«Hermi» - die treue / Seele vom Letzigrund
Der FC Zürich ist sein Lebenselixier: Hermann Burgermeister, Masseur und Seelendoktor.
Von Peter Bühler, Zürich
Der Hermann? Der war ein wilder Kerl.» Timo Konietzka lacht. Er erinnert sich genau an seine ersten Begegnungen mit Hermann Burgermeister, dabei liegen sie bald 30 Jahre zurück. Burgermeister - das war Mitte der Siebzigerjahre ein junger Mann mit Schnauz und grossen, runden Brillengläsern, hellem Thurgauer Dialekt und einem damals schon unübersehbaren Bauchansatz. 1970 war er aus dem 800-Seelen-Dorf Uttwil in der Bodensee-Region nach Zürich gekommen, er arbeitete als Chauffeur, nachdem er seinen Beruf als Heizungsmonteur wegen eines Augenleidens hatte aufgeben müssen.
In Zürich fühlte sich Burgermeister bald heimisch. Er lernte die einschlägigen Lokale und bald auch Konietzka, den Meistertrainer des FC Zürich, kennen. Man traf sich in der «Chämihütte» oder in der «Playboy»-Bar, der Fussball und der damals so erfolgreiche FCZ waren in der sportinteressierten Zürcher Szene das dominierende Thema. Burgermeister mutierte rasch zum Fan des Stadtklubs, jeden Donnerstagmorgen vergnügte er sich fortan im Letzigrund mit Freunden aus dem FCZ-Umfeld bei einem Plauschmätschli. «Club 74» nannte sich die locker zusammengewürfelte Vereinigung nach ihrem Gründungsdatum, die Bobfahrer Erich und Peter Schärer, der Boxer Heini Glättli, der FCZ-Mannschaftsarzt Ruedi Raschle, Burgermeister und Konietzka waren bei jedem Training dabei.
Es kam der Tag, da Hans Bamert, seit 20 Jahren Pfleger beim FCZ, seinen Job im Letzigrund quittierte. Der Stadtklub stand plötzlich ohne Masseur da. Konietzka wusste, dass Burgermeister nach Feierabend hin und wieder bei den Drittligakickern des FC Romanshorn Hand anlegte, und entschied spontan: «Hermann, du bist unser neuer Masseur.»
Aber wie sollte er diesen Entschluss seinem Präsidenten Edi Naegeli, der das Geld lieber in Transfers investierte, und den entscheidenden Spielern wie Köbi Kuhn, Karl Grob oder Ilija Katic beibringen? Timo grinst. Er habe Burgermeister nur einen Rat gegeben: «Greif voll in ihre Muskeln rein, knete sie richtig durch.»
Burgermeister machte sich mit Enthusiasmus an die Arbeit, die Spieler stöhnten unter seinen kräftigen Händen, doch sie begannen seine Dienste zu schätzen und fassten Vertrauen. Und so kam es, dass Kuhn den Präsidenten in dessen Geschäft, dem «Tabakfass» am Stauffacher, aufsuchte und ihm mitteilte: «Die Mannschaft will Burgermeister.» Kuhn wie Konietzka wussten: Naegeli würde seinem Lieblingsspieler keinen Wunsch abschlagen. «Ja, ja», schmunzelt Kuhn, «so hat sich in etwa Hermis Einstieg beim FC Zürich zugetragen.» Es war das Jahr 1975, der FCZ stand in seiner Blüte, er wurde zwischen 1974 und 1976 dreimal Meister, er drang 1977 bis in den Halbfinal des Meistercups vor.
Burgermeister habe es am Anfang nicht immer einfach gehabt, erinnert sich Kuhn. Ein Pfleger stehe in der Hierarchie einer Fussballmannschaft ziemlich weit unten, und Burgermeister habe sich mitunter schwer getan, wenn nicht alle Spieler seiner Arbeit den nötigen Respekt entgegengebracht hätten. «Da konnte er laut werden und auch beleidigt reagieren», sagt Kuhn. Das indes war gerade für ihn, der um Burgermeisters Herkunft wusste, keine Überraschung. Burgermeister ist als Einzelkind aufgewachsen, er wurde von seinen Eltern, der Vater Bauarbeiter, die Mutter Hausfrau, streng erzogen. «Hermann kam vom Land, er wusste noch, was Anstand[100] bedeutet[100]», erklärt Kuhn.
Nachtragend aber sei Burgermeister nie gewesen. Er sei ein friedliebender, harmoniebedürftiger Mensch. Oder wie Kuhn es in seinem Zürcher Dialekt ausdrückt: «Eifach en liebe Chäib.» Nach und nach arbeitete sich Burgermeister im Letzigrund voran, er bildete sich in Abendkursen auf dem Gebiet der Sportmassage weiter, und 1978 wurde er, nachdem er während seiner ersten drei Jahre für den FCZ nur Teilzeit gearbeitet hatte, vom Verein zu hundert Prozent angestellt. Die Jahre vergingen, Spieler wie Trainer kamen und gingen, nur Burgermeister war immer da.
