Beitragvon Goose » 26.02.13 @ 9:12
Interessanter Artikel in der heutigen NZZ zum FC Wil. In den letzten 6 Jahren haben 25 (!) Spieler von Wil in die SuperLeague gewechselt..
Die Fussballer-Schmiede
Vom Cup-Viertelfinalisten FC Wil haben in den letzten Jahren 25 Spieler in die Super League gewechselt
Der FC Wil ist am Mittwoch Gegner des FC Zürich im Cup-Viertelfinal. Der einstige Skandalklub der Super League hat sich zum Vorzeigeklub in der Challenge League gewandelt.
Peter Eggenberger, Wil
Das Bergholz-Areal in Wil ist eine Grossbaustelle; vier Kräne ragen in den Himmel. Ein neues Fussballstadion mit einer Kapazität von 6000 Zuschauern entsteht, dazu eine Eishalle, ein Wellnessbereich und ein Hallenbad. Gut 60 Millionen kostet das. Der FC Wil wird hier im Juli den ersten Match austragen können, nach einem Jahr Exil in der AFG Arena in St. Gallen. Der Präsident des FC Wil, Roger Bigger, setzt sich den Helm auf, schreitet über das Gelände und inspiziert den Baufortschritt, vorbei an Betonelementen für die Gegentribüne und warm angezogenen Arbeitern. «Ein schöner Anblick», lautet sein erster Kommentar. «Wir erhalten eine tolle Anlage.»
Noch 17 in der Super League
Eine Baustelle ist auch der FC Wil. Ständig verliert die Mannschaft Teamstützen. Seit dem Ende der Saison 2005/06 haben 25 Spieler des FC Wil zu einem Super-League-Klub gewechselt (vgl. Grafik; Mario Schönenberger zweimal). 17 von ihnen spielen immer noch in der Super League; und in aller Regel gehören sie auch dort zu den Leistungsträgern. An die Entschwundenen verschwenden Bigger und sein Trainer und Sportchef Axel Thoma keinen Gedanken. «In erster Linie haben wir Freude an den Leistungen der Spieler in der Super League», sagt Bigger. Er wirkt dabei nicht so, als ob der Satz nur für die Öffentlichkeit gesprochen wäre.
2004 sind die Ostschweizer in die Challenge League abgestiegen, nur Wochen nach dem historischen Cup-Sieg gegen GC. Dort haben sie sich trotz den jahrelangen substanziellen Abgängen problemlos etabliert; in den letzten sieben Jahren klassierten sie sich stets zwischen Rang 3 und 7. In der laufenden Spielzeit stehen die Ostschweizer auf dem dritten Platz, mit Chancen zum Aufstieg. Und im Cup treten sie morgen Mittwoch im Viertelfinal in St. Gallen gegen den FC Zürich an.
Der Wiler Erfolg hat zwei Namen: Bigger und Thoma. Sie haben den Klub sportlich und wirtschaftlich stabilisiert, nach einer überaus turbulenten Phase, die alle Zutaten eines Krimis enthielt und mit dem Wort «Chaos» nur unzulänglich beschrieben ist. Bigger übernahm das Präsidium im Januar 2003. Kurz zuvor war ausgekommen, dass der frühere Präsident Andreas Hafen den FC Wil mit rund 10 Millionen Franken unterstützte, die er bei seiner Arbeitgeberin UBS veruntreut hatte. Im Sommer 2003 stieg Igor Belanow, früherer sowjetischer Nationalspieler, als Investor ein und hinterliess in kurzer Zeit einen weiteren Scherbenhaufen. Bigger führte den Klub durch die anschliessende Nachlassstundung und trug zu dessen ökonomischer Rettung bei. Bigger freut sich im Rückblick, dass «wir zweimal trotz eigentlich aussichtsloser Lage das Schiff wieder auf Kurs gebracht haben». Er empfinde «Befriedigung». Das Ganze habe «viel Energie gekostet», aber er habe keine Sekunde daran gedacht, aufzugeben.
Joachim Löws Freund
Eine der wichtigsten Taten Biggers war die Verpflichtung Axel Thomas als Sportchef im Mai 2006. Der 48-Jährige hat ein exzellentes Beziehungsnetz im Fussball. So ist der Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Joachim Löw, ein enger Freund, mit dem er in Schaffhausen und Winterthur zusammen spielte. Bigger und Thoma stehen für Kontinuität, gute Strukturen, solide Arbeit und übereinstimmende Philosophien. Das zeigt sich im Gespräch. Nahtlos ergänzt der eine den anderen. Konflikte sind nur schwer vorstellbar. «Ich lasse Axel in Ruhe und mit den nötigen Freiheiten arbeiten», sagt Bigger. Zusammen haben sie ein Konzept erstellt, mit dem sich Spieler für höhere Aufgaben empfehlen können. Dazu gehört das Vollprofitum aller.
Einer, der die Gegebenheiten in Wil bestens kennt, ist der Verteidiger Fabian Schär. Mit 6 Jahren schon war er in der Fussballschule des FC Wil aktiv und durchlief dort die gesamte Juniorenzeit. Nach drei Spielzeiten in der Challenge League mit Wil wechselte er im vergangenen Sommer zum FC Basel. «Der FC Wil verdankt Axel Thoma viel. Er hat ein geschicktes Händchen für Transfers und ein gutes Auge für die Arbeit mit Spielern», meint Schär. Darin ist er sich einig mit Uli Forte, dem Thoma im Sommer 2006 die Chance gab, als Trainer in den Profifussball einzusteigen. Forte spricht von einem ausgesprochenen «Talentriecher» Thomas. Der bewahrheitete sich auch in Fortes Fall: Wil diente Forte als Sprungbrett für Engagements in der Super League in St. Gallen und jetzt bei GC.
