Beitragvon Goose » 17.08.12 @ 14:32
Gavranovics Stille
Der unterdrückte Torjubel ist im Fussball zum Ritual der Doppelbürger geworden
Mario Gavranovic erzielt gegen Kroatien seine ersten zwei Tore für das Schweizer Nationalteam. Aber er kann sich nicht richtig freuen. Wieso eigentlich nicht?
Flurin Clalüna, Split
Es ist ein verschluckter Jubel, in sich gekehrt und still. Mario Gavranovic, katholisch erzogen und gläubig, bekreuzigt sich, seine Augen sind fast unheimlich ausdruckslos. In Kroatien erzielt er seine ersten beiden Tore für die Schweizer Nationalmannschaft; es sind Szenen, vor denen er sich trotz aller Freude immer auch etwas gefürchtet hat.
Wovor? Auf seiner Facebook-Seite findet sich die Antwort. «Du hässlicher Verräter machst zwei Tore gegen dein Heimatland», hat dort jemand geschrieben. Gavranovic ist in Lugano geboren, aber er ist auch Kroate. Er fühlt sich dem Land und seiner Kultur verbunden; wenn er Musik hört, ist es immer balkanische Volksmusik, «nie etwas anderes». Der 22-Jährige hatte Angst davor, die Heimat der Eltern zu verletzen, als er sich entschied, für die Schweiz zu spielen. Und er fürchtete sich vor den Pfiffen der Zuschauer im Stadion in Split und war dankbar, als ihn dort am Mittwoch niemand niederschrie.
Irgendwann haben Doppelbürger damit begonnen, ihre Freude zu unterdrücken, wenn sie gegen ihre zweite Heimat ein Tor erzielen. Es ist fast schon zum verpflichtenden Ritual geworden, auf diese Weise Demut zu zeigen. Gavranovic hat sich daran gehalten, so wie Hakan Yakin, als er gegen die Türkei traf. Oder so wie die Deutschen Lukas Podolski oder Miroslav Klose, wenn sie gegen Polen spielen. Es ist zur Gewissensfrage geworden, die die Spieler belasten kann, weil sie es nicht gewohnt sind, auf dem Rasen Emotionen zurückhalten zu müssen.
Der Umgang mit nationalen Gefühlen ist im Fussball immer noch verkrampft, auch in der Schweiz. Noch heute wird es Mladen Petric oder Ivan Rakitic nachgetragen, dass sie nicht für die Schweiz spielen. Auch sie sind erst kürzlich in Blog-Kommentaren als «charakterlose Verräter» diffamiert worden. Patriotische Gesinnungen sind im globalisierten Fussball wiederkehrende Reizthemen. Als Murat Yakin, der Trainer des FC Luzern, im Frühling in einem Internetportal als «Schweiz-Türke» bezeichnet wurde, empfand er dies als despektierlich, weil er so viel für den Schweizer Fussball geleistet habe. Und wenn Nationalspieler mit Migrationshintergrund nicht die Hymne singen, wird ihre Gesinnung angezweifelt.
Der FCZ-Stürmer Gavranovic wusste schon vor dem Spiel in Kroatien, dass er sich Torfreude nicht erlauben würde. Er sagt: «Sogar meine Eltern haben mich gefragt: <Wieso hast du bei den zwei Toren nicht mehr gejubelt?> Aber ich konnte nicht anders.» Gavranovic sagt, er habe noch nie in einem Fussballspiel eine solche Stille in sich empfunden. Das ist ungewöhnlich für ihn.
Gavranovic hat zwar ein sanftes Gesicht, er spricht leise, aber introvertiert ist er nicht. Es gibt Fernsehbilder, die ihn als Speaker zeigen. Damals spielte er noch für Schalke. Gavranovic hält ein Mikrofon in der Hand und stellt vor Hunderten Zuschauern die Teamkollegen vor. Inszenierungen sind ihm nicht fremd. Das war schon bei Gavranovics Vater so, einem Fussball-Jongleur, der es einmal schaffte, den Ball 14 800 Mal in Serie nicht auf den Boden fallen zu lassen. Manchmal ist das vielleicht einfacher, als sich den Jubel zu verbieten
Quelle: heutige NZZ
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