Wenn auf dem Sportplatz betrogen wird: Noch nie so viele manipulierte Spiele wie im Jahr 2022Die Integritätsabteilung von Sportradar stellte im vergangenen Jahr erstmals bei über 1000 Wettkämpfen Matchfixing fest.
Rainer Sommerhalder 20.04.2023, 17.00 Uhr
Es ist ein Rekord, der nachdenklich stimmt. Die Integritätsabteilung von Sportradar, das weltgrösste Dienstleistungs-Unternehmen für die Sportwetten-Industrie, meldet für das Jahr 2022 die Rekordmarke von 1212 manipulierten Spielen aus zwölf verschiedenen Sportarten. Es ist das erste Mal, dass diese Zahl vierstellig ist.
Insgesamt wurde in 92 verschiedenen Ländern Wettbetrug festgestellt. Mit Abstand am meisten im Fussball (775), gefolgt von Basketball (220) und Tennis (75), sehr selten bei Sportevents von Frauen (24). «Diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs», sagt Andreas Krannich, seit 18 Jahren Direktor der Integritätsabteilung von Sportradar.
Krannich sagt, dass man nur bei 100-prozentiger Sicherheit Alarm schlägt. «In den letzten 18 Jahren lagen wir kein einziges Mal falsch». Zusätzlich gäbe es sehr viele Spiele, bei denen Manipulation ebenfalls sehr wahrscheinlich sei. Krannichs gut 130 Mitarbeitende überwachen den Wettmarkt für inzwischen mehr als 160 internationale Sportorganisationen und staatliche Behörden, zumeist aus dem Bereich der Strafverfolgung.
Die Fifa und das FBI sind Kunden
Zu den Kunden der Integritäts-Dienstleistungen gehören das Internationale Olympische Komitee, die Fifa und die Uefa sowie Interpol und Europol. Auch in Nordamerika hat man, angefangen von NHL über NBA bis hin zum FBI, 20 verschiedene Partner. In der Schweiz greifen der Volleyball- und der Handballverband auf die Arbeit von Sportradar zurück. «Mit weiteren Verbänden sind wir im Gespräch», sagt Krannich.
Die Schweiz ist gemeinsam mit Deutschland im Jahr 2022 in Sachen Spielmanipulation ein weisser Fleck. Grundsätzlich wurden manipulierte Sportveranstaltungen auf allen Kontinenten festgestellt, am häufigsten in Brasilien (152), gefolgt von Russland (92) und Tschechien (56).
Während die Tendenz beim Basketball stark ansteigt, ist die Anzahl manipulierter Matches im Tennis rückläufig. Andreas Krannich lobt die Anstrengungen des internationalen Tennisverbandes, mit griffigem Regelwerk, harten Sanktionen, aber auch durch verstärkte Prävention mehr gegen den Sportbetrug zu unternehmen.
An zu vielen Orten fehlen die «Alarmanlagen»
Krannich macht einen Vergleich: «Es ist wie bei einem Einbrecher in einem Villenviertel. Acht Häuser haben eine Alarmanlage, eines nicht. Wo schlägt er wohl zu?» Risiko-Minimierung gehöre neben der Suche nach einem maximalen Gewinn zur Strategie der Matchfixer.
Auch wenn sich die absoluten Zahlen auf Rekordniveau bewegen, so steigt die Quote manipulierter Sportveranstaltungen nicht an. Denn auch dank dem weltweit grössten Netzwerk von über 80 Wettanbietern überwachte Sportradar im vergangenen Jahr so viele Sportevents wie noch nie - rund 850'000 Spiele in mehr als 70 verschiedenen Sportarten.
Der Kampf zwischen Betrügern und Ordnungshütern ist auch ein aufgerüstetes Technologie-Duell. Die Wettmafia rekrutiert korrupte Sportler, Schiedsrichter oder Funktionäre zunehmend über digitale Kanäle. Corona hat dem organisierten Verbrechen diesbezüglich ebenso in die Hände gespielt, wie die aktuell schwache Wirtschaftslage in vielen Regionen.
Dank künstlicher Intelligenz die Verbrechen voraussehen
Umgekehrt setzt Sportradar seit 2018 auf Künstliche Intelligenz zur Erkennung von manipulierten Spielen. «Dies passierte 2022 zum ersten Mal umfassend. In wenigen Jahren werden wir dank KI wahrscheinliche Ziele für Wettbetrug perspektivisch voraussagen können», prophezeit Krannich.
Stolz ist der Integritätsleiter auf den Beitrag seines Teams bei der Verfolgung von Matchfixing. Allein 2022 trugen Untersuchungsberichte von Sportradar zu 169 straf- und sportrechtlichen Sanktionen in 21 Ländern bei. Seit 2003 kam es dank aktiver Mithilfe zu 770 Verurteilungen.
In den vergangenen Monaten im Fokus waren Fälle von Sportbetrug in Österreichs dritthöchster Fussball-Liga sowie in den beiden höchsten Ligen im Basketball. Die «Operation Cap» führte im September 2022 sowie im Februar 2023 zur Verurteilung von mehreren aus Südosteuropa stammenden Hintermännern. Auch aktuell hilft man bei der Aufarbeitung eines spektakulären Falls in Osteuropa mit.
https://www.limmattalerzeitung.ch/sport ... ld.2444976