NZZ vom Samstag

Hier kommt alles über Fussball rein, das nicht mit dem FCZ zu tun hat.
realtiger
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NZZ vom Samstag

Beitragvon realtiger » 20.10.02 @ 9:45

In der gestrigen NZZ hatte es einen intressanten Bericht über Athletic Club Bilbao und die Basken. Habe diesen in der Online NZZ leider nicht gefunden.


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Zeugkind
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Beitragvon Zeugkind » 20.10.02 @ 12:15

Was isch dänn gstande über de Athletic?
Ob näher oder weiter, ob neuer oder älter, ob grösser oder kleiner, in Zürich schlägt uns keiner!

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Jea
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welli site?

Beitragvon Jea » 21.10.02 @ 13:12

weisch no, welli site??
od. wie d überschrift gheisse hät?
gruess

ps: chanen dänn evt. kopiere!

realtiger
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Beitragvon realtiger » 21.10.02 @ 13:15

der bericht war im letzten oder zweitletzten bund zuvorderst.

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Jea
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Artikel

Beitragvon Jea » 22.10.02 @ 9:25

also, ich weiss glaub, welle artikel du meinsch, jetzt hanen aber nur im pdf-format! chasch mer süscht mal dini e-mail gäh?!
gruess

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Jea
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Beitragvon Jea » 22.10.02 @ 9:32

da eifach dä text ohni bilder!
gruess

Hier gilt das Wort»
Der Athletic Club Bilbao: ein baskisches Fussballparadox - von Markus Jakob (Text) und Roger Wehrli (Bild)
Amurrio: Eine Supporterfahrt. «Hurrengo geltokia» heisst «nächste Haltestelle»: Auf der kurzen Fahrt von Bilbao nach Amurrio hat man Gelegenheit, sich die beiden baskischen Wörter zu merken. Der Zug hält an jeder Station. Die Bahnhöfe sind durchweg schmucke Bauten im baskischen Heimatstil, dem «baserri» nachempfunden, dem giebelbedachten «Heimetli». Grotesk der Gegensatz zu den Wohnkasernen, die sich um diese rustikalen Bijous herum zu Vorstadt-Clustern ballen. Dann Industrie natürlich, deren Niedergang eher die Hüttenwerke an der Ría betraf als die Fabriken im Hinterland, mit dickem Filzstift in das Grün der Hügel gezeichnet. Hurrengo geltokia: Amurrio. - Da waren wir nun, zwanzig Kilometer von Bilbao, zwei Stunden vor Spielbeginn. Nichts in Sicht als ein an Beckett gemahnendes Paar auf einer Bank: ein dürrer Alter mit Baskenmütze, daneben eine unwahrscheinlich fette Frau im Blumendessin. «Wo bitte geht's zum Sportplatz?» - «Wir sind selber fremd hier», bedauerte die Dicke, die einem kalifornischen Supermarkt entsprungen schien. Dann parkte etwas weiter vorn ein Auto, dem lärmend mehrere Individuen in rotweiss gestreiften Trikots entstiegen: die ersten Athletic-Anhänger auf dem Weg zum Cup-Match gegen den Amurrio Club. Bald wurden es mehr. Rotweiss färbte sich das Dorfzentrum ein. Doch zogen viele mit geteilter Brust zum Sportplatz, hatte das Los doch einen baskischen David mit dem baskischen Goliath zusammengeführt.


Herrlich war die Septemberluft, gut gefüllt die lederne bota mit dem Rotwein, die Plastictüten waren schwer von belegten Broten. «Ein guter Schluck, ein guter Schinken, ein bisschen Trallala - was sonst soll uns der Fussball?», liess einer der rotweissen Gesellen verlauten. Paradox Nr. 1: Athletic Bilbao hat vielleicht die liederlichsten, zugleich aber die anspruchsvollsten Fans im Lande. In den Worten des Trainers: «Real Madrid kauft Figo, Zidane und Ronaldo, während wir im vergangenen Jahr keine Peseta für Spielereinkäufe ausgaben. Und trotzdem wollen die natürlich, dass wir den Besten ebenbürtig sind.»


