wirtschaftskapitalisten) dafür stark machten. Die Meister der kleineren Verbände in der UEFA müssen von nun an in die Qualifikation für die lukrative Championsleague, in den reichsten Ländern kann sich sogar der Tabellenvierte in die Meisterrunde spielen. Auch in Bundesliga, Premier-League, Italiens Seria A und der Primera Division ist damit nicht für alle rosig. Denn die Geldmengen, die die Mitspieler in einer Saison der Championsleague anhäufen können, drängt die Mittelfeldteams und Fahrstuhlmannschaften vollends ins finanzielle Hintertreffen. Zustände, wie in der niederländischen Ehrendivision mit drei, vier Spitzenclubs und ansonsten (hoffentlich) anständigen Verlierern werden auch in Europas Eliteligen zum langweiligen Normalfall werden.
Mit dem Bewerbungsauflagen für Europa- oder Weltmeisterschaften wird das übrige getan. Die Richtlinien der FIFA für internationale Meisterschaften schreiben haargenau vor, in was fürr einem Umfeld überhaupt noch Fussball gespielt werden darf. Nur reine Sitzplatzarenen dürfen sich überhaupt für EM- oder WM- Spiele bewerben. Dazu gilt das Augenmerk der Funktionäre mehr den VIP-Logen, Kameraperspektiven und dem Journalistentross, als den Interessen der (heimischen) Fans, die die Umbauten nicht nur an den drei, vier Wochen ertragen müssen, sondern die ihren weiteren "Alltag" als Besucher bestimmen werden. Die Weltmeisterschaft in Frankreich zeigte zudem, in welcher Weise sogar die Vergabe der Tickets zum Umbau des Fussballs und seines Publikums instrumentalisiert wurde. Die meisten Eintrittskarten der WM 98 gingen nicht mehr in den freien Verkauf, sondern wurden in Paketen an Sponsoren und Firmen abgegeben, was zu einem ungewöhnlich sportfremden Publikum gerade bei den Grossereignissen des Halbfinales oder Endspiels führte. An den "normalen" Fans ging die letzte WM jedenfalls weitgehend vorbei. Logisch, denn die Zielgruppe für den Fussball 2000 hat mit den gewachsenen Fanszenen nichts mehr zu tun. Fankultur ist nur noch atmosphärisch erwünscht.
Leverkusns Manager Calmund machte sehr deutlich, worum es (ihm) geht: "Der Zuschauer von heute will doch im Stadion ein soziales Ereignis zelebrieren. Ein gutes Essen, mit Freunden treffen, gut parken und wieder nach Hause fahren. Wir sollten von Amerika lernen (dieses Zitat sagt mehr als 1000 Worte) und alles weniger verbissen sehen". Mit diesem Sport, der ohne uns Fans überhaupt nie so weit gekommen wäre, dafür zum europäischen Kulturerbe zählt, hat das alles wenig zu tun.
Schliesslich die sportliche Seite. Sicherlich waren es auch früher schon die reichen Clubs, die den ärmeren die Spieler wegschnappten, die mehr Geld und deshalb auch mehr Erfolg hatten. (Lugano, ZSC,....) Doch die Entwicklung der letzten Zeit, die den Erfolg eines Clubs zunehmend vom Jahresumsatz, denn von sportlichen Siegen abhängig sieht, verändert die Vereine und die Mannschaften radikal.
Wenn es so weiter geht, werden wir bald wohl "Football on Ice" geboten bekommen, und wenn dann eines Tages alle Vereine mittelständische Unternehmen geworden sind, machen sie sich selbständig vom altertümlichen DFB und gründen eine Profiliga nach amerikanischem Vorbild, in der es zwar Play-Off-Meisterschaften gibt, aber natürlich keine Abstiege mehr - wer könnte sich dann noch so etwas leisten...? Oder, weniger dramatisch, aber leider viel wahrscheinlicher, die Grossclubs spielen mit ihren besten Spielern in der finanziell interessanteren "Europaliga", und halten ihre zweite, dritte Bankbesetzung in der Liga fit, aus der nur noch ein, zwei Teams absteigen können (Wie war das noch mit der Nationalliga?). Die Seele des Spiels, wie wir es kennen und lieben, besteht aber aus Auf- und Abstieg, aus 'existenziellen' Spielen und aus Fans, die mitgehen und mitleiden, die das Spiel überhaupt erst zu dem Ereignis gemacht haben, das die Seelenverkäufer in den Chefetagen des Profisports so leichtfertig verhökern.
Diese Kommerzialisierung machen das Spiel kaputt!
Zum üblen Schluss vielleicht das schlimmste für den Sport, die Entwicklung auf dem Transfermarkt. Natürlich ist es nur allzu verständlich, dass die durch das 'Bosman-Urteil' endlich rechtlich mit anderen Lohnempfehlngern gleichgestellten Profispieler um Spitzengehälter schachern; zumal wenn die Vereine sie bezahlen. Dennoch gefährden die Kicker damit ihre eigene Basis, denn nur viele professionell bezahlende Clubs gewährleisten auch vielen Profis ein Einkommen. Durch die Gehaltsspirale überdrehen sich aber die Massstäbe. Die Spitzenclubs können ablösefrei jeden talentierten Spieler der ärmeren Konkurrenz abwerben. Die normalen Clubs machen dasselbe in den tieferen Ligen, der finanzielle Druck wird immer weitergereicht, bis die Basis, die Amateurvereine nicht mehr mithalten können und - wie schon zu sehen - reihenweise das Handtuch schmeissen. Mit beträchtlichen Folgen vor allem für die Nachwuchsförderung und den "Volkssport", der auch deshalb so gemocht wird, weil er von so vielen selbst ausgeübt wird.
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