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Ausländische Clubbesitzer
Milliardäre gegen Tradition – Existenzangst im Schweizer Fussball
Lugano ist bereits der dritte Club der Super League, der an ein internationales Clubnetzwerk geht. Das erhöht den Druck in der Liga und zwingt sie, ihre Regeln anzupassen.
Vom grossen Bildschirm ist er schon länger verschwunden. Aber die Pressekonferenz in Lugano schaut sich Joe Mansueto trotzdem bis zum Schluss an; via Videocall von zu Hause. Und so grüsst Georg Heitz irgendwann noch einmal über sieben Zeitzonen in die USA: «Danke Joe! Da hast du mir schön Druck aufgeladen. Jetzt werde ich schon gefragt, wann wir hier Pokale in die Höhe stemmen.»
Vorher hat Mansueto von Chicago aus erklärt, langfristig wolle er «Meisterschaften gewinnen». Der 65-jährige US-Milliardär ist seit Mitte Woche alleiniger Besitzer des FC Lugano. Es ist sein zweiter Club neben Chicago Fire aus der Major League Soccer.
Damit ist Lugano nach Lausanne und den Grasshoppers bereits der dritte Verein der Super League, der nicht mehr in Schweizer Hand ist und zu einem Netzwerk von mehreren Clubs gehört.
Entschieden wird ab jetzt in Chicago
Auch wenn Leute vor Ort im Tessin arbeiten werden – die endgültigen Entscheidungen werden künftig in Chicago getroffen. Dort ist Heitz für das Projekt verantwortlich. Der Mann, der einst in Basel einen Serienmeister mitgebaut hat, lebt und arbeitet inzwischen am Lake Michigan.
Das Gewicht im Schweizer Clubfussball verschiebt sich also weiter ins Ausland. Lausanne gehört dem britischen Chemiegiganten Ineos, dessen Fussballzentrum in Nizza liegt. Und wenn GC-Präsident Sky Sun mit der Spitze der Swiss Football League (SFL) reden will, tut er das derzeit per Videocall aus China.
Was bedeutet es für die höchste Schweizer Liga, wenn fast ein Drittel der Clubs zu internationalen Netzwerken gehört?
Matthias Hüppi betrachtet die Situation als Präsident des FC St. Gallen und als Komiteemitglied der SFL. Er sagt: «Ohne Häme oder Kritik: Die Clubs, die an ausländische Investoren gehen, sind jene, die kaum Zuschauer haben. Da fand eine Entfremdung statt zwischen den Vereinen und den Menschen in der Region.»
Es ist eine Art Kulturkampf, den Hüppi umschreibt. Hier die Clubs, die sich aus Geldnot in die Arme der Milliardäre aus der Fremde retten. Dort die Vereine, die versuchen, ihr Geld mit lokaler Verankerung zu verdienen.
Er sagt über die Strategie der Investorenclubs: «Offenbar ist der Ansatz, die Leute wieder an den Club zu binden, gar keine Option mehr. Das ist schon krass, wenn man das mit jenen Vereinen vergleicht, die etwas dafür tun, dass sie mit ihrer Region stark verbunden bleiben.»
Nicht alle in der Liga sehen die Entwicklung so kritisch. Wanja Greuel zum Beispiel ist froh, «dass diese Clubs überleben und sich entwickeln können». Der CEO der Young Boys weiss: Ohne halbwegs kompetitive Gegner in der Meisterschaft kann YB der Sprung in die Champions League nicht gelingen.
Und die Berner sind ja auch nicht Hauptbetroffene von der Welle der Investorenclubs. Da mögen Mansueto und Sun noch so sehr davon reden, mit ihren Clubs dereinst Titel gewinnen zu wollen.
Wirklich konkurriert werden derzeit alle Clubs hinter YB und dem FCB: Der Platz in der Super League wird enger, wenn Aufsteiger wie Lausanne und GC oder ein strukturschwacher Club wie Lugano plötzlich ohne Geldsorgen dastehen.
