Beitragvon Jerkovic » 10.02.04 @ 7:25
Also, Ultras, ich habs für Dich abgetippt:
Selbstzufrieden – bis zum Abstieg?
Der FC Zürich kämpft ab nächstem Sonntag um nichts anderes als den Klassenerhalt.
Die Frage ist nur, ob sich alle im Letzigrund dieser brisanten Situation bewusst sind.
Von Peter Bühler, Zürich
Als Harald Gämperle in den ersten Tagen des Januars beim FC Zürich seinen Dienst antrat, hat er sich als Erstes gehörig gewundert. Da erschienen Spieler mit einer Tasse Kaffee in der einen und einem Gipfeli in der anderen Hand zur Therapie oder Massage, weil sie zu spät aufgestanden waren und keine Zeit mehr gefunden hatten, zu Hause zu frühstücken. Oder da verschwanden Spieler nur Minuten nach dem Training überstürzt und mit noch nassen Haaren vom winterlichen Letzigrund, weil private Verpflichtungen riefen. « Unprofessionell » ist das einzige Wort, das Gämperle zu derartigem Verhalten einfällt. Gämperle ist der neue Assistenztrainer, er hat einst viele Jahre für St. Gallen, GC und Xamax gespielt und seine ersten Erfahrungen als Ausbildner bei den Young Boys an der llibaum und zuletzt beim FC Baden gemacht. Gämperle ist von ganz anderem Wesen als sein Vorgänger Walter Grüter. « Er ist ein scharfer Hund » , schmunzelt Präsident Sven Hotz. Und genau deswegen habe er ihn auch engagiert. Grüter, behauptet Hotz, sei immer ein Freund der Spieler gewesen, er habe auch dem Cheftrainer Lucien Favre nie widersprochen, weil « er es allen recht machen wollte, um seinen Job nicht zu gefährden » . Dass Grüter im Dezember auch deswegen entlassen wurde, weil er ein Relikt aus der Ära des früheren Sportchefs Erich Vogel ist, mag Hotz nicht bestätigen, aber er dementiert auch nicht.
Er sagt nur: « Ich bin froh, dass Gämperle und Bickel jetzt da sind. » Fredy Bickel ist der neue Sportchef und wie Gämperle ein offener und mitteilsamer Mensch. Die beiden sollen, so der Wunsch von Hotz, den eher introvertierten Favre in seiner Arbeit ergänzen und unterstützen, vor allem sollen sie mehr Leben in die im Herbst oftmals so blutleere Mannschaft bringen. Fürs Erste macht es den Anschein, als ob der Präsident und seine Mitstreiter aus dem Verwaltungsrat die sportliche Führung sorgfältig und mit feinem Kalkül zusammengestellt haben.
Favre ist der Fachmann und kühle Analytiker, ein ehrlicher und hochanständiger Fussballlehrer mit Stil und gepflegten Umgangsformen; Bickel ist der Arbeiter mit guten Beziehungen im Fussball, unermüdlich auf Trab und sich für nichts zu schade, wenn es dem FCZ nützt; Gämperle schliesslich ist der Antreiber auf dem Trainingsplatz, unerschrocken und gleichzeitig kritisch wie loyal dem Trainer und den Spielern gegenüber. « Wenn Favre mich danach fragt, sage ich offen meine Meinung, doch er ist es, der entscheidet » , sagt Gämperle. Und seine Maxime im Umgang mit den Spielern lautet: « Sie müssen mich nicht lieben, sondern hart arbeiten und guten Fussball spielen. » Ein Augenschein auf dem Trainingsplatz zeigt, dass mit Gämperle der Ton rauer geworden ist, die Anforderungen an die Fussballer sind gestiegen, es wurde in diesen ersten Wochen des neuen Jahres auch schon die eine oder andere Busse gegen einen nachlässigen Spieler ausgesprochen. Und es ist offensichtlich, dass härter gearbeitet, mehr gelaufen, die Ausdauer gezielter gefördert wird. Nicht ohne Grund: Laktatmessungen bei den Spielern und Berechnungen ihres Körperfettanteils haben zum Teil erschreckende Werte offen gelegt. Gämperle sagt schonungslos: « Einige Spieler haben schlicht zu wenig Kondition, einige ernähren sich offensichtlich falsch. »
Körperliche Defizite eliminieren
Als Kritik an der bisherigen Arbeit von Favre und seinem Vorgänger Grüter will er diese Feststellung nicht verstanden wissen, obwohl die schlechten Testresultate gewiss nicht für die im letzten Sommer und Herbst geleisteten Trainingspensen sprechen. Da nun aber Gämperle für die physische Vorbereitung der Spieler verantwortlich ist, tut er alles dafür, um mit ihnen die körperlichen Defizite aufzuarbeiten. « Das dauert seine Zeit, aber wir schaffen das » , ist er überzeugt. Voraussetzung ist, dass die Spieler mitmachen – und gerade dies ist beim FC Zürich keine Selbstverständlichkeit. Bickel wie Gämperle, der eine seit zwei, der andere erst seit einem Monat im Amt, haben rasch festgestellt, dass im Letzigrund eine eigene wie auch eigenartige Mentalität herrscht: Viele Spieler sind nicht im Geringsten selbstkritisch, sie sind vielmehr sehr schnell mit sich und ihrer Leistung zufrieden, verwöhnt, genügsam und bequem.