Sie waren es in der hundertvier Jahre langen Klubgeschichte immer wieder. Vierundzwanzig Mal gewann Athletic den spanischen Cup, achtmal die Liga, beide zuletzt 1984. Heute aber macht ein Grundsatz, der den Verein von allen andern seines Rangs unterscheidet, solche Triumphe zunehmend unwahrscheinlich. Bei Athletic werden traditionsgemäss nur einheimische Spieler eingesetzt. Natürlich ist das ein dehnbarer Begriff. Auch ein Schwarzer könnte in der ersten Mannschaft spielen - falls er schon als Kind ins Baskenland gekommen wäre. Der französische Baske Lizarazu, Abwehrspieler des Weltmeisterteams von 1998, war bisher der einzige Ausländer, den Athletic unter Vertrag nahm. Er wechselte jedoch bald zu Bayern München, wo ihn seine Ursprünge einholten: Sosehr er sich stets zu seinem Baskentum bekannt hatte - unter anderem durch das Absingen baskischer Weihnachtslieder im baskischen Fernsehen -, nun wurde er von der ETA erpresst. Es ist nicht anzunehmen, dass er der erste Spitzensportler war, dem die Terroristenbande den Tod androhte, falls er sich weigere, die «Revolutionssteuer» zu entrichten für seine Sünde, sich dem Feind verkauft zu haben. Aber es war der erste solche Fall, der publik wurde. Der deutschen Presse war er binnen einiger Tage mehr Druckerschwärze wert als die achthundert Toten, die die ETA in ihrem makabren Kampf in dreissig Jahren angehäuft hat.


Unmöglich zu erfahren, wer alles von der ETA erpresst wird. Ziemlich sicher gehören dazu auch baskische Spitzensportler, die für eine spanische Nationalauswahl antreten. Im Dunkeln bleibt, wer bezahlt und wer den Mut hat, sich zu weigern. In Amurrio, an diesem heiteren Spätsommerabend, schien niemand von solchen Fragen gequält zu werden. Paradox Nr. 2: Athletic repräsentiert das Baskentum in Reinkultur, gaukelt seinen Anhängern aber zugleich ein apolitisches Idyll vor. San Mamés, das Athletic-Stadion, ist vermutlich der einzige baskische Ort, der ganz konträre Gesinnungen regelmässig während neunzig Minuten zu versöhnen vermag. Wein, Schinken und Allotria, gelegentlich ein Fallrückzieher. Dass in San Mamés noch nie eine Schweigeminute für ein ETA-Opfer abgehalten wurde, kommt in der gegebenen Situation freilich schon wieder einer politischen Stellungnahme gleich. Oder es ist einfach Feigheit - die Mehrheit mag es missbilligen, dafür bleibt man von der Wut der Gewalttätigen verschont. Genau diese Willfährigkeit ist jedoch ein Hinweis darauf, in welchem Grad die Einschüchterungsstrategien der radikalen Nationalisten die bürgerlichen Freiheiten unterhöhlt haben.


Andererseits hat kein Athletic-Spieler je der Berufung in die spanische Nationalmannschaft widerstanden. Eine der legendärsten Figuren, der Torhüter Iribar, war neunundvierzig Mal für Spanien angetreten, als er 1979 Gründungsmitglied von Batasuna wurde, dem politischen Arm der ETA. Notorisch sind auch die Verbindungen der radikalen Hooligans, namentlich des Fanklubs «Herri Norte», zur Randaliererszene, aus der die Terroristenorganisation ihren Nachwuchs rekrutiert. Aber selbst wenn vor zwei Jahren der Präsident der Agrupación de peñas, der über die halbe Welt verstreuten Fanklubs, wegen Zusammenarbeit mit der ETA verhaftet wurde, so lässt das nicht auf die Einstellung der gesamten Anhängerschaft schliessen, in der verbohrte Chauvinisten zweifellos in der Minderzahl sind. Sogar die eiserne Regel, auf Verstärkung von aussen zu verzichten, schreibt sich nicht unbedingt in eine nationalistische Tradition ein - eher in eine der Noblesse.


