Tagi Porträt über Favre

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pexito
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Tagi Porträt über Favre

Beitragvon pexito » 09.07.03 @ 8:39

Die Nummer 10 mit dem Flair für das Einfache

Ein Welscher an der Spitze des FCZ, der Niederlagen in einer Fremdsprache erklärt. Kann das gut gehen? Lucien Favre selbst verlangt Zeit und Geduld - und bringt viel Fachwissen mit.

Von Bernhard Brunner, Zürich


Viele Briefe hat er bekommen, Schokolade auch, und die Leute schrieben ihm, dass sie zufrieden und sicher sind, bald wieder eine grosse Mannschaft zu haben. «Ja», sagt er, er sei überrascht gewesen, wie herzlich ihn die Leute in Zürich empfangen hätten. Seit zwei Wochen wohnt er zusammen mit seiner Frau in Weiningen, nur eine Wohnung habe er «besucht» und sie sofort genommen, «nein, nein, im Hotel wohnen ist nicht gut», sagt er, «das will ich nicht, ich will sofort mit den Leuten sein».

Lucien Favre, Waadtländer, 45-jährig, ist gerade zurück vom zweieinhalb Tage dauernden Trainingslager im Hotel «Panorama Resort&Spa» in Feusisberg im Kanton Schwyz, dem Zufluchtsort auch der Nationalmannschaft vor wichtigen Terminen.

Innehalten in der Idylle. Der Aufschwung des FCZ soll beginnen, viele Versuche zuvor sind in den letzten zwei Jahrzehnten gescheitert. Oft mit Wehklagen.

Der Romand ist seit Anfang Monat als Trainer des FC Zürich angestellt, am 26. Mai unterschrieb er im Büro des Präsidenten Sven Hotz einen Zweijahresvertrag, weil sein letzter Gegner, der Deutsche Joachim Löw, sich auf der Zielgeraden nach anderen Jobs umgeschaut hatte. Was einem Präsidenten wie Hotz genug an Zeichen war, Favre den Vorzug zu geben.

Relaxed sitzt er da in seinem Büro, zurückhaltend auch, elegant ist er gekleidet, aufmerksam der Blick, immer wieder huscht ein Lachen über sein Gesicht, und er strahlt Ruhe aus wie ein Teich mit Grünpflanzen mitten in der urbanen Hektik. Er erzählt von seiner Tochter Virginie, die in Lausanne Biologie studiert, von seinem Sohn Loïc, der bei der AC Bellinzona spielen wird. Und er besteht darauf, Hochdeutsch zu sprechen. Er bittet darum, seine Fehler zu korrigieren, bedankt sich, wenn man es tut, und verspricht, bis Weihnachten «gut Deutsch zu sprechen».

Das tut er jetzt schon. Ganz alleine habe er sich hinter die Bücher gesetzt und gelernt, aufgefrischt, was er in der Schule vor langer Zeit mitbekommen habe. «Ja», sagt Lucien Favre, «die Sprache ist wichtig, ich will sie gut lernen.»

Er ist zurück im Geschäft, nachdem ihn die Führung von Servette vor einem Jahr unter mysteriösen Umständen entlassen hatte. Trotz grossen Erfolgen. «Formidable», «Exploit de Servette», war im November 2001 auf den lokalen Aushängern zu lesen. Servette stand nach dem 1:0-Heimsieg gegen Real Saragossa im Sechzehntelfinal des Uefa-Cups, Hertha Berlin wartete als nächster Gegner, und erst Valencia war im Achtelfinal Endstation. Ein halbes Jahr zuvor hatte Favre den Cupsieg geholt, und es gibt nicht wenige Leute in Genf, die es noch heute nicht verstehen, wie man einen solchen Mann hat fallen lassen können.

Undurchsichtige Machenschaften um Spielertransfers und persönliche Intrigen waren stärker als die Erfolge, und Favre fragt heute: «Wissen Sie, warum ich entlassen worden bin?» «Nein.» Favre sagt: «Niemand weiss das.» Mit niemand meint Favre die Öffentlichkeit. Aber auch er spricht nicht mehr darüber.