Das ist keine neue Erkenntnis und eine der Hauptursachen für die schon Jahrzehnte dauernde Durststrecke des FCZ. Favre, Gämperle und Bickel wollen ihre ganze Kraft dafür einsetzen, dieses Übel auszumerzen. Der Cheftrainer sagt, sein grösster Wunsch wäre, dass Präsident Hotz einmal nicht nur viel Geld aufwenden müsste, sondern auch sportliche Erfolge ernten dürfte: « Ich denke, seine Grosszügigkeit wurde zu oft ausgenützt. » Trotz aller Misserfolge während seiner ersten acht Monate auf dem Letzigrund sagt Favre: « Ich arbeite gern hier, weil ich noch immer überzeugt bin, dass ich den FCZ auf Dauer aus seinem Tief führen kann. » Er versichert glaubhaft, er habe sich selbst in den turbulentesten Phasen des Herbstes nie grosse Sorgen über eine Entlassung gemacht, auch nie einen Gedanken daran verschwendet, ob er im letzten Sommer nicht doch gescheiter nach Rennes oder zu Wimbledon in die First Division gewechselt wäre ( mit diesen Vereinen verhandelte er gleichzeitig wie mit dem FCZ). « Ein Trainer, der um seinen Job fürchtet oder nicht mit ganzer Energie für seine Mannschaft da ist, kann kein guter Trainer sein » , ist Favre überzeugt.
Eine versteckte Drohung
Dieses Selbstverständnis, dieses Vertrauen in sich und seine Arbeit hat ihm bei den Auseinandersetzungen mit dem ( in der Winterpause entlassenen) Sportchef Axel Thoma und dem ( ebenfalls ausgemusterten) früheren Captain Stephan Keller viel geholfen. Favre mag die Vorkommnisse aus der Vergangenheit nicht kommentieren, er weigert sich, schlecht über Leute zu reden, die nicht anwesend sind.
« Ich schaue nicht zurück, nur vorwärts. » Die Zukunft bringt ihm ab Sonntag und dem ersten Spiel in Aarau den Stress zurück, mit dem FCZ sofort Erfolge verzeichnen zu müssen. Hotz hat, von Favre abgesehen, die sportliche Führung ausgewechselt, was ihn ( wieder einmal) einiges Geld gekostet hat. Auch deshalb fordert er: « Wir müssen weg vom Tabellenende, und zwar rasch. » Falls das nicht gelinge, müssten er und die anderen Verwaltungsräte die Köpfe tief zusammenstecken – was nichts anderes als eine versteckte Drohung an Favre ist. Der Trainer seinerseits bleibt gelassen. Er denkt, seine Entlassung würde dem FCZ nichts helfen, im Gegenteil. Er prophezeit dem Stadtklub eine ganz schwierige Rückrunde: « Wir spielen zwar gegen GC um den Einzug in den Cupfinal, Priorität aber hat der Kampf gegen den Abstieg. Er wird ganz hart werden. » Seine grösste Sorge ist deshalb: Sind sich seine Spieler der Brisanz der Ausgangslage überhaupt vollauf bewusst? Captain und Torhüter Davide Taini sagt: « Wer jetzt die gefährliche Situation immer noch falsch einschätzt, ist beim FC Zürich definitiv fehl am Platz. » Favre aber traut der Sache nicht, zu oft ist er von seinen Spielern in den letzten Monaten enttäuscht worden. Deshalb hat er in der Kabine die aktuelle Tabelle in Grossformat aufhängen lassen.
Da steht es geschrieben, schwarz auf weiss: 10. FC Zürich, 18 Spiele, 14 Punkte.