Beitragvon Goose » 29.11.17 @ 9:19
Aus der heutigen NZZ:
Er hat das gute Aussehen des jungen Iker Casillas und die Traumfigur eines Goalie-Models; er hatte den perfekten Karriereplan, Füsse wie ein Feldspieler, smarte Umgangsformen und Menschen, die an ihn glaubten: Bessere Voraussetzungen kann man eigentlich nicht haben. Er besass bereits einen Ehrennamen, wie ihn nur besondere Typen bekommen, «Wellen-Brecher». Und doch ist etwas schiefgegangen bei Yanick Brecher, dem 24-jährigen Torhüter des FC Zürich, der immer ein Eigener war, seit er ein Kind ist, ein Seebub von Männedorf.
Im Wiederaufbauprogramm
Brecher sitzt an diesem Vormittag in einer Turnhalle am Stadtrand von Zürich. Am Mittwoch spielt der FCZ im Cup-Viertelfinal gegen Thun, und Brecher darf wieder einmal tun, wofür er eigentlich seit Jahren vorbestimmt ist: Er ist die Nummer 1 im Tor des FCZ, zumindest in diesem Wettbewerb. So ist das im Sommer vereinbart worden: Der Lette Andris Vanins spielt in der Meisterschaft, Brecher im Cup. Es ist eine Art Wiederaufbauprogramm für einen, der bereits einmal auserwählt war. Er sagt: «Es gab schon einmal ein Zukunftsprojekt Brecher. Es ist jetzt Anlauf Nummer 2.» Dass er nochmals eine Bewährungschance bekommt, ist erstaunlich in diesem Geschäft, das mit Gescheiterten so brutal umgehen kann und sie einfach vergisst. Sein Glück ist, dass er so jung ist.
Vor eineinhalb Jahren hatte sich das Leben erstmals nicht an Brechers Plan gehalten, oder vielleicht besser: Das Schicksal hatte einen Kreuzbandriss für ihn vorgesehen, und bereits zuvor hatte ihn ein zunehmend verzweifelter Finne so sehr durcheinandergebracht, dass Brecher nicht anders konnte, als an sich zu zweifeln. Brecher ist ein eher introvertierter Mensch, er sieht stärker aus, als er ist, der wiederkehrende Vertrauensentzug musste ihm zu schaffen machen.
«Alle haben noch etwas mehr von mir erwartet»
Der damalige FCZ-Trainer Sami Hyypiä hatte sich einfach nicht entscheiden können, ob er Brecher nun für einen guten Goalie hält oder eben nicht. Hyypiä schwankte so sehr zwischen seinen Torhütern Anthony Favre und Brecher hin und her, als ob er bloss Hemden wechseln würde, und merkte gar nicht, wie sehr er damit die Klubpolitik hintertrieb. Als Brecher im April 2015 aus Wil zurück nach Zürich kam, um den in Verruf geratenen David Da Costa zu ersetzen, sagte der FCZ-Präsident Ancillo Canepa: «Yanick Brecher ist nach dem Weggang von Roman Bürki und Yann Sommer das grösste Goalie-Talent in der Schweiz.» Brecher nicht spielen zu lassen, hiess auch, Canepas Urteil infrage zu stellen. Hyypiä hat heute mit Fussball nichts mehr zu schaffen, er fährt Motocross und tätigt Investments.
Canepas Bemerkung klebt seither an Brecher wie ein verschwitztes T-Shirt. Der junge Goalie war an den FC Wil ausgeliehen und sollte überstürzt David Da Costa vergessen machen, den ikonisch verehrten FCZ-Goalie, der nicht aus sportlichen, sondern aus politischen Gründen gehen musste, weil er sich mit dem Trainer Urs Meier überworfen hatte. Brecher sagt: «Einerseits baute der Satz Druck auf. Alle haben noch etwas mehr von mir erwartet. Andererseits war es eine Bestätigung, wie viel Potenzial der Verein in mir sieht.» Brecher war damals ein Leidtragender der Klubpolitik, die ihn in eine Situation brachte, die ihn überfordern musste. Der FCZ stand mit einem unerfahrenen Goalie und einer Anhängerschaft, die in «pro und contra Da Costa» gespalten war, vor der schwierigsten Zeit der jüngeren Vereinsgeschichte. Sie endete mit dem Abstieg. Brecher sagt: «Es war eine Saison, in der es allen schlechtging.» Ihm besonders.
Yanick Brecher tröstet seine Mitspieler nach dem verlorenen Cup-Halbfinal gegen den FC Sion im April 2015. (Ennio Leanza / Keystone)
Yanick Brecher tröstet seine Mitspieler nach dem verlorenen Cup-Halbfinal gegen den FC Sion im April 2015. (Ennio Leanza / Keystone)
Wieder die Nummer 1 werden
Nachdem der Kreuzbandriss verheilt war, wollte der FC Zürich Brecher im letzten Winter an den FC Schaffhausen ausleihen. Es war kein Misstrauensvotum, es ging darum, Spielpraxis zu sammeln, aber Murat Yakin, der damals dort Trainer war, entschied sich gegen ihn – wohl nicht zu Unrecht. Brecher sagt: «Im Januar war ich vielleicht bei 60, 70 Prozent. Seit Sommer bin ich auf 100. Ich bin so gut, wie ich vor der Verletzung war – wenn nicht sogar etwas besser.»
Vor ein paar Wochen verlängerte der FCZ Brechers Vertrag bis 2021. Er sagt: «Das ist ein Vertrauensbeweis, dass der Verein an mich glaubt und in Zukunft auf mich setzen wird. Mein Ziel ist es, dass ich wieder als Nummer 1 spielen kann.» Die Frage ist nur: Wann beginnt diese Zukunft? Goalies sind sensibel, der 37-jährige Vanins hat noch eineinhalb Jahre Vertrag. Für Vanins' Seelenheil darf der FCZ nicht zu früh kommunizieren, dass Brecher wieder Stammgoalie sein wird. «Es kann in ein paar Monaten sein. Oder erst in drei Jahren», sagt Brecher. Aber bei aller Rücksicht auf den Kollegen: So lange dürfte es nicht dauern.
"Ich wechsle erst aus, wenn sich einer das Bein bricht." - Werner Lorant