Er konnte einem in dieser 87. Minute schon fast Leid tun, FCZ-Trainer Lucien Favre. Er verwarf die Hände, drehte sich vom Rasen ab, riss den Reissverschluss seiner dicken Jacke nach unten und schüttelte den Kopf. Immer wieder. Und immer wieder. Dem eingewechselten Mordeku war für den vormaligen Tabellenletzten FC Wil mit einem Fallrückzieher soeben das 2:1 gelungen. Der FC Zürich hatte es tatsächlich fertig gebracht, dieses Spiel noch zu verlieren und Wil in der Rangliste vorbeiziehen zu lassen. Bis zur 85. Minute war der FCZ noch 1:0 in Führung gewesen und hatte das Spiel relativ problemlos kontrolliert.
16 Runden sind in der Super League absolviert - bald die Hälfte der 36 -, der FC Zürich hat nur dreimal gewonnen, aber zehnmal verloren. Während das Wiler Publikum nach Spielschluss feierte, begab sich FCZ-Präsident Sven Hotz schnell auf den Heimweg. Von Journalisten eingeholt, stoppte er draussen vor dem Stadion noch einmal, und bald war die wichtigste Frage beantwortet. «Es gibt keine Diskussion», sagte Hotz, «Lucien Favre bleibt Trainer. Er sitzt auch am nächsten Wochenende beim Cupspiel in Herisau auf der Bank.»
Ohne Hektik gab Hotz Auskunft, obwohl sich um ihn herum längst eine Menschentraube gebildet hatte und er von einigen wenigen zu hören bekam: «Herr Hotz, jetzt muss etwas passieren.» Oder: «Herr Hotz, jetzt müssen Sie reagieren.» Hotz will nicht reagieren - auch weil seiner Meinung nach die Mannschaft wesentliche Schuld am neuerlichen Absturz seines FC Zürich trägt.
«Ich kann das nicht verstehen»
«Wir führen bis kurz vor Spielschluss 1:0, ich kann das nicht verstehen», urteilte er. «Ohnmächtig» hatte er sich nach dem plötzlichen Umschwung auf der Tribüne gefühlt. «Unglaublich» sei es gewesen, wie Mordeku vor dem 2:1 Zeit gehabt habe, um sein Tor mit einem Kunststück erzielen zu können. Hotz sagte auch: «Die Mannschaft kann eine halbe Stunde lang gut spielen, und dann spielt irgendjemand einen unbegreiflichen Fehlpass.» Und Hotz fordert: «Die Mannschaft muss viel aggressiver spielen.»
Am 2. Oktober hatte Wil mit einem 2:1-Heimsieg gegen GC die Trennung zwischen den Grasshoppers und ihrem Trainer Marcel Koller provoziert. Dass die Ostschweizer nun mit ihrem Erfolg genau einen Monat später nicht auch Favre um den Job bringen, konnte nicht unbedingt erwartet werden. Einen Sieg in Wil hatte Hotz noch nach dem verlorenen Derby gefordert. Er ist jetzt bereit, noch mehr Geduld mit dem im Sommer eingestellten Romand zu haben. Das ist ein neuer, ungewohnter Weg für ihn.
Zweifellos hilft Favre, dass in diesem ersten Herbst der Super League nicht mehr der Trennstrich und der Fall in die Auf-/Abstiegsrunde drohen wie jeweils in der Nationalliga A. Seit 1986 ist Hotz Klubpräsident. Favre ist sein zwölfter Trainer. Mit vielen vor ihm hatte Hotz weniger Geduld, zum Erfolg kam er trotz vielen Entlassungen kaum. Vielleicht ist deshalb diese Variante des Abwartens tatsächlich die bessere, vielleicht wird der FC Zürich dafür belohnt. Mit Siegen, die Lucien Favre aller Geduld zum Trotz wohl schnell erreichen muss.
QUELLE: TAGI