«Der Fussball liess uns den Hunger vergessen» – die bewegende Geschichte von FCSG-Stürmer Chadrac Akolohttps://www.tagblatt.ch/sport/fcstgalle ... duced=trueSt.Gallens Chadrac Akolo kam einst als Flüchtling in die Schweiz – in der Romandie wurde das Talent des jungen Kongolesen erkannt. Auch von Peter Zeidler. Am Sonntag trifft Akolo mit St.Gallen auf Lugano.
Patricia LoherUnd plötzlich sprudeln die Worte. Die Frage nach dem Treffer zum 1:1 gegen die Young Boys lässt Chadrac Akolo die Zurückhaltung ablegen:
«Grégory Karlen rief mir zu: ‹Chip, chip – der Torhüter steht weit vorne.› Also habe ich es versucht.»
St.Gallens Stürmer gelang aus 25 Metern ein Traumtor – nicht nur dank der Übersicht des Teamkollegen, sondern auch dank Akolos starker Technik.
Trotzdem wurde am Ende nichts aus einem Punktgewinn im Wankdorf. Auch die an sich gute Leistung tröstet Akolo kaum über die Niederlage hinweg: «Es nützt uns nichts, den Young Boys nur nahe gekommen zu sein.»
Akolos Verpflichtung ist ein CoupDer 27-jährige Akolo spielt seit dieser Saison für St.Gallen. Im neunten Meisterschaftseinsatz erzielte er in Bern das zweite Saisontor. Der Kongolese sagt, er fühle sich gut:
«Aber es ist möglich, noch besser in Form zu kommen.»
St.Gallen hat den Stürmer vom französischen Ligue-2-Klub Amiens verpflichtet, es war für die Ostschweizer ein Coup. Akolo hatte sich einst in Sitten einen guten Namen gemacht und war im Sommer 2017 für kolportierte sechs Millionen Franken zum VfB Stuttgart in die Bundesliga gewechselt.
Der 1,72 m grosse Afrikaner traf auch in Deutschlands grossen Stadien. Die zweite Saison lief dann weniger gut und er stieg mit Stuttgart über die Relegation in die 2. Bundesliga ab.
Es folgte der leihweise Wechsel nach Frankreich, ehe ihn Amiens 2020 fix verpflichtete und dann zwischenzeitlich auslieh nach Paderborn. Eigentlich habe er noch nicht wieder zurückkehren wollen in die Schweiz, sagt der Nationalspieler der Demokratischen Republik Kongo:
«Aber als sich St.Gallen meldete, war mir schnell klar, dass ich diesen Wechsel machen möchte.»
Das hing zum einen damit zusammen, dass Akolos Familie – Mutter, Vater zwei Schwestern und ein Bruder – sowie seine künftige Frau in der Romandie leben. Zum anderen war aber auch St.Gallens Trainer Peter Zeidler ein Grund, das Angebot anzunehmen.
Chadrac Akolo im Auswärtsspiel gegen Basel.
Unter dem Fussballlehrer hatte Akolo in Sitten die bis anhin erfolgreichste Zeit. Nachdem Didier Tholot nicht auf den Stürmer gesetzt hatte, war Akolo unter Zeidler in der Saison 2016/17 Stammspieler und blühte auf.
In 34 Meisterschaftspartien traf er 15-mal. Der FC Sion, dem damals auch Grégory Karlen angehörte, war die Mannschaft der Stunde. Akolo sagt:
«Wir hatten ein starkes Team und einen guten Trainer. Als Zeidler entlassen wurde, brach es mir das Herz.»
Mit Akolos Durchbruch war verbunden, dass auch die bewegende Geschichte erzählt wurde, wie er und seine Familie den Weg aus dem Kongo in die Schweiz fanden.
Heute will der Stürmer nicht mehr ausführlich darüber reden. Er hat das im Wallis sowie in Deutschland immer und immer wieder getan. Akolo sagt:
«Die Geschichte ist ein Teil von mir. Aber ich möchte, dass ich nun als Fussballprofi angesehen werde.»
Akolo ist in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa aufgewachsen. Diese gilt mit über 15 Millionen Einwohnern als zweitgrösste Stadt Afrikas. Die Demokratische Republik Kongo ist reich an Rohstoffen, doch wegen Ausbeutung, Korruption und Kriegen zählt sie heute zu den ärmsten Ländern der Welt.
Nicht immer hatte die Familie von Akolo genug zu essen. St.Gallens Stürmer sagt:
«Doch der Fussball liess uns den Hunger vergessen.»
In der Heimat nannten sie den jungen Akolo, der mit dem Ball aus Stofffetzen wunderbare Dinge anstellen konnte, schlicht: «Zidane».
Die Flucht über das Mittelmeer
Der Vater ist Priester der Neuapostolischen Kirche, einer christlichen Religionsgemeinschaft. Er wollte, dass die Familie ein besseres Leben hat. 2009 brach der Vater mit dem damals 14-jährigen Chadrac zu einer gefährlichen Reise über das Mittelmeer auf.
Chadrac und der Vater erreichten schliesslich Bex im Waadtland, wo sie im Flüchtlingszentrum einquartiert wurden. Die Mutter war mit der Schwester bereits vorher in der Schweiz angekommen.
«Es gab viele freundliche Menschen, die uns halfen», sagt der Fussballer. Von seiner Tante, die in Yverdon wohnt, erhielt er sein erstes Paar Fussballschuhe. «Das war ein eindrücklicher Moment.»
Chadrac Akolo (rechts) feiert in Sitten ein Tor mit den damaligen Teamkollegen Carlitos (links) und Nicolas Lüchinger.
Aber den Traum, Fussballprofi zu werden, mochte Akolo in der Schweiz noch nicht träumen. «Ich wollte nur endlich in die Schule gehen.» Lange war aber nicht klar, ob die Familie überhaupt in der Schweiz bleiben darf.
Eine Schnupperlehre als MaurerTrotzdem klopfte der junge Mann beim FC Bex an, wo er schliesslich als Einwechselspieler in einer Partie der C-Junioren zum Einsatz kam. Der damalige Trainer Anthony Tagan erkannte das Talent.
Mit 16 Jahren debütierte der Fussballer beim FC Bex in der 2. Liga interregional. Tagan und der Vater erreichten, dass Akolo beim FC Sion und beim FC Basel vorspielen durfte, doch dem Afrikaner schien es nicht für ein Engagement zu reichen. Er machte sich Gedanken über eine Elektrikerlehre und absolvierte Schnuppertage als Maurer.
Die Leidenschaft für den Fussball liess Akolo trotzdem nicht los: 2013 gelang ihm der Sprung doch noch. Die Nachwuchsabteilung des FC Sion nahm ihn auf. Im Mai 2014 spielte er erstmals in der Super League, liess sich dann aber später für ein halbes Jahr zu Xamax in die Challenge League ausleihen.
St.Gallens Trainer Peter Zeidler.
Nach der Rückkehr zu Sion war es sein Glück, dass Zeidler 2016 neuer Trainer wurde. Der Deutsche sagt:
«Chadrac ist ein seltener Instinktfussballer: Wenn er mit dem Rücken zum Tor den Ball bekommt, macht er Dinge, die für den Verteidiger nicht voraussehbar sind.»
Der Fussballer sagt nur: «Für mich und meine Familie ist ein Traum wahr geworden.»