So wird unser Fussball im Ausland gesehen:
Prämien aus Panama
Schwarze Kassen, veruntreute Millionen: Bei Profi-Vereinen in der Schweiz häufen sich die Pleiten. An die Stelle klassischer Mäzene rücken immer häufiger windige Finanzjongleure.
Die Karriere des Bankiers Andreas Hafen, 40, verlief verheißungsvoll. In der St. Gallener Dependance der UBS, des bedeutendsten Geldinstituts der Schweiz, hatte man den Spezialisten für das Firmenkundengeschäft zum Vizedirektor befördert. Und auch bei den Fußballfreunden im Lande hatte sich der Kreditexperte einen Namen gemacht.
Denn der Mann mit dem dunklen Schnauzbart und dem Achtziger-Jahre-Mittelscheitel führte als Präsident den FC Wil vorigen Sommer in die höchste Schweizer Spielklasse, die Nationalliga A. Auf Anhieb etablierte er den Provinzclub in der Spitzengruppe. "Ein Fußballmärchen", notierten Boulevardreporter entrückt.
Doch dann geschah etwas, womit im heimeligen Städtchen Wil niemand gerechnet hatte. Beamte der Kantonspolizei St. Gallen erwarteten Hafen, der von einem Geschäftstermin zurückgekehrt war, an einem Wintertag in seinem Büro - und nahmen ihn fest.
In Untersuchungshaft gestand der Kaufmann, dass er bei der UBS im Laufe mehrerer Jahre systematisch 48 Millionen Schweizer Franken veruntreut hatte - und dass davon 10,5 Millionen diskret in den wundersamen Aufstieg des FC Wil geflossen waren.
Nun wartet der enttarnte Finanztrickser auf seinen Prozess. Und der FC Wil musste selbst bei seinen Anhängern betteln gehen, damit der drohende Konkurs zumindest fürs Erste abgewendet werden konnte und die Mannschaft bei der Anfang März beginnenden Finalrunde weiter mitmischen darf.
Die Affäre Hafen ist der jüngste Beleg für das fragwürdige Finanzgebaren im Schweizer Profi-Fußball. Denn immer häufiger manövrieren in dem Alpenland, das im Jahr 2008 gemeinsam mit Österreich die Europameisterschaft ausrichten wird, Clubbosse ihre Vereine in den Abgrund. Einige beweisen dabei eine erstaunliche kriminelle Energie. Nach einer ganzen Serie von Skandalen entsetzte sich die "Neue Zürcher Zeitung" über "verantwortungslose Präsidenten" und "größenwahnsinnige Einzelpersonen". Das Blatt ortete den bezahlten Fußball der Eidgenossen in seiner "tiefsten Krise".
Zu Beginn dieser Saison wurden gleich drei hoch verschuldete Traditionsclubs aus der Nationalliga A verbannt: der FC Sion, der sich in seiner Not einem obskuren Bierbrauer aus Kamerun angedient hatte; der Verein Lausanne-Sports, den ein französisch-polnischer Industrieller heruntergewirtschaftet hatte; und der FC Lugano, bei dem ein hasardierender Vermögensverwalter jahrelang mit veruntreuten Millionen und schwarzen Kassen regiert hatte.
Der Tessiner Nobelclub steht für den bislang spektakulärsten Crash eines Profi-Vereins in der Schweiz. Jahrelang hatte Helios Jermini für die Finanzierung der Mannschaft gesorgt - woher die Gelder stammten, mit denen der Präsident seine teuren Spieler bezahlte, hatte niemand ernsthaft hinterfragt.
Erst im März des vorigen Jahres flog Jerminis falsches Spiel auf. Da bargen Taucher den Geschäftsmann aus zehn Meter Tiefe hinter dem Steuer seines Autos im Luganer See. Jermini hatte sich, wie die Autopsie des Leichnams und die technische Untersuchung des Audi A6 zweifelsfrei ergaben, das Leben genommen.
Staatsanwalt Emanuele Stauffer ließ sämtliche Akten Jerminis beschlagnahmen - und staunte, als er die Dokumente sichtete. Denn es zeigte sich, dass der Vereinsboss aus seiner in Liechtenstein ansässigen Treuhandgesellschaft Lagestion SA 61 Millionen Schweizer Franken veruntreut und 45 Millionen davon in den FC Lugano gesteckt hatte.
Mehr noch: Der Ermittler fand heraus, dass Jermini seit Beginn seiner Präsidentschaft im Jahr 1996 schwarze Kassen angelegt hatte. "Jeder Spieler, ob populär oder unbekannt", resümiert Staatsanwalt Stauffer, "hatte zwei Verträge." Doch nur über jeweils einen führte der Verein Steuern und Sozialbeiträge ab. Ob die Profis davon Kenntnis hatten, ist noch unklar.