Wie die Dinge auch immer lagen, für Favre spricht, dass nach seinem Abgang nichts mehr rund lief. Es folgten eine verunglückte Saison und Auftritte von Servette im Stade de Genève, die sich nahe der Unerträglichkeit bewegten.

«Ich habe nur zwei Tage gebraucht, um die Entlassung zu verdauen», sagt Favre. Und fragt: «Was willst du gegen Windmühlen kämpfen?» Um sieben Uhr sei er wieder im Büro gesessen und habe Dossiers im Computer geordnet, die sich in elf Trainerjahren angehäuft hätten. Und er hat sich auf die Reise gemacht, um zu lernen.

Favre sah sich im Ausland unzählige Trainings und Spiele an, sprach mit Trainern in Belgien, in Frankreich, in Deutschland, in Spanien, in den USA und in Argentinien und sagt: «Du lernst immer und überall, manchmal nur ein bisschen, manchmal viel, aber du lernst.» Er hätte zwar im letzten September die Möglichkeit gehabt, Trainer von Rennes oder Wimbledon zu werden, er habe die Angebote aber nicht mit aller Kraft verfolgt, weil «es damals für mich einfach zu früh gewesen wäre».

Favre will in Zürich etwas aufbauen, traut sich und dem FCZ zu, «in zwei Jahren ein gewichtiges Wort um den Meistertitel mitzureden». Die nächste Saison betrachtet er als «Aufbaujahr», die Mannschaft müsse sich erst finden. Neu zum FC Zürich gekommen sind neben Trainer Favre vier Spieler.

Petrosjan, Berner Young Boys. «Er ist ein Vorbild für die Jungen, eine Nummer 6, ein Routinier, den wir brauchen. Ich bin froh, dass er da ist, er ist bereits 31, aber fit.» Der Kameruner Simo, Xamax Neuenburg. «Er ist taktisch gut ausgebildet, eine Nummer 8, er kann den Ball gut verteidigen, das Spiel lenken, eine ideale Ergänzung zu Petrosjan.» Buess, Xamax Neuenburg. «Er kann als Verteidiger in einer Viererkette links spielen, in einer Dreierkette aber auch zentral, er ist variabel, physisch robust.» Muff, U-21-Nationalspieler. «Er hat grosses Talent, ist torgefährlich, er gehört allerdings Basel, wir übernehmen quasi die Ausbildung.» (Er ist für ein Jahr ausgeliehen).

Favre ist im kleinen Dorf in Saint-Barthélemy im Waadtland auf einem Bauernhof aufgewachsen, seine ländlichen Wurzeln sind im Äusseren jedoch nur schwer zu erkennen; erst seine Art, sich auszudrücken, seine diskrete Zurückhaltung verraten, dass er das Einfache mag, «la simplicité», wie Favre sagt. Er inszeniert nicht, er mag die Sachlichkeit. Er habe die Freiheit im Dorf zusammen mit seinem Bruder genossen. «Schule», sagt Favre, und dann «in die Felder, die Wälder und Fussball, Fussball, Fussball.» Mit zwölf Jahren habe er gewusst, dass er in der Nationalliga A spielen wolle, in Lausanne gelang ihm der Schritt mit 20 Jahren. Er spielte neun Jahre in Genf bei Servette, danach in Neuenburg, ein Jahr in Toulouse, Favre machte 24 Länderspiele und hatte den Ruf, ein Schönspieler zu sein; einer, der versuchte, die Technik über die Kraft zu stellen.

Als Favre als kleiner Junge erstmals in die Stadt nach Lausanne kam, hätten ihn die anderen Spieler gefragt, was er da wolle, «Landei». «Ja, ja», sagt Favre, er habe sich an die neue Welt gewöhnen müssen. Zwei Jahre später seien die gleichen Spieler aber «aufs Land tanzen gekommen», und noch heute, 30 Jahre später, sei er mit ihnen in Kontakt. «Gut nicht», findet Favre, «drei Jahrzehnte später . . .»