Denn dass Athletic ein vornehmer Verein ist, geleitet nach den ehrenwertesten Moralprinzipien, das ist für jeden Athletic-Fan in Stein gemeisselt. In Amurrio hatte ich das Vergnügen, Enrique Vicandi kennen zu lernen, das Musterbild des treuen Anhängers. Ein bisschen Bonvivant, ein bisschen sentimental, erwies er sich als wahrer Schönredner, sowie er auf den Klub seines Herzens zu sprechen kam. Fussball ist in Bilbao ein Zeremoniell - wird nicht das Stadion gemeinhin «la Catedral» genannt? Hat man hier jemals etwas von schmutzigen Geschäftspraktiken gehört, wie sie anderswo üblich sind? Wenn der Athletic Club, wie just am Tag des Cup-Spiels in Amurrio, von der Regierung der Provinz Vizcaya eine Subvention von sechs Millionen Euro zugesprochen erhält, da er den Ruhm des Landes in die Welt hinausträgt, so ist das doch nicht mit den Schiebereien anderer Vereine vergleichbar. Die Vereinsfinanzen liegen, obwohl man fast nur vom eigenen Nachwuchs lebt, im Argen - aber doch nicht so wie die jener Klubs, die Schulden in der Höhe neunstelliger Euro-Beträge anhäufen. Die 33 000 socios werden demnächst, murrend zwar, eine Erhöhung der Mitgliederbeiträge in Kauf nehmen müssen. Drei Dinge jedoch gibt es, die Enrique Vicandi nicht akzeptieren könnte: «Das Engagement nichtbaskischer Spieler. Den Abriss der Catedral. Und den Abstieg in die zweite Division.»


Athletic ist neben Real Madrid und dem FC Barcelona der einzige spanische Verein, dem Letzteres noch nie widerfahren ist. Auf meinen Einspruch korrigierte Enrique seine Aussage: «Nun gut, man müsste es wohl durchstehen.» Ein wirklicher Streitpunkt ist die Stadionfrage. San Mamés, in seiner heutigen Form in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden, ist eine weiss verkleidete Schüssel am Rand des Stadtzentrums, dicht an die stattlichen Häuser heran gebaut und umgeben von unzähligen Bars, in denen es vor und nach den Spielen hoch hergeht. Die ganze Calle Licenciado Poza ist ein bargesäumter Korridor, der auf diese Hülle, eines der enigmatischsten Gebilde, die je in einem europäischen Wohnviertel gelandet sind, zuläuft. Nun plant der derzeitige Präsident Javier Uria, seines Zeichens selbst Bauunternehmer, einen Stadionneubau. Ein neuer Standort dafür wäre für die meisten ein Sakrileg, doch wird demnächst durch den Wegzug der Messe das Gelände unmittelbar hinter San Mamés verfügbar. Uria hat den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster, der in Bilbao bereits die Metro gebaut hat, mit dem Projekt beauftragt. Die einheimische Architektenzunft fühlt sich düpiert, übergangen. Wenn jedoch Athletic jahrzehntelang fast ausschliesslich englische Trainer engagierte - legendär ist Mr Pentland, der mit Melone und Zigarre am Spielfeldrand stand -, warum sollte dann nicht auch ein englischer Architekt das neue Stadion bauen? «Weil wir überhaupt kein neues Stadion brauchen! Wir haben ja schon das beste!», rief Enrique aus.


Auch der Sportplatz von Amurrio strotzte von guter Laune, als die beiden Mannschaften zum Zweiunddreissigstel-Final der Copa del Rey auf das Spielfeld einliefen. Gewann der hohe Favorit, so war das für die Dörfler umso leichter zu verschmerzen, als es sich um den Athletic Club handelte; unterlag er hingegen, so war das umso sensationeller, als im Team des drittklassigen Aussenseiters gleich sechs ehemalige Athletic-Spieler standen. Denn so wie der Stadtklub seine Spieler in der Umgebung rekrutiert, so schiebt er sie auch wieder auf die Dörfer ab. Der Halbzeitpfiff - da stand es 1:1 - war für männiglich das Kommando, die Stullen auszuwickeln. Aus der ledernen bota spritzte der Wein auf manche Zunge, die eben noch Lästerliches über die Künste der Profis geäussert hatte, während die Jugendlichen mehrheitlich dem calimocho zusprachen: Cola mit Wein in Plasticbechern. In der zweiten Halbzeit griff Amurrio beherzt an, traf aber lediglich den Pfosten. Das Siegestor Athletics erlebten wir, weil der letzte Zug nach Bilbao schon um halb elf Uhr fuhr, dann nur noch als fernen Aufschrei.


