Ein Idol sagt «Tschau»
Mit Fabienne Humm aus Birr beendet eine aussergewöhnliche Spielerin ihre Karriere, die den Schweizer Fussball im vergangenen Jahrzehnt so stark geprägt hat wie kaum eine andere. Eine Würdigung.
Silvan Hartmann
Sie ahnte nichts davon, was für eine pompöse Verabschiedung für Fabienne Humm am Rande des Super-League-Heimspiels des FC Zürich gegen Lugano auf sie warten würde. «Es hiess, ich würde noch verabschiedet. Ich hätte vielleicht einen Blumenstrauss und einen Applaus erwartet. Doch dann wurde mir gesagt, ich soll vor die Südkurve treten.» Was die Aargauerin Fabienne Humm dort schliesslich erlebte, übertraf selbst ihre kühnsten Abschiedsträume. Die Südkurve rollte ein Transparent aus: «Es Idol, wo gaht. E Legände, wo blibt. Danke Fabi.»
Selbst eine Woche danach sagt Fabienne Humm gegenüber dieser Zeitung: «Es ist schwierig, diese Momente in Worte zu fassen. Normalerweise werden solche Ehrungen nur für die Profis der Männer gemacht. Es hat mich sehr berührt, es war mega schön.» Nun hat die 37-jährige Aargauerin aus Birr am vergangenen Wochenende Abschied genommen vom Aktivfussball, den sie jahrelang geprägt hat. Nach der verlorenen Finalissima des FCZ gegen Servette schloss sie zum letzten Mal ein Interview mit den Worten «Bitte, Tschau», was sie stets auszeichnete und längst Kult war.
«Ich habe doch nur Fussball gespielt»
Die Ehre der FCZ-Fans zeigt, welch grossen Fussabdruck sie im Schweizer Frauenfussball hinterlässt – und was sie in ihrer 15-jährigen Zeit auf höchstem Schweizer Niveau alles erreicht hat. Über 400 Spiele absolvierte Fabienne Humm für den FCZ, schoss dabei über 300 Tore, wurde fünf Mal Torschützenkönigin, zehn Mal Schweizer Meisterin, sieben Mal Cupsiegerin, ein Mal wurde sie gar zur besten Super-League-Spielerin gekürt.
Überdies sammelte sie 80 Länderspiele, in denen sie 25 Tore erzielte. Unvergessen bleibt dabei der schnellste WM-Hattrick aller Zeiten im Jahr 2015, als sie drei Tore innert fünf Minuten schoss. Der Hashtag #Hummbelievable ging viral und der Boulevard feierte sie als «Bumm-Bumm-Humm». Der Name Humm steht auch für den 2:1-Siegtreffer in der 121. Minute gegen Wales vor zwei Jahren, als sie mit ihrem Tor der Schweiz in extremis das WM-Ticket nach Neuseeland buchte.
Fabienne Humm, die Unglaubliche, tut sich schwer, all die unfassbaren Zahlen ihrer Karriere einzuordnen. «Ich weiss nicht so recht, was ich damit anfangen soll. Ich habe ja eigentlich nur Fussball gespielt. Ich ging nie auf den Platz und dachte: Wow, das ist jetzt also mein 200. Spiel oder das war mein 100. Tor. Ich habe einfach nur gespielt, weil ich Freude daran hatte, weil der Spass im Vordergrund stand. Die Zahlen sind dann einfach wie passiert», sagt sie und führt an: «Aber klar, es ist schon mega schön und sehr speziell. Es erfüllt mich mit Stolz.»
Vom FC Windisch via Schlieren zum FCZ
Fabienne Humm ging stets ihren eigenen Weg. Beim FC Windisch erlernte sie im Alter von zehn Jahren das Fussball-Abc, mit 20 folgte der Wechsel zum FC Schlieren, ehe sie 2009, im Alter von 22 Jahren, zum FC Zürich wechselte. Der Transfer war selbst beim FCZ kaum der Rede wert, sie galt nicht als grösstes Talent. Und im Gegensatz zu ihren Teamkolleginnen absolvierte sie etwa im Nachwuchs kein einziges Spiel für das Nationalteam. Es war für Humm auch alles andere als ein Vorteil, dass sie bis 16 vorwiegend die Goalie-Position eingenommen hatte. Doch Fabienne Humm biss sich zu einem unverzichtbaren Wert durch. «Ich habe immer alles gegeben», sagt sie nicht ohne Stolz.