Das können sich Schweizer Clubs schlicht nicht leisten
Zumal die Vereine, die einem Netzwerk angehören, auch andere Vorteile haben: Sie profitieren von Scouting-Abteilungen, die sich viele Schweizer Konkurrenten nicht leisten können. Die Talente für Lausanne werden von Nizza aus gefunden. GC erhält Spieler von den Wolverhampton Wanderers und hängt zudem am Netzwerk von Jorge Mendes, dem portugiesischen Spieleragenten-Mogul.
Auch Lugano hat plötzlich Zugriff auf eine weltweite Datenbank, über die Heitz sagt: «Wir haben so viele Spieler auf unserer Liste, dass wir sie nicht einmal in zwei Clubs unterbringen können.»
Zudem wurde in Chicago im letzten Jahr ein teures Team zur Spielanalyse auf Datenbasis aufgebaut, das künftig auch für die Tessiner arbeiten wird. Für solche Investitionen fehlt anderen Schweizer Clubs schlicht das Geld.
Das alles macht, dass die Liga ausgeglichener wird. «Und das ist das Wichtigste für die Attraktivität eines Wettbewerbs», findet Liga-CEO Claudius Schäfer, «darum dürfen wir optimistisch sein.»
Andererseits geht aber auch die Angst um in der Super League. «In dieser Saison wird es mindestens einen Traditionsclub erwischen», sagt Hüppi mit Blick auf den Abstiegskampf, «und wenn es dich trifft, musst du cheibe kreativ sein.» Ein Gang in die Challenge League könnte bereits von Corona gebeutelte Clubs an den Rand des Abgrunds bringen.
Kein Wunder, hat Ancillo Canepa eben erst eine Vergrösserung der Liga auf den Tisch gebracht. Die ist zwar mehrfach von den Clubs abgelehnt worden. Aber der Präsident des FC Zürich argumentiert: «Ein Abstiegsrisiko von zwanzig Prozent ist zu gross.»
Ob es diesmal mit der Aufstockung klappt? Die Ligaspitze scheint nicht abgeneigt. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Aus YB-Sicht sagt CEO Greuel: «Jeder muss seine Hausaufgaben selbst erledigen. Am Ende musst du halt einer der neun Clubs sein, die nicht absteigen. Das ist auch nicht unmöglich.»
Bei anderen Punkten ist man sich einiger. Etwa wenn es um die Gefahr geht, dass die Netzwerkclubs nur noch mit ausländischen Leihspielern ihrer Partnerclubs antreten könnten.
Darum hat die Liga soeben ihr Reglement angepasst: Künftig dürfen statt 17 nur noch 13 Spieler auf die Kontingentsliste genommen werden, die nicht lokal ausgebildet sind. Und es können nur noch sechs Spieler von ausländischen Clubs ausgeliehen werden. Davon maximal drei vom selben Verein. Die Vorschriften werden bis 2023 schrittweise eingeführt.
Ob bald der nächste Verein von einem ausländischen Milliardär gekauft wird? Noch deute nichts darauf hin, «dass das der Anfang des Ausverkaufs der Liga ist», findet Schäfer: «Die anderen sieben Vereine sind Traditionsclubs, die ihre Verwurzelung in ihren Regionen betonen.»
Schuldenfrei? Fast unmöglich im Schweizer Fussball
Wobei diese Wurzeln manchmal wirklich tief gehen müssen, um einen Verkauf zu verhindern. In Basel brauchte es einen mittleren Volksaufstand, um den Einstieg des britischen Investmentfonds Centricus zu verhindern.
Der Sieg der Basis hat seinen Preis: Der FCB steht jetzt ohne potente Investoren da und muss all seine Ausgaben selbst erarbeiten.
Was keine einfache Aufgabe ist, wie Georg Heitz aus eigener Erfahrung weiss. Er sagt: «Im Schweizer Fussball ist es fast unmöglich, einen Club zu führen, ohne Schulden zu machen.» Gut, wenn man eine Versicherung in den USA hat, die das Minus decken kann.
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