Lezama: Scharf beobachtete Beine. Eine andere S-Bahn-Linie, Endstation diesmal eine moderne Stahl- und Glaskonstruktion. Etwas ausserhalb, Wurmfortsatz des kaum vorhandenen Orts Lezama, liegen die Trainingsinstallationen des Klubs: sechs Spielfelder, Fitnesscenter, Tagungs- und Schulungsräume. Auch der Nachwuchs wird hier ausgebildet, mit vereinseigenen Psychologen, Physiotherapeuten, Baskischlehrern ausserdem. Jetzt, am Vormittag, trainierte nur die erste Mannschaft. Dieses Ereignis hatte immerhin einige Dutzend Schaulustige angelockt, die sich, an die Gitter gekrallt, die Gymnastikübungen nicht entgehen lassen wollten. Paradox Nr. 3: «Sehen Sie sich mal dieses Gesindel an», knurrte der Erste, den ich ansprach. Er meinte nicht die Kiebitze, sondern die Spieler. «Lauter Banditen!» Einige der da unten brav ihre Muskeln Lockernden beziehen ja Jahresgehälter in Millionenhöhe. «Und Sie bemühen sich her, um denen zuzusehen?» - «Och, ich komme ja nicht so oft.»


Tag für Tag hingegen kommen die Pressephotographen. Am Spielfeldrand hatten sie ihre Teleobjektive aufgebaut, und auch einige Radio- und Fernsehleute verfolgten das scheinbar belanglose Geschehen. Nicht gerade ein aufregendes Metier, aber wenn man es wie der Photograph der Zeitung «El Mundo Deportivo» betrachtet, der mit seinen Kollegen täglich sechs bis zehn Seiten über Athletic füllt, dann hat es fast etwas fernöstlich Meditatives: Die Perfektionierung des immer gleichen und doch anderen Bildes eines Mannes in kurzen Hosen. Der Vater von Julen Guerrero, Athletics Starspieler der letzten zehn Jahre, sagte dasselbe mit diesen geheimnisvollen Worten: «Je genauer man jede ihrer Bewegungen kennt, desto mehr leidet man.»


Julen Guerrero war 1992 vom damaligen (und 2001 zu Athletic zurückgekehrten) Trainer Jupp Heynckes aus der zweiten Mannschaft geholt und auch gleich in die spanische Nationalelf berufen worden. Um eventuellen Gelüsten zuvorzukommen, sich einem reicheren Klub anzuschliessen, bot ihm Athletic einen Zehnjahresvertrag zu unerhörten Konditionen an. Kein besonders motivierendes Vorgehen, und Guerreros Stern verblasste denn auch allmählich. Heute machen ihm bei Athletic zwei jüngere Spieler, Tiko und Arriaga, seine Position streitig. Während er sich auf dem Trainingsplatz abrackerte, unterhielt ich mich mit seinem Vater, der als junger Mann aus einer kastilischen Kleinstadt nach Portugalete ausgewandert war. Gerade für einen Immigranten war die Begeisterung für den Athletic Club auch ein Mittel, sich in die baskische Gesellschaft zu integrieren, und durch seine Söhne - alle drei wurden Profifussballer - hat er dann sogar an der Saga fortgewirkt.


Die Spieler verschwanden in die Umkleidekabinen - genauer: in die Jacuzzis und auf die Massagetische -, das Rudel der Presseleute jedoch blieb auf dem Platz. Worauf warteten die denn jetzt noch? Ach so, das tägliche Interview. «Wir einigen uns jeweils darauf, wen wir uns vorknöpfen wollen», erklärte mir der Mann von Radio Popular. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das baskische Fernsehen Fussballer bevorzugt, die des Baskischen kundig sind - eine Voraussetzung, die nur sechs oder sieben der fünfundzwanzig Profis erfüllen. Paradox Nr. 4: Baskisch wird trotz den systematischen Bestrebungen, die «baskische Nation» auch sprachlich von Spanien abzusondern, nach wie vor nur von einer Minderheit gesprochen. Im Gekeif der Spieler, die vorhin noch einen kleinen Match gespielt hatten, waren nur spanische Laute zu vernehmen gewesen, so wie man ja auch in einer Stadt wie Bilbao im Alltag kaum je ein Wort Euskera hört - es sei denn am Radio und Fernsehen. Der Regionalsender ETB 1, der ausschliesslich Baskisch sendet, kann seine entsprechend niedrigen Einschaltquoten nur mit Fussballübertragungen aufbessern; zugleich dürfte das eine der wirksamsten Methoden zur Sprachförderung sein. Nun trippelte in silbernen Nikes mit offenen Schnürsenkeln der Mittelfeldspieler Tiko - berühmt für seine Distanzschüsse - vor die sich automatisch bildende Mikrophontraube und gab seine Statements zum gestrigen Cup-Match und zum bevorstehenden Spiel gegen den FC Barcelona erst auf Baskisch, dann auf Spanisch von sich. Am eindrücklichsten war aber das «Klick» von mindestens zehn Aufnahmegeräten, die gleichzeitig ausgeschaltet wurden, als alle begriffen, dass es nun wirklich nichts weiter zu sagen gab.