Favre hat als Spieler polarisiert, es gab die Geschichte um die Nummer 10 bei Servette, die er sich vertraglich hat festschreiben lassen, es gab 1985 die üble Attacke von Gabet Chapuisat auf Favres Knie, die eine verletzungsbedingte Pause von 239 Tagen (alle Bänder waren gerissen) nach sich zog und im Versuch gipfelte, dem Täter vor Gericht schwere vorsätzliche Körperverletzung nachzuweisen. Favre bekam teilweise Recht, Chapuisat musste nach langem Hin und Her 5000 Franken Busse bezahlen.

Ruft man sich diese Geschichten in Erinnerung und sitzt man Favre gegenüber, beschleicht einen der Eindruck, dass die Nummer 10 auf dem Platz souverän und elegant den Ball führte, als Junge vom Land den Gepflogenheiten des kommerziellen Fussballs aber ungeschützt, naiv ausgeliefert war. Die Worte des Ex-Nationaltrainers Paul Wolfisberg tönen stimmig, der Favre als «sehr anständigen Menschen» einschätzt. Und wenn Favre sagt «oh, Paul», spürt man, wie sehr Favre die Obhut des bärtigen schwergewichtigen Innerschweizers geschätzt haben muss; ihm dankbar ist, dass dieser in den 80er-Jahren das welsche Element ins Nationalteam zu integrieren vermochte.

Und die Klausel mit der Nummer 10? «Mein Agent hatte das ausgehandelt, ich hätte mit jeder Nummer gespielt.»

Umberto Barberis, der sich damals in Genf wegen der Geschichte um die Nummer 10 mit Favre stritt, beurteilt Favre heute «als Trainer, der alles gelernt hat», er wisse nun endlich, dass nicht alles mit Technik zu lösen sei. Er schätzt Favre, weil er um Rat frage und trotzdem seinen Weg gehe; und offensiv spielen lasse, «nicht wie GC, nur auf Konter». Barberis ist angetan von den Neuverpflichtungen und meint, dass Mittelfeldspieler wie Augustine Simo, Artur Petrosjan und Sergio Bastida für 20 Tore pro Saison garantieren müssten. Aber, warnt Barberis, in Zürich glaubten einige noch immer, alles gehe einfach. «Das ist aber nicht so.»

Daniel Jeandupeux, Nationaltrainer, als Favre Spieler war, stuft Favre als Trainer ein, der «seinen Überzeugungen nachlebt, einem Team ein Konzept mitgibt». Dass Favre (noch) nicht perfekt Deutsch spricht, sieht Jeandupeux nicht als Nachteil: «Sagt man als Trainer etwas zehnmal falsch, wissen die Spieler am Ende besser, was wirklich gemeint ist.»

Erfolgreich hat Favre auch in Yverdon gearbeitet. Innerhalb von vier Jahren hat er das Team von der Abstiegsrunde der Nationalliga B in die Finalrunde geführt, ehe er nach Genf wechselte. Paul-André Cornu, Präsident in Yverdon, lernte Favre als «fordernden Mann» kennen, der das Bedürfnis habe zu kommunizieren.

Und wie sieht sich Favre selbst? Er nimmt einen Block und schreibt mit Kugelschreiber folgende Zeilen: «La liberté consiste à faire tout ce qui ne nuit pas autrui.» Die Freiheit bestehe darin, alles machen zu dürfen, was anderen nicht schade. Das war es wohl, was ihn am Foul Chapuisats so gestört hat.



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Zur Person

Persönliches:

Geboren am 2. November 1957. Verheiratet mit Chantal, zwei Kinder. Lebt in Weiningen ZH.

Karriere:

Mittelfeldspieler in Oulens, Lausanne, Xamax, Servette, Toulouse und nochmals Servette. 24 Länderspiele.
Trainer in Echallens (1. Liga, 1993-1995), TK-Chef in Neuenburg (1995/1996), Trainer Yverdon (1996-2000, Aufstieg in die NLA, Qualifikation für Finalrunde), Trainer Servette (2000-2002, Cupsieger, Qualifikation für Uefa-Cup-Achtelfinals).


