spitzkicker hat geschrieben:Los Tioz hat geschrieben:Einmal mehr danke für die tolle Analyse! Was wohl Schmiedrich dazu sagt dass Dixon die Note 9 und den MVP erhalten hat?
Bin mir bei der Züri Live Notengebung einmal mehr nicht sicher, ob sie die Noten zur nach Sympathien verteilen, oder einfach provozieren wollen. Wie anders ist es zu erklären, dass ein Palsson mit einer 6 belohnt wird nach einer miserablen und fehlerhaften Vorstellung, die Magnin sogar dazu zwang, seinen Captain zu erlösen und rauszunehmen. Aus der NZZ:
Im Mittelfeld ist Victor Palsson gemäss seinem Trainer Ludovic Magnin zwar gesund ins Spiel gestiegen. Trotzdem spielt der Captain, als beeinträchtige schweres Fieber seine Wahrnehmung.
Palssons Leistung war meiner Ansicht nach weit davon entfernt, als miserabel bezeichnet werden zu können, und der Wechsel war taktischer Natur. Dank diesem taktischen Wechsel (und der guten Leistung von Einwechselspieler Dixon) kam es tatsächlich dann noch zum Punktgewinn. Magnin musste für seine Umstellung einen der Zentralen Mittelfeldspieler rausnehmen. Heki kam da sicherlich am wenigsten in Frage und zwischen Domgjoni und Palsson entschied vermutlich der Schonungsaspekt bei Palsson nach dessen Rückkehr von der Verletzung und Reisen/Einsätzen im A-Nationalteam in der «Länderspielpause». Gegen Xamax erhielt Palsson bei Züri Live sechs Punkte im Bereich Top-Offensivaktionen – weit mehr als jemals zuvor in dieser Saison. Wenn einer wie Palsson plötzlich immer mehr offensive Akzente setzt, achtet man als Live-Zuschauer da vielleicht nicht so drauf, weil man es von ihm nicht erwartet.
Wie die NZZ in diesem konkreten Fall bezüglich Palsson zu ihrer Ansicht gekommen ist, kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, aber ich weiss, wie NZZ, Tagi, Blick etc. üblicherweise zu ihren Bewertungen gelangen, und kann es daher vermuten und nachvollziehen. In der Regel passiert dies auf der Basis von einer einzelnen Szene des Spiels - sei es ein Tor, ein Gegentor oder wie in diesem Fall jetzt eine Auswechslung. Der Journalist fragte sich sehr wahrscheinlich, warum Palsson ausgewechselt wurde, und erinnerte sich wohl an eine einzelne schlechte Szene von Palsson und damit ist dann die einseitige Meinung schnell gemacht: «Palsson hat miserabel gespielt». Er versteigt sich sogar zu der Aussage, Palsson habe gespielt, wie wenn er Fieber gehabt hätte.
Mit seiner vorgefassten Meinung geht der Journalist dann zu den Interviews und in die Pressekonferenz. Dort versucht er dann Quotes zu bekommen, die seine vorgefasste Meinung irgendwie bestätigen helfen. An Quotes, welche der vorgefassten Meinung widersprechen, sind die Journalisten in der Regel nicht interessiert. Vor allem im Tagi, aber zunehmend auch in der NZZ lese ich dann jeweils am nächsten Tag einen Text, in welchem die Meinung des Journalisten mit den Aussagen von Trainern und Spielern auf eine so perfide Art kombiniert werden, dass der Sinn der jeweiligen Aussagen völlig verfälscht wird, manchmal gar um 180 Grad. Was in der Mixed Zone oder an der PK gesagt wird, und wie dies nachher in der Zeitung dargestellt wird, sind häufig völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Daher ist Wettstein vom Blick mit seiner Kamera viel ehrlicher. Er könnte da zwar theoretisch auch relevante Dinge rausschneiden – macht er aber kaum.
Boulevard- und Kampagnenjournalismus gibt es heute in allen Medien – eine Ausnahme zu dieser Regel kommt mir nicht in den Sinn. Und die Fussballberichterstattung widerspiegelt das ebenfalls.
Häufig sitzen die Journalisten der verschiedenen aus Zürich publizierenden Zeitungen auf der Medientribüne nebeneinander / hintereinander (genauso wie die Basler, Berner, Luzerner, Genfer etc.) und schaukeln sich manchmal mit der Meinung über einen konkreten Spieler oder eine Szene gegenseitig hoch, bis alle die gleiche Meinung haben – die deswegen aber keineswegs richtiger sein muss. Nicht selten übernehmen sie auch einfach eins-zu-eins die Ansicht eines vorschnell urteilenden SRF- oder Teleclub-Kommentators, den man parallel im Ohr hat. Der «Blick» betreibt von allen den grössten Aufwand und hat beispielsweise zusätzlich häufig noch einen zweiten Mann (in der Redaktion oder anderswo), der die Partie am TV guckt. Es wird dann über gewisse Szenen oder Spieler per Telephon Rücksprache gehalten, was die Qualität der Beurteilung manchmal tatsächlich verbessert, aber bei weitem nicht immer.