Jerminis Firmengeflecht führte Konten in Liechtenstein, Panama und der Schweiz. Es war ein perfektes System, um Geldströme zu verschleiern - und der Finanzjongleur war wohl der Einzige, der alles überblickte. Er muss sich sehr sicher ge-
fühlt haben. "Die meisten Dokumente lagen leicht zugänglich auf seinem Tisch und in den Schränken", sagt Stauffer.
Doch Jermini wusste auch, wann alles aus war. Es war der Tag, an dem einer seiner italienischen Geschäftspartner mehrere Millionen Schweizer Franken aus der Lagestion SA zurückverlangte. Jermini verabschiedete sich in Lugano mit dem Hinweis, er habe einen Termin in Mailand - und lenkte seinen Wagen in der Nähe des Grenzdörfchens Brusino Arsizio ins Wasser.
Fast ein Jahr nach dem Freitod ist noch immer nicht klar, wie es weitergeht beim FC Lugano. Ein Treuhänder lenkt die Geschicke des insolventen Zweitligisten. Die mafiösen Methoden Jerminis schrecken neue Investoren ab.
Die Lage ist paradox. Einerseits wird von der Schweiz aus das große Rad des globalen Fußballs gedreht: Hoch über dem Zürichsee residiert der Weltverband Fifa, am Genfer See logiert die europäische Uefa, und in Steuer-schonenden Städten wie Zug oder Luzern haben Rechteagenturen ihren Firmensitz, die mit dem Spiel Milliarden bewegen.
Andererseits droht der Sportart die Luft auszugehen. So sahen in der Vorrunde nur 7500 Zuschauer im Durchschnitt die Spiele der Nationalliga A - wobei der Branchenführer FC Basel mit gut 26 500 Fans pro Match deutlich herausragt. "Ausverkauft war unser Stadion zum letzten Mal bei der Schweizer Meisterschaft im Hornussen, einer Art mittelalterlichem Baseball", spöttelt der deutsche Mittelfeldspieler Christian Brand, der im Sommer von Hansa Rostock zum FC Luzern wechselte.
Auch der Verkauf der TV-Rechte spielt für die Clubs kaum eine Rolle. So erhalten die Vereine der Nationalliga A in dieser Saison rund fünf Millionen Schweizer Franken - verglichen mit den 290 Millionen Euro, die deutsche Bundesligisten für die laufende Spielzeit kassieren, geradezu lächerlich wenig.
Weil Profis wie der Basler Murat Yakin oder der Berner Stéphane Chapuisat dennoch auf 600 000 Schweizer Franken per annum taxiert werden, geht es ohne die klassischen Mäzene kaum mehr: jene typisch Schweizer Spezies von Sponsoren, die reichlich privates Kapital in ihre Lieblingsvereine pumpen, weil sie sich, wie der Immobilienmakler Sven Hotz beim FC Zürich oder die Wirtschaftskapitäne Fritz Gerber und Rainer E. Gut beim Lokalkonkurrenten Grasshoppers, einen "Bubentraum" erfüllen.
Dass mancher taumelnde Club in die Hand zwielichtiger Geldgeber gerät, ist bei dem enormen Finanzbedarf nur logisch. Denn nicht jedem Verein gelingt es, die Angehörige eines Industriellen-Clans für den Männersport zu begeistern.
René C. Jäggi, der nun den 1. FC Kaiserslautern vor der Pleite bewahren soll, gelang dieses Kunststück vor drei Jahren. Als Chef des FC Basel lud er die milliardenschwere Roche-Erbin Gisela Oeri, 47, zum Champions-League-Spiel nach München und zum englischen FA-Cup-Finale nach Cardiff ein.
Die Dame reiste in ihrem Privatjet an - und ist seither entflammt. Mittlerweile hat die vermögende Lady über 80 Prozent der Anteile am FC Basel erworben und sorgt, sobald nötig, für einen ausgeglichenen Etat.
Doch auch die allseits bekannte "Gigi" kommt, so scheint es, voll auf ihre Kosten. Als der FC Basel im Sommer die Schweizer Meisterschaft gewann, schlüpfte die schrille Blondine in einen maßgeschneiderten Einteiler in den Vereinsfarben Rot und Blau - und gesellte sich, sehr zum Entsetzen der feinen Basler Gesellschaft, mittenmang ins Entmüdungsbecken zu den grölenden Herren Profis. MICHAEL WULZINGER
Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,237247,00.html