Beitragvon fischbach » 05.03.14 @ 15:48
Tages-Anzeiger, 5.3.14
Der friedliche FCZ-Hooligan
Die Comicfigur Stan the Hooligan treibt seit 2004 in Fanmagazinen und Blogs ihr Unwesen. Nun wird der kecke Kerl in einem Buch verewigt.
Von Thomas Wyss
Erst der Steckbrief. Ein Steckbrief, der auch ein Psychogramm ist, doch Steckbrief passt fast besser, immerhin ist die Figur, um die es geht, ein Hooligan - ein Hooligan namens Stan.
Stan the Hooligan, so viel ist bekannt und gewiss, arbeitet als Ambulanzfahrer fürs Unispital. Was man auch weiss: Sein Grossvater, ein nach Zürich emigrierter polnischer Bauer, hat im Zweiten Weltkrieg auf dem heutigen Letzigrundrasen im Zeichen der damaligen «Anbauschlacht» Kartoffeln angepflanzt und geerntet. Es ist anzunehmen, dass Stan wegen dieses familiären Hintergrunds dem FC Zürich nahesteht. Und zwar sehr nahe, wie er betont: «Ich steh bei jedem verdammten Match in der Kurve!»
Des Weiteren ist es auch kein Geheimnis, dass Stan ein klarer Befürworter der Pyrotechnik («Das gehört doch zur echten Fankultur! Aber okay, kontrolliert abbrennen, find ich wichtig»), von Sprayereien («Das gehört doch zur echten Lebenskultur! Aber okay, schön auftragen, find ich wichtig») und natürlich von Choreografien ist - blöderweise, das ist seiner Tollpatschigkeit zuzuschreiben, hat Stan in den letzten Jahren allerdings gleich mehrere dieser mit viel Liebe und Mühe gestalteten Choreos ruiniert, was ihm jeweils fürchterlich leid tat. Wie jeder waschechte «Hool» trinkt Stan zudem gern Büchsenbier, und je mehr davon er intus hat, umso akzeptabler wird sein Fangesang.
Man könnte jetzt den Eindruck kriegen, Stan sei ein ganz normaler Fussballverrückter, doch dem ist nicht so - mit Nationalmannschaften hat er gar nichts am kleinen Hut, nicht mal mit der polnischen. Deshalb verpasst er genauso bewusst wie konsequent alle EM- und WM-Spiele. Gefragt nach dem unvergesslichsten Moment seines Lebens, muss Stan keine Sekunde nachdenken. «Logo, das war, als ich an der FCZ-Meisterfeier 2006 mit Präsi Hotz auf dem Volkshaus-Balkon war, während er den legendären Shuffle hinlegte. Er forderte mich dann zum Mittanzen auf, er sagte wörtlich: ‹Komm Kurzer, machen wir den Sven-&-Stan-Move.› Zuerst hatte ich den Megaschiss in den Jeans. Doch dann habe ich einfach losgelegt, habe dasselbe gemacht wie der Präsi, und viele 1000 Leuten haben uns zugejubelt. Es war meine ganz persönliche Mondlandung!»
«Kurzer» ist ein wichtiges Stichwort: Stan ist für einen Mann und besonders für einen Hooligan tatsächlich eher klein geraten; man schätzt ihn auf 1,61 Meter (er selbst äussert sich nicht dazu). Womöglich verdankt es Stan aber just dieser geringen Körpergrösse, dass er noch nie in eine Keilerei verwickelt war (er selbst behauptet, das liege an seiner pazifistischen Haltung). Einige Rätsel gibt auch sein Alter auf, man munkelt aber, er sei am selben Tag geboren worden wie der frühere nigerianische FCZ-Goalie Ike Shorunmu - also am 16. Oktober.
Was man sonst noch über Stan wissen muss, erfährt man auf Facebook (ja, so ist das in unseren modernen Zeiten, nicht nur lebendige, sondern auch virtuelle Kerle führen FB-Profile): zum Beispiel, dass er Bands wie die Ramones, die Dead Brothers und Radio 200 000 (im Slang: R200K) mag. Oder dass er mit FCZ-Flügelflitzer Marco «Schönbi» Schönbächler befreundet ist; mindestens im sozialen Netzwerk. Und, ganz wichtig: dass er seinen Beziehungsstatus aktuell mit «Es ist kompliziert» angibt. Aus diesem Grund weiss auch niemand, wie es nun tatsächlich um die Liaison zwischen Stan und einer etwas obskuren Frau namens «Angie aus Effretikon» steht, mit der er eine Zeit lang regelmässig gesehen wurde.