Wie kommen nun die Bewertungen auf Züri Live zustande? Erstmal nehme ich mir mehr Zeit dafür – viel mehr Zeit. Die anderen Medien müssen ihre Artikel natürlich schneller fertig haben. Etwas genauer hingucken und weniger vorschnell urteilen könnten sie in vielen Fällen trotzdem. Und zudem hindert sie ja niemand daran, zusätzlich in der Dienstagsausgabe mal eine richtig sorgfältige und detaillierte Analyse des Wochenendspiels mit allen graphischen PiPaPos zu bringen. Anstatt immer die gleichen Stories über Erich Vogel, Kookie und die Rauchgewohnheiten von Familie Canepa jahrein jahraus wieder aufzuwärmen wie alte Weggli. Ehrlich gesagt: sollte beispielsweise der Tagi irgendwann beschliessen, so eine fundierte Spieltagsanalyse einzuführen, dann wäre mein Ziel erreicht. Ob dieses Ziel realistisch ist, ist wieder eine andere Frage. ;-)
Für die Züri Live-Bewertungen und -Statistiken seziere ich jede einzelne Aktion des Spiels im Detail. Speziell wichtige Szenen oder Standards schaue ich manchmal 10x hintereinander nochmal an. Zum Beispiel fokussiere ich bei jedem Durchlauf einer einzelnen Szene auf einen anderen Spieler und schaue, wie dieser sich verhalten hat. Was hat Brecher gemacht? Was Pa Modou? Was Maxsö? Wichtig ist auch, jede Szene im Kontext ihrer Entstehung zu bewerten. Wenn bei einem gegnerischen Angriff ein Spieler nicht auf seiner Position ist, springe ich nochmal zurück auf die vorhergehende Szene und versuche zu verstehen, warum. Ist der Spieler zum Beispiel bei Rückstand ein verständliches Risiko eingegangen und konnte danach aus diesem Grund beim schnellen Gegenstoss unmöglich rechtzeitig zurück sein, dann wäre es unfair, dem Spieler einen Minuspunkt zu geben. Bei Defensivstandards halte ich das Bild immer vor der Ausführung an und merke oder notiere mir die daraus ersichtliche Zuteilung. Die TV-Kommentatoren und anderen Journalisten tendieren ja meist dazu, demjenigen Spieler die Schuld zu geben, der am Ende am nächsten beim gegnerischen Torschützen stand. Aber es kommt häufig vor, dass dieser keineswegs der «Schuldige» ist, sondern ein Spieler ist, der am Ende noch den Fehler eines Mitspielers auszubügeln versuchte – und aus diesem Grund am nächsten steht.
Bei Toren und Torchancen springe ich jeweils nochmal zurück an den Anfang der Szene und notiere danach jede Ballberührung, die zu diesem Tor / dieser Torchance geführt hat. Jeder Spieler wird aber pro Tor / Torchance schlussendlich nur einmal gezählt, damit nachher die Anzahl Torbeteiligungen und Chancenbeteiligungen ermittelbar ist. Der gefoulte Spieler bei einem Penalty wird als Assistgeber gezählt und allfällige Passgeber vor diesem Foul als Pre-Assists. Assists und Vorlagen werden gezählt, falls es nicht mehr als eine Ballberührung eines Gegners zwischendurch gegeben hat. Berührt der Gegner den Ball zwischen zwei Ballberührungen des FCZ nur einmal, kann man nicht von einem Ballverlust sprechen. Typisches Beispiel das 2:2 bei Xamax. Die Flanke von Dixon war so scharf, dass der Gegner den Ball nicht unter Kontrolle bringen oder kontrolliert klären konnte – der FCZ faktisch immer noch in Ballbesitz, daher nur eine Ballberührung bevor Kryeziu den Abpraller versenkte - daher Assist Dixon.
Neben dem profanen Zählen von Cornern, Freistössen in Strafraumnähe, Steilpässen, Flanken etc. verteile ich den Spielern Pluspunkte und Minuspunkte Spielszene für Spielszene. Es gibt natürlich auch viele Spielszenen, wo die Aktion/das Verhalten einfach im (auf Super League-Niveau) erwartbaren Rahmen war, weder speziell positiv, noch negativ – dann gibt es keine Punkte. Bei den Pluspunkten differenziere ich nach Offensiv- und Defensivszenen. Diese erscheinen auch in den Stats. Die Minuspunkte weise ich bewusst nicht separat aus, sie werden aber für die Note genauso gezählt, wie die Pluspunkte. Eine gute / schlechte Szene gibt einen halben Plus- oder Minuspunkt. Eine sehr gute / sehr schlechte Szene einen ganzen Plus-/Minuspunkt. Es gibt pro Szene und Spieler nie mehr als einen ganzen Pluspunkt, es kann aber in Ausnahmefällen wie beispielsweise dem Brecher-Fehler beim 0:1 in der Maladière auch mal zwei ganze Minuspunkte geben. Am Ende wird zusammengezählt bzw. subtrahiert. Thema Torhüter: für mich ganz entscheidend in der Bewertung ist die Position, Schärfe und Präzision des Abschlusses des gegnerischen Stürmers und die Frage, ob man von einem Super League-Torhüter erwarten kann, einen solchen Ball zu halten. Manche Torhüter sehen in ihren Paraden spektakulärer aus, als andere, aber das ist für mich nicht wirklich relevant, da es sich ja nicht um Eiskunstlaufen handelt und es keine B-Note für den künstlerischen Ausdruck gibt. Sehr wohl relevant für die Bewertung ist aber, wenn ein Torhüter sich in einer Szene eigentlich schlecht verhalten und den Ball nur mit Glück gehalten hat.