Zwei Kategorien von Neuen
«Wir holen vorwiegend zwei Kategorien von Spielern», erläutert Thoma, der seit September 2010 auch Trainer des FC Wil ist. Es seien dies einerseits talentierte Junge und andererseits solche, die in Wil eine zweite Chance bekommen, nachdem sie aus verschiedenen Gründen einen Bruch in ihrer Laufbahn erlitten haben. Beispiele für die erste Kategorie sind die Stürmer Adis Jahovic (FC Zürich) und Dzengis Cavusevic (FC St. Gallen), die in der Zwischenzeit sogar den Sprung in die Nationalmannschaft Mazedoniens bzw. Sloweniens geschafft haben. Der für die laufende Rückrunde leihweise verpflichtete 19-jährige Stürmer Stjepan Vuleta vom FC Basel ist der nächste Rohdiamant, den Thoma schleifen möchte.
Hunderte von Angeboten
Beispiele für die zweite Kategorie sind der Captain des FC Wil und frühere Grasshopper, Kim Jaggy, sowie der ebenfalls für die Rückrunde engagierte Ergün Berisha. Der 24-jährige Berisha stand bei Udinese unter Vertrag, kam dort aber nie in der Serie A zum Einsatz und wurde auch in der Türkei als Ausleihspieler nicht glücklich. Er hat mehrere Knieverletzungen hinter sich. In einem Video auf der Website des FC Wil erklärt er: «Ich möchte in einem Jahr Super League oder Serie A spielen.» Das würde zum FC Wil passen.
Aus Klubs in 12 Ländern und von 4 Kontinenten stammen die 25 Spieler, die in die Super League gewechselt haben. Sogar ein Nordkoreaner ist darunter, und immerhin 5 sind im eigenen Nachwuchs ausgebildet worden. Nicht dass Bigger und Thoma dauernd auf Reisen wären. Sie stützen sich für ihre Transfers auf etwa zehn Vertrauenspersonen, die als Scouts aktiv sind oder mit Scouts zusammenarbeiten. Der Ruf des FC Wil als Talentschmiede oder Auffangbecken ist inzwischen so gut, dass «wir jährlich Hunderte von Angeboten erhalten», sagt Thoma. Manchmal greift Axel Thoma selber zum Telefon, so im Fall des Schweden Emra Tahirovic. Dieser war 2008 vom FC Zürich verpflichtet und an mehrere Klubs im Ausland ausgeliehen worden. Ein Jahr setzte er wegen seines kranken Sohnes aus. Entsprechend schlecht war seine Kondition, als er im August 2012 in Wil eintraf. Noch wird die letzte Ausländerlizenz, die der FC Wil für diese Spielzeit einsetzen kann, nicht auf ihn eingelöst. Aber Thoma glaubt an sein Potenzial und behält ihn wohl für nächste Saison im Kader. Tahirovic soll später mit Gewinn veräussert werden. Der FC Wil muss jedes Jahr auf hohe Nettotransfer-Erlöse hoffen. Daraus hat sich ein bis heute erfolgreiches, aber riskantes Geschäftsmodell entwickelt. «Wir budgetieren die Gewinne aus Spielerverkäufen aufgrund der Unwägbarkeiten nur mit 10 bis 15 Prozent des jährlichen Umsatzes von gut 2,5 Millionen», sagt der Präsident Bigger. Bisher ist die Rechnung in der Ära Thoma aufgegangen.
Hilferuf an die Stadt
Trotz der sportlichen und wirtschaftlichen Stabilisierung gibt es dunkle Wolken am Horizont. Zwar bestehen aus den turbulenten Hafen- und Belanow-Zeiten keine Altlasten mehr, und die für den Profibereich Ende 2005 gegründete FC Wil 1900 AG ist nicht überschuldet. Aber der auf ein Jahr befristete Umzug in die AFG Arena und der Stadionneubau belasten den Klub. In das neue Stadion müssen die Ostschweizer rund zwei Millionen Franken investieren. Der Zuschauerdurchschnitt im Exil in St. Gallen ist um über 300 gegenüber der Vorsaison auf gut 1000 gesunken, und es erwachsen dem FC Wil aufgrund der Miete der AFG Arena Mehrkosten. Der Klub hat an die Stadt Wil einen Antrag auf Übernahme der Hälfte der Mehrkosten und der Mindereinnahmen gestellt. Demnächst wird das Wiler Parlament darüber befinden, ob dem FC Wil 170 000 Franken zugesprochen werden sollen.
Am gefährlichsten für das Wiler Modell erscheint indessen die Abhängigkeit von Axel Thoma. Noch macht er keine Anstalten, nach Höherem zu streben, «weil es mir in Wil gut gefällt und ich es schätze, in Ruhe arbeiten zu können». Aber seine Fähigkeiten können anderen Klubs nicht verborgen geblieben sein. Uli Forte ist deshalb «überrascht», dass Thoma und Bigger jetzt schon fast sieben Jahre in Wil zusammenarbeiten. Fabian Schär hält dem entgegen: «Natürlich verdankt der FC Wil Axel Thoma viel, aber es sind hier langfristige Strukturen aufgebaut worden, die seinen Weggang überdauern werden.»
"Ich wechsle erst aus, wenn sich einer das Bein bricht." - Werner Lorant