Damit wäre das Wichtigste zum Helden dieser Geschichte berichtet, kommen wir jetzt zu jenen beiden Männern, die ihn zur Welt brachten: Sie heissen Christophe Badoux und Marcel Gamma. Der Erstgenannte ist hauptberuflich Comiczeichner und Illustrator, 50 Jahre jung, wohnhaft in Zürich - und FCZ-Supporter, seit er klar denken kann. Letzteres gilt auch für den ein Jahr älteren Gamma, der Stan mit frechen, sinnigen und eigenwillig humorvollen Sprechblasen versorgt. Selbigem - also dem gewieften Umgang mit Worten - widmet er sich auch in seinem Job als Kommunikationsbeauftragter eines Informatikerverbandes.
Wann genau ihre Comicfigur geboren wurde, darüber sind sich die «Väter» beim Gespräch nicht ganz einig, «es war meines Wissens in einer Oktobernacht bei ein paar Bier in der ersten Flachpassbar», erzählt Marcel Gamma. Und Christophe Badoux will unbedingt erwähnt haben, «dass Elli bis heute behauptet, die Idee eines virtuellen Fans, der einem real existierenden Fussballclub nahesteht, stamme eigentlich von ihm» - was jedoch eine Mär sei, wie er lachend betont. Elli, das ist übrigens Urs Ellenberger, die treibende Kraft hinter der ersten Flachpassbar.
Wie dem auch sei. So richtig populär, das ist jedenfalls belegt, wurde Stan the Hooligan im Jahr 2004, als er erstmals im Südkurven-Fanzine «Igang 3» sein gewitztes Unwesen treiben durfte - und dies gleich auf mehreren Seiten. Das «Igang 3» erschien fortan viermal pro Jahr, und wenn immer möglich versuchten Badoux und Gamma, das aktuelle Geschehen rund um den damaligen FCZ in die Strips einzuarbeiten: Thematisiert wurde alles zwischen Tiefpunkt und Highlight, speziell natürlich die Meistertitel (2006, 2007 und 2009), die eine prosperierende Südkurvenkultur mit neuen Choreografien und Gesängen auslösten. Wegen ihrer Beliebtheit erhielten die Stan-Comics auch auf dem FCZ-Watchlog bald eine eigene Rubrik.
Als das «Igang 3» fünf Jahre nach dem Start eingestellt wurde, schufen die Macher ihrer Figur eine eigene zeitgeistige Arena: Sie heisst Stanthehooligan.ch, über dem Blog liest man die Zeile: «Stan the Hooligan - Bier, Daleo, Pyro für euise FCZ.» Selbstverständlich sei Stan geprägt durch ihre eigene Haltung, sagt Gamma. «Mit Betonung auf geprägt - deckungsgleich ist sie nicht, eine Comicfigur soll ein Eigenleben haben, eine Eigendynamik entwickeln.»
Badoux und Gamma haben die Regel aufgestellt, grundsätzlich für jedes FCZ-Heimspiel einen neuen Comic zu gestalten. Der Zeichner und der Texter brauchen dafür rund einen Tag. Die Ideen entwickeln sie meistens gemeinsam, «wobei Marcel manchmal sogar Skizzen kritzelt, aber die sind selten brauchbar», sagt Badoux und lacht. Und Gamma lacht mit. Keine Frage, dieses Team harmoniert bestens; man spielt auf Sieg und hat Spass daran. Auch deshalb hat Gamma im Atelier der Edition Moderne im Stadtkreis 4, wo Badoux seit Ewigkeiten tüftelt und zeichnet, ebenfalls einen Teilzeitarbeitsplatz bezogen. Und da sind smarte Ideen entstanden. Die eine: für Stan je ein Facebook-Profil und einen Twitter-Account einzurichten, die sie gemeinsam bedienen - und die, wie sie sagen, guten Stoff für neue Comicgeschichten generieren. Die andere: ihren Helden mit alten und brandneuen Abenteuern in einem Buch zu verewigen. Erscheinen soll es im Herbst dieses Jahres, «ideal wäre der 26. Oktober, genau damals vor 10 Jahren ist nämlich der allererste Stan-Strip eingescannt worden», sagt Badoux.