Die Skala der Bewertung sieht dann folgendermassen aus:
+10 oder mehr Punkte = Note 10
+8 bis +9 Punkte = Note 9
+6 bis +7 Punkte = Note 8
+4 bis +5 Punkte = Note 7
+2 bis +3 Punkte = Note 6
-1 bis +1 Punkte = Note 5
-2 bis -3 Punkte = Note 4
-4 bis -5 Punkte = Note 3¨
-6 bis -7 Punkte = Note 2
-8 oder noch weniger Punkte = Note 1
Die sich aus dieser Kalkulation ergebenden Noten gehe ich dann nochmals durch, um zu prüfen, wie sie zustande gekommen sind (welche positiven und negativen Szenen haben zu dieser Note geführt) und ob sie auch in Bezug auf den Gesamteindruck des Spielers Sinn ergeben. In 90-95% der Fälle behalte ich die errechnete Note bei. In Ausnahmefällen passe ich die Bewertung um maximal eine Note nach oben oder unten an:
1) Wenn ein Spieler an ausserordentlich vielen spielentscheidenden Szenen (positiv oder negativ) beteiligt war und dies in der Note zu wenig zum Ausdruck kommt
2) Wenn wichtige Aspekte der Leistung des Spielers durch die Bewertung von einzelnen Szenen nicht genügend berücksichtigt werden konnten
3) Als zusätzliches Argument bei 1) und 2): wenn der Spieler «halbe Punkte» hat, die sonst nicht gezählt werden
4) Wenn ein Spieler rechnerisch eine «10» erreicht, ohne wirklich eine (nahezu) perfekte Leistung abgeliefert zu haben – oder rechnerisch eine «1» erhielte, aber trotzdem einige Dinge gut gemacht hat
Punkt 4) kam bei diesem Spiel ausnahmsweise gleich zwei Mal zur Anwendung. Dixon hatte rein rechnerisch eine «10» und Kololli rein rechnerisch eine «1». In diesem Zusammenhang ist noch die Regel für Spieler, die nicht 90 Minuten spielen, relevant. Bei einem Einsatz von ca. 30 Minuten wie bei Dixon werden die Punkte verdoppelt. Mit anderen Worten: von einem Spieler mit einem 30 Minuten-Einsatz kann man nach dieser Logik etwa gleich viele Top-Aktionen erwarten, wie in 45 Minuten bei einem Spieler, der 90 Minuten spielt, da er ja mehr Energie in diese 30 Minuten stecken kann. Bei einem Spieler, der 5 Minuten spielt, werden die Punkte verdreifacht. Bei einem Spieler, der 60 Minuten spielt, etwa mit einem Faktor von ca. 1,2 multipliziert – etc. Ab 80 Minuten Einsatz gelten wie 90 Minuten.
Zusätzlich zur Video-Analyse schneide ich ja jeweils die Live-Übertragung von Züri Live zu «Highlights» und «Spielinfos» und gehe dabei auf der Audio-Schiene gleich noch ein weiteres Mal das ganze Spiel komplett durch. Beurteilungen der anderen Medien klingen manchmal auf den ersten Blick einleuchtend, sind bei genauerer Betrachtung aber häufig nicht fundiert. Schlussendlich muss aber natürlich jeder selbst wissen, ob er den «Autoritäten» Blick, Tagi, NZZ, SRF, Teleclub mit ihren wechselnden Protagonisten und häufig aus dem Ärmel geschüttelten Kommentaren mehr glauben schenken will, oder einem. der so gut wie alle Wettbewerbs- und Testspiele des FCZ der letzten Jahre verfolgt, kommentiert und detailliert analysiert hat. ;-) Am besten ist sowieso, wenn jeder seine eigene Meinung hat. Ich finde es super, wenn die Analysen von Züri Live die Diskussion weiter anregen und andere Meinungen vertreten werden. 100%-ige Objektivität gibt es nicht. Von niemandem. Aber eines kann ich versichern: ich versuche wirklich alles, was möglich ist, um die Bewertung so objektiv wie möglich zu gestalten. Würde ich eine Benotung gleich nach dem Spiel vornehmen ohne dieses nochmal durchanalysiert zu haben, würde diese anders (weniger objektiv) aussehen. Denn vieles sieht man nun mal erst auf den zweiten Blick. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich nach Sympathie bewerte. Die Noten von grundsätzlich allen Spielern verändern sich bei Züri Live im Saisonverlauf ziemlich stark basierend auf der jeweiligen Formkurve.