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Freunde

Die Natur

Ich bin gerne draussen, liebe es, an Seen entlangzuspazieren, in die Berge zu steigen, zu sehen und zu fühlen, wie sich die verschiedenen Jahreszeiten anfühlen. In der Natur zu sein, finde ich wunderbar.

Kontakte aller Art

Ich mag Kontakte aller Art. Das finde ich interessant. Neue Sachen zu entdecken, macht mir Spass, sei es im Gespräch mit einem Fischer oder andern Menschen, die etwas ganz anderes machen als ich.



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Gegner

Der Nebel

Mag ich nicht, weil die Klarheit verloren geht. Ich habe gerne den Überblick über die Dinge, und der Nebel schränkt diese arg ein. Wenn es nicht klar ist, leide ich.

Die Raser

Ich finde schlimm, wie Autofahrer viel zu schnell auf den Strassen unterwegs sind, sich des Risikos ihres Handelns nicht bewusst sind. Man sollte sich über die Konsequenzen des eigenen Verhaltens viel bewusster sein.
"We will always rebel against a threatening defeat" RED REBELS


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Beitragvon Florian » 09.07.03 @ 9:39

Merci für den Bericht! Den bekommt man nur mit der Carte Blanche oder?

«Er kann als Verteidiger in einer Viererkette links spielen, in einer Dreierkette aber auch zentral, er ist variabel, physisch robust.»


Will er das System doch noch umstellen oder ist das nur eine allgemeine Bemerkung? Ich kann mir die jetztige Mannschafts jedenfalls nicht mit einer Dreier-Abwehr vorstellen, denn dazu bräuchte es auch etwas defensivere Flügelspieler als dies Gygax und Bastida sind...

«La liberté consiste à faire tout ce qui ne nuit pas autrui.»


Geiler Satz! Favre wird mir immer sympathischer...

Gruess Florian

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Beitragvon pexito » 09.07.03 @ 10:17

Mageta hat geschrieben:Merci für den Bericht! Den bekommt man nur mit der Carte Blanche oder?


Ja schon. Ich werde wenn möglich die Artikel des Tagi posten. Viel Spass
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Beitragvon Célina » 09.07.03 @ 11:04

Am Mensch Favre kann es diese Saison nicht liegen. Habe selten ein so symphatischer und weltoffener Trainer erlebt!

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flöru
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Beitragvon flöru » 09.07.03 @ 11:36

Der Kameruner Simo, Xamax Neuenburg. «Er ist taktisch gut ausgebildet, eine Nummer 8, er kann den Ball gut verteidigen, das Spiel lenken, eine ideale Ergänzung zu Petrosjan.


wer hat jetzt die 14?
Südkurve Konto PC 87-443834-9

exil südkurve ;)

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Beitragvon C.D.M. » 09.07.03 @ 12:10

die beliebte nr. 14 (ex fischer) hat neu SIMO
Tage die man NIE vergisst:

13.5.06 FCZ SCHWEIZERMEISTER 2005/2006
24.5.07 FCZ SCHWEIZERMEISTER 2006/2007
24.5.09 FCZ SCHWEIZERMEISTER 2008/2009

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Beitragvon Florian » 09.07.03 @ 12:25

flöru hat geschrieben:Der Kameruner Simo, Xamax Neuenburg. «Er ist taktisch gut ausgebildet, eine Nummer 8, er kann den Ball gut verteidigen, das Spiel lenken, eine ideale Ergänzung zu Petrosjan.


wer hat jetzt die 14?


Favre hat schon in einigen Interviews einer Position eine bestimmte Nummer zugeordnet (wobei es noch sinnvoll wäre, zu wissen, welche Position bei ihm welche Nummer hat), was aber nichts mit der Rückennummer des angesprochenen Spielers zu tun hat, denn die 8 hat ja z.B. Keller...

Gruess Florian


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