BigKahuna hat geschrieben:Hier noch der ganze Artikel des Argentiniers im heutigen Print-Tagi:
Klassenkampf Wie ein Argentinier das Zürcher Fussballderby erlebte. Von Ariel Magnus
Die Revolution aus der Kurve
Zwei philosophische Probleme bereiteten mir Sorgen vor dem Spiel. Erstens, was ich anziehen sollte, denn die Eleganz dieser Stadt konnte unmöglich nicht auch im Stadion bewahrt werden. Und zweitens, für welchen Klub ich sein wollte, da ich von beiden fast nichts wusste.
Das erste Rätsel löste sich von selbst: Das Klima war sommerlich, und ich habe fast nur Winterklamotten aus Argentinien mitgebracht, also blieb mir keine Wahl. Die zweite Frage schien sich auch von selbst zu erschliessen, denn im Tram waren nur Fans mit weiss-blauen Schals und Trikots – jene Farben, denen ich als Argentinier verpflichtet bin.
Erst im Stadion erfuhr ich, dass beide Mannschaften dieselben Farben hatten. Ich liess es mir zweimal sagen, bevor ich es glaubte. Und wie wissen sie bitteschön, wen sie während der Krawalle zusammenschlagen müssen? Danach merkte ich, dass beide sogar dieselben Fahnen hatten, womit der Lebenssinn jedes Hooligans – die Fahne der gegnerischen Hooligans zu klauen – futsch war. Dazu kam, dass beide Rivalen dasselbe Stadion teilen. Das war ein Kampf zwischen Brüdern, zwischen Zwillingen sogar, ein echter Bürgerkrieg. So macht Fussball Spass!
Hooligans aus Langeweile
Meine kriegerischen Vorstellungen kamen vielleicht daher, dass ich mehr Furcht vor europäischen Hooligans als vor südamerikanischen habe, denn die hiesigen werden aus unerkennbaren Gründen gewalttätig, es sind Hooligans aus Langeweile, aus Übergemütlichkeit, während unsere Hooligans aus Armut, Marginalität und Perspektivlosigkeit sind – die Schläge oder Stiche sind genauso gefährlich, aber zumindest nachvollziehbarer.
Ich war in der Kurve der Grasshoppers platziert. Von dem Fan nebenan erfuhr ich, dass die drüben ursprünglich die Arbeitermannschaft waren, wir die der gehobenen Klasse. Und in der Tat, manche Männer und Frauen waren wie für die Disco gekleidet. Als schlecht angezogener Intellektueller mit sozialem Gewissen konnte ich den von der Sonne beschienenen Teil des Stadions – damit sich die Adligen bräunen können, während die Arbeiter frieren – nicht richtig geniessen.
Noch vor dem Spiel zeigte die Südkurve eine geheimnisvolle Fahne. «D’Zukunft isch nonig gschriebe», hiess es in erstaunlich verstehbarem Nichtdeutsch (was machen die Schweizer mit den Buchstaben, die sie beim Sprechen und Schreiben sparen? Stecken Sie es in die Bank, um das Sprachvermögen ihrer Kinder zu vermehren?) Das Axiom versetzte mich in tiefsinnige Gedanken – eine Aktivität, die ich im Stadion für verboten hielt. War das etwa Teil eines Psychokriegs? Die Verwirrung wurde noch grösser, als man die Fahne herunternahm und eine zweite darunter zu sehen war, die ich gar nicht verstand, also viel philosophischer wirkte. Gleichzeitig formten die Fans mit bunten Kartons eine Figur über die Tribüne hinweg. Mensch, waren die organisiert. Das sind keine Arbeiter, das ist eine wahre Arbeiterbewegung!
Rhythmen wie in der Heimat
Mit dem ersten Tor zündeten sie die ersten Leuchtraketen, die ich auf dieser Seite vermisste. Und als der Stadionmoderator darum bat, sie zu löschen, zündeten sie gleich noch fünf. Das waren meine Jungs! Ausserdem sprangen und sangen sie deutlich lauter, und zwar nach Rhythmen, die mir aus Argentinien bekannt vorkamen.
Das Entscheidende kam aber nach der Pause, als jemand da drüben ein Schild hochhielt: «Para Dox». Eine gut organisierte, philosophisch aufgeklärte Arbeiterbewegung. War es nicht gerade dies, was Marx wollte, um eine Revolution anzufangen? Und zwar nicht in einem armen Land, wie es dann geschah, sondern in einem reichen. Ob das etwa die ungeschriebene Zukunft war, das bevorstehende Paradoxon?
Ich bin im Land des Che geboren. Ich bin der Sache verpflichtet. Am 24. Oktober, beim nächsten Derby, gehe ich in die Südkurve. Diesmal haben wir nur ein Spiel gewonnen. In drei Wochen wird es ernst.
Wältklass!!!
Hasta la victoria, siempre!!!! HAHAHA