Nur wir, die Fremdlinge von der NZZ, hatten noch ein paar Fragen auf Lager, vor allem an den Trainer. Der aber war schon zuvor mit den Worten entschwunden: «Vom <Blick> also seid ihr? Da müsst ihr euch ein bisschen gedulden.» Der in seinem zu engen Anzug schwitzende Pressechef Jon Larrea wies uns an, auf dem Parkplatz Stellung zu beziehen. Der Parkplatz vermittelte uns einen bleibenden Eindruck des gehobenen spanischen Geschmacks in automobilistischen Belangen. Ausser uns trieben sich noch drei andere Gestalten in der brütenden Mittagssonne herum: zwei junge Autogrammjägerinnen, die jeden der nach und nach ihrem Kraftfahrzeug zustrebenden Spieler - viele kaum älter als die beiden Girls - zielbewusst abfingen, sowie ein etwas undurchsichtiger Typ, dem indessen jeder der Fussballer ein freundliches «¡Hasta luego, Josu!» zurief. Josu, stellte sich heraus, war der Parkplatzwächter. Seit achtzehn Jahren hütet er in Lezama den Athletic-Fuhrpark. Verschwiegen wie das Grab, stellten wir fest. Und dass es offenbar noch meditativere Jobs als den des Trainingsberichterstatters gibt.


Dann tauchte ein anderer Josu auf, Josu Urrutia: der beinharte Verteidiger von Athletic, seit 1988 in der ersten Mannschaft, Seele und Standarte des Klubs. In Amurrio hatten zwei Zuschauer über ihn getuschelt: «Nun schau dir dieses Borstenvieh an.» (Zwischenbemerkung: Wenn Basken sich zu zweit unterhalten, sind sie leiser und behutsamer als die meisten Mitteleuropäer. In grösseren Gruppen aber krakeelen sie ärger als selbst Andalusier.) Das besagte Borstenvieh humpelte, denn er hatte sich in dem Spiel verletzt, mit einem in einer Gummisandale steckenden Fuss herbei, um sein hunderttausendstes Interview auszustehen. Dummerweise schaltete sich aber mein Aufnahmegerät nicht ein. Während er schon die ersten Fragen beantwortete, versuchte ich weiter vergeblich, es in Gang zu setzen, und hielt ihm schliesslich den Recorder hin, als liefe er. Urrutia, im Privatleben überhaupt kein Borstenvieh, sondern ein wohlerzogener Mensch, spielte die Komödie mit und erzählte noch einmal in sanften Worten, wie er im Schoss dieses Klubs aufgewachsen sei, von Riege zu Riege bis in die erste Mannschaft, und wie tief ihrer aller baskische Wurzeln reichen. Nun ja, vielleicht hat er von meinem Malheur gar nichts gemerkt.


Aber mit dem Trainer durfte mir das nicht noch einmal passieren. Jupp Heynckes' Karriere als Spieler (bis 1976) wie als Trainer ist immens - Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern, dann via Bilbao und Frankfurt zu Real Madrid (Champions-League-Gewinn, und trotzdem entlassen) und via Teneriffa wieder nach Bilbao. Heynckes ist der richtige Mann am richtigen Ort. Der passt hier einfach hin. «Ich mag die Wesensart, die Menschen, wie sie hier sind. Der baskische Spieler zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr diszipliniert ist, leicht zu handhaben, aufnahmefähig, im Charakter manchmal noch zu introvertiert. Und Athletic ist ein seriöser Klub, der im spanischen Fussball ein enormes Renommee hat, obwohl wir heute mit den Grossen nicht mithalten können. Un club señorío: ein Gentlemen-Klub. Man war ja hier immer am englischen Fussball orientiert. Hier gilt das Wort. Wenn Sie das Wort des Präsidenten haben, dann brauchen Sie keinen Vertrag.»


