Maradona im jurassischen Exil
Wieso Sven Hotz mit dem FC Zürich in den Jura will
tre. «Sobald wir uns für die Finalrunde qualifiziert haben, fahren wir mit der ganzen Mannschaft in den Jura», sagt Sven Hotz, Präsident des FC Zürich. - Was um alles in der Welt will Herr Hotz im Jura? Möchte er ein Freundschaftsspiel gegen Delsberg austragen? Will er seine Spieler zu Reitstunden anmelden oder ihnen nur beweisen, dass die Welt in Biel nicht aufhört? - Mitnichten. Sven Hotz möchte seinen Leuten zeigen, wieso der Ball in diesem Herbst in den letzten Spielminuten öfter ins gegnerische Tor als ins eigene geflogen ist. Der FCZ-Obmann will seinen Spielern Maradona vorstellen. Nicht den mit der göttlichen Hand und der notorisch verschnupften Nase, sondern den Maradona, der eigentlich schon lange zu Hundefutter verarbeitet sein müsste, vor knapp drei Jahren auf dem Letzigrund Panik verbreitete und bereits mit vier Jahren in Pension geschickt wurde: Maradona, das tierische FCZ-Maskottchen im jurassischen Exil.
Glück hatte der FC Zürich in den letzten zwei Jahrzehnten kaum einmal, Erfolg ebenfalls nicht. - Wenn es sportlich nicht klappen will, kann es an der verfehlten Transferpolitik liegen - oder an der Missgunst der Fussballgötter. Um Letztere gnädig zu stimmen, helfen weder taktische Anweisungen noch technische Kabinettstückchen. Gebraucht wird ein Glücksbringer. Was andere ihr Leben lang vergeblich suchen, kam auf dem Letzigrund angerannt. Direkt aus dem benachbarten Schlachthof - im Februar 1999. Der Muni wollte nicht in Konservendosen abgepackt werden. Er riss sich los und stürmte zum FCZ. Zürcher Fussballer haben ein Herz für Tiere. Sie empfingen den Flüchtling mit offenen Armen. Vizepräsident Hugo Hollenstein aktivierte die Donatoren vom 50er Klub, dem Schlachthof wurden 6000 Franken überwiesen. Der Muni bekam einen Nasenring und den Namen Maradona.
Ein Muni ist keine Geiss
Der Plan war gut: Mit Unterstützung des neuen Maskottchens sollte der FCZ die Fussballwelt auf die Hörner nehmen. «Der 1. FC Köln hat ja auch einen Geissbock als Glücksbringer. Das wollten wir kopieren», sagt Hollenstein rückblickend. Die Sache ging daneben. Ein Stier ist kein Geissbock. Er bringt schon im jugendlichen Alter 900 Kilogramm auf die Waage. Als die Zürcher zum Finalrundenstart vor zweieinhalb Jahren dem Publikum ihr neustes Mitglied vorführen wollten, verwechselte dieses den Letzigrund mit einer spanischen Arena. Maradona jagte die eigenen Spieler über den Platz und stürmte die Tribüne. Der «Blick» verglich Zürich Aussersihl mit Pamplona. Die «Sportinformation» schrieb, dass der Stier die Spieler in Angst und Schrecken versetzt habe, und Sven Hotz sagt noch heute: «Das war ein riesiger Schock.»
Normalerweise muss der FCZ-Präsident auf dem Letzigrund nur um seine Nerven und sein Geld bangen, damals fürchtete er um das Leben seiner Kundschaft. Er erinnert sich an jeden Meter von Maradonas legendärem Dribbling: «Ich kam ahnungslos aus den Katakomben. Da sprang mir Maradona entgegen. Er rannte in Richtung Ersatzbank. Drei Photographen stürzten übereinander. Die Spieler flüchteten hinters Tor. Der Stier drehte auf der Leichtathletik-Bahn ab, warf den Supporter-Präsidenten um und rannte die hintere Treppe hinauf.» Den eigens für den Anlass engagierten professionellen Stierführer hatte Maradona mit einem kraftvollen Antritt stehen gelassen. Dem FCZ verhalf der Zwischenfall zu unerwarteter Publicity: Das Bild von Maradona auf den Letzigrund- Rängen schaffte es bis in die englische Boulevardpresse.
In den sechziger und siebziger Jahren hatten die Zuger Brüder Pirmin und Xaver Stierli (als Spieler) das erfolgreichste Kapitel der FCZ-Geschichte mitgeschrieben. Stier Maradona hatte einen ungleich kürzeren Auftritt. Er sah die rote Karte, wurde gesperrt und ins Kloster Fahr versetzt. Dort sägte man ihm die Hörner ab und degradierte ihn zum Ochsen. Rekursmöglichkeit hatte das arme Tier keine.
Kein Klosterschüler
Aber Maradona wollte nicht ins Kloster. Dafür war er zu jung und auch zu wenig heilig. Ausserdem hatte der Nasenring seine Seele verletzt. Das unfachmännisch angebrachte Ding störte beim Essen. Der Rettungs-Engel kam in Form einer rührigen Tierfreundin. Sie wusste Rat für das gescheiterte FCZ- Maskottchen. Der Glücksbringer hatte Glück. Er wurde in den Jura transportiert, nach Le Roselet in die «Stiftung für das Pferd». Maradona ist kein Ross; das lässt sich nicht wegdiskutieren. Trotzdem fand er in seiner neuen Heimat schnell Anschluss: Im Altersheim für Pferde warteten drei Kollegen auf ihn: Seppli, mit achtzehn Jahren angeblich der älteste Ochse der Schweiz, Santos und Chrigeli. Mit ihnen verstand er sich sofort prächtig.
Das Vertrauen in die Menschen kam erst langsam zurück; vom FCZ hatte er vorderhand die Nase gestrichen voll. Heute ist Maradona sieben Jahre alt, wunschlos glücklich - aber noch keineswegs handzahm. Ernst Flükiger, «Ochsenbetreuer» in Le Roselet, attestiert ihm zwar einen «ausgezeichneten Charakter». Maradona sei ein guter Ochse. Der erfahrene Bauer zeigt aber Respekt. Man müsse schon aufpassen, sagt er, Ochsen seien keine Kühe. «Sie sind wilder und aggressiver.»
Was Maradona über den FCZ und seine Zeit auf dem Letzigrund denkt, war während des Besuchs in seiner Residenz nicht zu erfahren. Das Flair für den Fussballsport ist ihm aber offensichtlich geblieben. Die Kuh in der Milchwerbung jongliert zwar eleganter, Maradona besitzt aber das wesentlich grössere Durchsetzungsvermögen, ausgeprägte Qualitäten im Zweikampfverhalten und eine angeborene Leidenschaft für den Sport. Den ihm zugeworfenen Ball leckte er genüsslich ab. Nur den FCZ-Schal wollte er sich nicht umlegen lassen. Aber das kann nachgeholt werden. Zum Beispiel, wenn die FCZ- Spieler ihren Glücksbringer persönlich kennen lernen. Als Erster sollte David Pallas ins Gehege. Er ist furchtloser Aussenverteidiger und hat spanische Wurzeln. - Olé.