Es zahlte sich aus. Humm entwickelte sich zur FCZ-Legende, auch weil ihr Treue viel bedeutet und sie heimatverbunden ist. «Ich bin nicht so gern weg von zu Hause. Ich habe immer schnell Heimweh, darüber sprach ich nie, vielleicht war es mir lange Zeit peinlich.» So liebäugelte Fabienne Humm auch nie mit einem Ausland-Abenteuer. «Ich hätte auch die Möglichkeiten gehabt, ins Ausland zu wechseln. Aber ich wollte es nicht, weil ich beim FC Zürich alles hatte: Die Infrastruktur passte, ich hatte immer gute Trainer, super Teamkolleginnen. Ich konnte mich auch hier weiterentwickeln.»
Identifikation bedeutet ihr auch in der Arbeitswelt viel, sodass sie seit 20 Jahren demselben Job als Kauffrau in einem Vertriebsunternehmen für LCD-Module in Gebenstorf nachgeht. Vor zwei Jahren, als sie gegen Wales das entscheidende Tor schoss, schrieb Fabienne Humm im Nachgang grosse Schlagzeilen, weil sie am Morgen nach dem grossen Kracherspiel wieder arbeiten ging – zur Belohnung begann sie erst um 8 Uhr mit ihrer Arbeit.
Die Arbeit im stressigen Alltag stets geschätzt
Ohnehin war Fabienne Humms Alltag in den vergangenen 15 Jahren dem Fussball zuliebe stets durchgetaktet. Damit sie in ihrem 100-Prozent-Job jeweils frühzeitig Feierabend machen konnte, begann sie meist schon morgens um sechs zu arbeiten. Das Mittagessen gab es jeweils bei ihren Eltern. «So musste ich nie überlegen, was ich kochen soll», sagt sie lachend. Von der Arbeit gings jeweils direkt ins Training bis um 21 Uhr. Und dies fünfmal pro Woche.
Trotz stressigem Alltag schätzte die heute 37-Jährige stets den Ausgleich im Büro und versank nie in Selbstmitleid, wenn nach einem intensiven Fussballabend nach wenigen Stunden der Wecker um fünf Uhr klingelte. Vielmehr schätzte sie es, dass sie überhaupt einen Arbeitgeber hat, der ihr so viele Freiheiten gewährt. Denn Fabienne Humm musste insbesondere für die vielen Tage mit der Nationalmannschaft Ferientage beziehen. Rund um die EM-Endrunde 2022 häuften sich so weit über 250 Minusstunden an – minus zwei Monatslöhne. Humm nahm es auf die leichte Schulter. «Was willst du machen? Es ist so, wie es ist.»
In diesen Tagen wird die 37-Jährige oft gefragt, ob sie nun nicht lieber wieder 20-jährig wäre, um nun in der heutigen fortgeschrittenen Zeit das Leben als Fussballerin geniessen zu können. «Ich weiss nicht, ob mein Spielstil heute noch Platz hätte auf höchstem Niveau. Ich bin eine Strafraum-Stürmerin, ich brauche die Bälle meiner Mitspielerin», sagt sie bescheiden.
Drei Wochen Ferien in Tansania – und dann?
Was sie nun mit den plötzlich vielen frei werdenden Stunden ihrer Freizeit anstellt, weiss Fabienne Humm noch nicht. Erst mal freut sie sich auf ihre dreiwöchigen Ferien, auf welche sie seit über fünf Jahren zugunsten ihrer Fussballkarriere verzichtete. Nun reist sie in wenigen Tagen nach Tansania, macht dort eine Safari und lässt anschliessend in Sansibar die Seele baumeln. «Ich freue mich riesig darauf, die wilden Tiere zu sehen und einfach mal nichts zu machen.»
Was dann folgt? Auf die EM der Männer ist sie gespannt und werde sie eng verfolgen. Und irgendwann werden auch noch Gespräche mit dem FC Zürich folgen. «Ich muss mir aber erst mal klar werden, auf was ich noch Lust habe – und was ich lieber sein lasse», so Humm. Dass sich die Zeit nach der Aktivkarriere für ehemalige Spitzenathleten zu einer mentalen Herausforderung entwickeln könnte, weiss sie aus ihrem weiteren Umfeld nur zu gut. «Ich glaube nicht, dass ich Probleme haben werde mit der Leere. Aber sollte dem doch so sein, so werde ich professionelle Hilfe einer Sportpsychologin annehmen. Das darf kein Tabu mehr sein.»
Vorerst freut sie sich auch auf viele Wochenenden, die sie mit Kolleginnen und Kollegen geniessen darf, auch mal verreisen kann, ohne an einen Spielplan zu denken. Schliesslich will sie auch neue Sportarten ausprobieren oder solche ausüben, die in all den Jahren viel zu kurz gekommen seien. «Ich habe mich für einen Golfkurs angemeldet, darauf freue ich mich sehr», sagt sie. Auch Stunden auf einem Tennis- oder Padelplatz sehnt sie sich entgegen. «Mir wird bestimmt nicht langweilig», sagt sie und lacht.
Fabienne Humm sagt Tschau. Ein Idol geht, eine Legende bleibt.