San Mamés: Jupps Ballhaus in Bilbao. Samstag, der 15. September, war ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich heisser Tag. Bilbao harrte zweier Ereignisse. Um 21.30 Uhr wurde das erste Heimspiel der neuen Saison gegen den FC Barcelona angepfiffen. Schon vorher aber hatten die radikalen Nationalisten zu einer Demonstration aufgerufen, um gegen die neue Marschrichtung der Zentralregierung zu protestieren, die sowohl auf politischem wie auf juristischem Weg die Illegalisierung von Batasuna anstrebt: Jener Partei, die zehn bis fünfzehn Prozent der baskischen Wählerschaft repräsentiert, obwohl sie offenkundig mit einer terroristischen Bande, die ihre politischen Gegner in die Luft zu sprengen oder mit Genickschüssen niederzustrecken beliebt, unter einer Decke steckt. Gewiss, die Zulassung dieser Partei war längst nur mehr dadurch gerechtfertigt, dass Spanien nach vierzig Jahren Franquismus jegliche Einschränkung der politischen Freiheit scheute. Ihr Verbot aber, von der Regierung Aznar mit populistischem Getöse inszeniert, mobilisierte zwangsläufig auch jene baskischen Patrioten, die zwar vor Mördern kuschen, aber doch nicht vor Madrid. Die Menge füllte die ganze Avenida Autonomía: Zehntausende, die ihr «Gora Euskal Herria» - Hoch lebe das Land der Basken - skandierten.


Sie waren viele, und sie waren friedlich, eine geradezu pathetische Menschenmenge, nur dass natürlich auch die Randalierer nicht fehlten, welche die eigentlich nicht bewilligte Demonstration zu einer Schlacht ausarten liessen. «Wie könnt ihr nur auf euer eigenes Volk schiessen?», mussten sich die ertzainas anhören, die vermummten Beamten der baskischen Polizei, die mit Wasserwerfern und Gummigeschossen zwanzig Demonstranten verletzten. Aber auch: «Du kannst dich lange maskieren, wir haben deine Adresse. Als nächste kommt deine Mutter dran.» In Euskal Herria nimmt man solche Drohungen nicht auf die leichte Schulter. Vor allem in den Dörfern machen viele lieber den Mund nicht mehr auf, und die gesamte nichtnationalistische Opposition muss ja mit Leibwächtern leben.


Bin ich vom Fussball abgeschweift? Ist Fussball vielleicht einfacher als Politik? Zumindest wirkt, man sollte das nicht unterschätzen, gerade die «Primera División» als gesamtspanischer Kitt. In einem unabhängigen Baskenland gäbe es auch in der Meisterschaft nur noch Widersacher wie den Amurrio Club, während man sich an diesem Abend immerhin mit dem FC Barcelona mass. Es ist nur eine Vermutung, dass einige nachmittägliche Strassenkämpfer gerade noch Zeit zu einem Trikotwechsel von Schwarz zu Rot-Weiss hatten. Das Spiel verlief dann enttäuschend. Auch Heynckes hatte zahlreiche Verletzte zu beklagen und musste mehrere sehr junge Spieler aufbieten, die gegen Kluyvert, Saviola & Co. sang- und klanglos 0:2 verloren. «Abgesoffen, auf gut Deutsch gesagt.» Wir sassen neben der Ehrentribüne, wo mit steinernen Mienen die baskischen Führungskräfte Platz genommen hatten: wohl eine Hundertschaft, einer Beerdigung würdig, nur ohne Damen. Dass sich während des ganzen Spiels in keinem dieser Honoratiorengesichter je ein Muskel rührte, war aber doch irritierend. Andererseits: Hätte diese schweigsame Kamarilla plötzlich Bocksprünge vollführt, so hätte man es wohl auch für deplaciert gehalten.

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Beitragvon realtiger » 22.10.02 @ 9:51

Merci

Ich fand diesen Bericht sehr intressant.


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