Kroll zeigt Grösse

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billy
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Kroll zeigt Grösse

Beitragvon billy » 01.11.03 @ 9:54

Im Nachhinein war schwierig festzustellen, was ihn am meisten geschmerzt hatte. Vielleicht die drei Worte eines GC-Fans, als Kroll mit seiner Familie fünf Minuten vor Spielschluss das Stadion geschlagen verliess. «Geht ihr schon?», hatte der Fan höhnisch gerufen. Fast hätte sich Kroll auf den Mann gestürzt, ihn an der Krawatte gepackt und über die Balustrade geworfen. Aber er behielt die Ruhe, indem er sich bis zum Ausgang der Tribüne einzureden versuchte, die Worte hätten seiner hübschen Tochter gegolten und nicht ihnen als FCZ-Fans. Draussen ärgerte er sich wieder und dachte, zum Glück habe Paulchen den Spruch nicht verstanden. Sonst hätte der Kleine mit der FCZ-Fahne, die er wütend an die Abschrankungen knallte, ganz woanders hingeschlagen.

Kroll zeigte auch zu Hause Grösse. Statt sich frustriert die Niederlage im Derby nochmals im Fernsehen anzuschauen, sich mit einer Tafel Schokolade und einer Flasche zu trösten und sich danach stundenlang grundsätzliche Gedanken über sein Dasein als FCZ-Fan zu machen, ging er mit seiner Frau früh zu Bett.


Die Niederlage war auch für seine Tochter schwer zu ertragen. Schon auf der Tribüne hatte sie gejammert und war schliesslich nach dem zweiten GC-Tor mit dem Grund herausgerückt. Sie habe in der Schule mit einer Kollegin, die GC-Fan sei, gewettet und müsse im Falle einer FCZ-Niederlage einen Kuchen backen und, was schlimmer sei, im Schülerradio öffentlich bekannt geben, sie sei ein GC-Fan. Kleinlaut gab sie zu, sie sei wohl zu optimistisch gewesen.

Seine Tochter musste also lügen oder eine Wette brechen, dachte Kroll mit einem schlechten Gewissen. Wäre er kein FCZ-Fan, wäre sie wohl gar nicht in diese verzwickte Lage gekommen. Durfte er es sich als Familienvater überhaupt noch erlauben, FCZ-Fan zu sein? Auch Paulchen litt wohl unter dieser Situation. In diesem Herbst hatte er mit der ersten Mannschaft zehn Niederlagen erleben müssen und selber als junger Fussballer bei den FCZ-Junioren, allerdings gegen ältere und grössere Spieler, sieben von acht Spielen verloren. War das gut für seine Entwicklung? Aber um vom FC Zürich loszukommen, wusste Kroll aus Erfahrung, müsste er wohl ins Ausland nach Madrid oder Manchester ziehen.


Auch fremde Menschen litten mit. Wenn der FCZ heute nicht gegen GC gewinne, hatte ein Mann auf der Tribüne zu Beginn des Spieles verkündet, gewinne er nie mehr. Als niemand etwas dagegen einwandte, fügte er bei, wenigstens nicht, solange er lebe. Musste der Mann jetzt weiterleben bis zu seinem Tod, dachte Kroll, ohne Hoffnung auf einen FCZ-Sieg im Derby?

Das Schlimmste war wohl die allgemeine Verunsicherung. Kroll wusste nicht mehr, welcher FCZ-Spieler noch gut war und welcher nicht, welche Taktik man spielen sollte und welche nicht. Im Prinzip war durch die vielen Niederlagen seine ganze Weltordnung ins Zittern geraten. Er müsse sich einfach einmal eingestehen, dass der FCZ schwach sei, hatte ihm ein Kollege empfohlen. Das wäre vielleicht ein Zeichen von Grösse, dachte Kroll. Aber konnte man mit dieser Einstellung am Sonntag gegen den Tabellenletzten Wil gewinnen?

Quelle: tagi


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