Mit seinem Arbeitseifer, seinem Einsatz, seiner Hilfsbereitschaft, mit seinem Fachwissen und auch wegen seiner Leidenschaft für den FC Zürich machte er sich im Letzigrund auf die Dauer unentbehrlich. «Den FC Zürich ohne Herrn Burgermeister kann ich mir schlicht nicht vorstellen», sagt Präsident Sven Hotz, «wenn es nach mir geht, soll er für immer für den Verein da sein.» Die Wertschätzung für seinen langjährigen Angestellten begründet Hotz nur mit einem Beispiel: «Wer fuhr einst morgens um zwei Uhr in die Wohnung des erkrankten Shabani Nonda nach Oerlikon, um ihn mit Vicks einzureiben und mit Grippemitteln zu versorgen? Burgermeister - und Nonda schoss tags darauf zwei Tore.» Auch Gilbert Gress erinnert sich gerne an die Zusammenarbeit mit Burgermeister: «Bei ihm habe ich noch die Liebe zum Trikot gespürt, er tut alles für den FCZ.» Und Georges Bregy sagt: «Als Spieler habe ich mich oft mit ihm gestritten, weil er immer einseitig Partei für den FCZ nahm. Heute schätze ich seine Loyalität für den Klub.»
Hermann Burgermeister sitzt beim Mittagessen im «Libero» an der Badenerstrasse, einen Steinwurf vom Letzigrund entfernt. Er wird verlegen, wenn er die Lobeshymnen auf seine Person vernimmt. «Ich bin ein einfacher Mann», sagt er, «ich tue nur meinen Job.» Mehr als eine Portion Spaghetti und ein Mineralwasser gönnter sich nicht. Er sieht gut aus, eine modische Brille, das Haar mit Gel nach hinten gekämmt. Und auch der Bauch ist weg, «für immer», wie er beteuert. 139 kg wog er einmal, später pendelte sich sein Gewicht bei 115 kg ein, seit dem vergangenen März hat er es mit ausgewogener Ernährung und täglich einer halben Stunde Velofahren auf 88 kg reduziert. Der Arzt hatte ihm mitgeteilt, er habe nicht mehr lange zu leben, wenn er nicht massiv abspecke. Burgermeister leidet unter Herzproblemen.
An Gewicht hat er eingebüsst, sein gemütliches, liebenswürdiges Wesen hat er sich bewahrt. Nicht immer ist ihm seine Grosszügigkeit gut bekommen. «Der Hermann bezahlte immer, manchmal mehr, als er verkraften konnte», erinnert sich Konietzka. Burgermeister wurde oft ausgenutzt, von falschen Freunden, auch von Frauen. Heute lebt er allein in einer Wohnung in Uitikon-Waldegg. Er sagt: «Manchmal fände ich es schön, wenn mich am Abend jemand erwarten würde.»
So ist der FC Zürich sein Lebensmittelpunkt geblieben, seine Heimat ist der Letzigrund, hier fühlt er sich wohl, auch wenn es dem FCZ wie jetzt wieder einmal schlecht geht. Sein Stolz wird deutlich, wenn er durch die Katakomben des Stadions führt, Materialkammer, Massagezimmer, Physiotherapie, Kraftraum und Sauna präsentiert. Befindet er sich einmal in seinem Reich, blüht er auf, wird gesprächig. Er erzählt von den Spielern, für die er Vertrauensperson sei, von den Verletzten und Unzufriedenen, denen er nicht nur den Körper, sondern auch die Seele pflegen müsse. «Auf dem Schragen teilt dir jeder seine Sorgen mit», weiss er. Ein guter Masseur müsse deshalb genau zuhören können und verschwiegen sein.
Burgermeister ist ins Reden gekommen, er erzählt und erzählt, vorzugsweise von früheren Zeiten. Über die Spieler, von denen Kuhn und Jure Jerkovic für ihn die grossen Persönlichkeiten waren. Über die Trainer: Vaclav Jezek, «den Weisweiler des Ostens», Daniel Jeandupeux, «den sanften Monsieur», den Lebemann Hermann Stessl, «der nachts in den Hotels auf Klubkosten Entenbrust und teure Weine im Überfluss konsumierte», oder Gilbert Gress, «den kauzigen Geschichtenerzähler». Am besten aber kann Burgermeister über Tschik Cajkovski lachen. Der kleine, rundliche Mann habe nichts lieber getan, als mit ihm zu essen. Einmal hätten sie auf der Fahrt zu einem Spiel einen ganzen Schweinskopf verspeist. «Wäre Tschik hier noch Trainer, wäre ich 190 Kilo schwer», schmunzelt Burgermeister.
Cajkovski ist vor ein paar Jahren gestorben, Burgermeister aber hat mit seiner Diät den Schritt zurück in ein beschwerdefreieres Leben getan. «Ich sprinte heute schneller denn je zu einem verletzten Spieler auf den Platz», verkündet er. Und demnächst will er eine neue Kreation von «Hermi-Shirts» für sich und seine Fans von der Südkurve des Letzigrunds drucken lassen. Er grinst: «Nicht mehr in der Grösse XX-Large, sondern in Medium.»
© Tages-Anzeiger; 2002-11-19; Seite 45