Beitragvon fischbach » 08.06.14 @ 12:21
Der «SonntagsBlick» mit Pedro in Brasilien:
«Auf dieser Kuhwiese lernte ich Fussball spielen»
Von Konrad Stählin, Santa Cruz du Sol
Strandfussball, Caipirinha und Copacabana sind weit weg: FCZ-Star Pedro (23) kommt aus der kältesten Ecke des WM-Landes.
Die Leute heissen Schäfer oder Spengler, haben blonde Haare, und ihre Party des Jahres ist das Oktoberfest. Willkommen in Bayern? Falsch. Willkommen in Brasilien!
Ganz im Süden des Landes, an der Grenze zu Uruguay und Argentinien, tickt das WM-Land italienisch oder deutsch. Hier haben sich die Auswanderer im 19. Jahrhundert eingerichtet.
Es ist die Heimat von FCZ-Star Pedro Henrique, in der letzten Saison mit elf Treffern zweitbester Torschütze beim Cupsieger. Sein Nachname, den in der Schweiz kaum einer kennt, weil er nicht auf dem Trikot steht: Konzen. So hiess sein Ururgrossvater, geboren in Deutschland, gestorben in Brasilien.
«Ich konnte sogar fliessend Deutsch, bis ich vier Jahre alt war», sagt der 23-Jährige, als SonntagsBlick ihn in seiner Heimatstadt Santa Cruz do Sul besucht. «Doch dann lernte ich Portugiesisch und habe mein Deutsch vergessen. Die anderen Kinder in der Schule haben sich aber noch lange über meinen Akzent lustig gemacht.» Seit er vor zweieinhalb Jahren in Zürich landete, nimmt er wieder Deutschstunden.
Pedro ist Gaucho (sprich: Gauscho, mit Betonung auf dem U). So nennen sich die Einwohner des Bundesstaates Rio Grande do Sul. Ihr liebstes Hobby: das Churrasco, ein typisch brasilianisches Barbecue, meistens mit Rindfleisch. Klassische Beilagen sind Brot und Kartoffelsalat. «Wenn ich in der Schweiz bin, vermisse ich das Churrasco sehr. Ich mag keine Bratwürste», sagt Pedro.
Extra für den Besuch aus der Schweiz hat Familie Konzen den Grill angeschmissen. Anders als bei Herr und Frau Schweizer: Hier steht der Grill nicht im Garten. Das Heiligtum ist gleich im Parterre des Hauses eingebaut. Ganz normal bei Gauchos.
Mit dabei beim Schmaus ist auch Pedros Ehefrau Rafaela, die in der Schweiz die Ausbildung zur Englischlehrerin absolviert. Als das Paar in der letzten Sommerpause in den Heimatferien war, heiratete es.
Nicht dabei: Pedros Eltern. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, weil er getrennt von der Mutter lebte. Er starb, als der Sohn sechsjährig war. Im gleichen Jahr starb auch die Mutter. Pedro wuchs zwischen Kühen, Hühnern, Katzen und Hunden auf dem Bauernhof auf. Die Erziehung übernahmen die Grosseltern und die Onkel. «Onkel Neca war für mich immer wie ein Vater», sagt Pedro.
Das Churrasco liegt schwer im Magen, zur Verdauung serviert Tante Aurea den Chimarrao. Der Tee ist in Südbrasilien Kult. In Argentinien und Uruguay ist er sogar Nationalgetränk, dort nennen sie ihn Mate.
An die Mentalität gewöhnt
Mit dem Chimarrao-Pott in der Hand zeigt Pedro, wo er aufgewachsen ist: Sein Kinderzimmer, belassen wie damals, als er auszog. Ausser, dass neben den Medaillen an der Wand jetzt FCZ-Poster und -Trikots hängen.
Dann die abschüssige Weide hinter dem Haus. «Hier habe ich Fussball spielen gelernt.» Wo heute Kuhfladen liegen, war damals ein ebener Rasen. «Hier war das Tor, dort die Eckfahne», zeigt Pedro wehmütig. «Ich hatte keinen Mitspieler. Ich spielte immer gegen mich selbst.»
Klein Pedro trainierte mit Aussicht: bis zum Horizont nur Wald. Pinie vor allem, dann und wann Eukalyptus. Aktuell tragen die Orangen- und Mandarinenbäumchen Früchte, in Südamerika ist Herbst. Bis im Winter muss geerntet sein, dann fallen die Temperaturen Richtung Gefrierpunkt. Die kalte Jahreszeit beginnt in Südamerika während der WM.
Sommer, Strandfussball und Copacabana sind weit, weit weg. «Ihr Schweizer habt nur dieses eine Bild von Brasilien im Kopf, denkt immer nur an Rio», sagt Pedro. «Aber hier im Süden ist vieles anders.»
Also kein Problem mit dem Klima in der Schweiz? «Ich habe mich dran gewöhnt. Auch an eure Mentalität: kultiviert, aber auch zurückhaltend. Fast schon arrogant, fand ich am Anfang. Heute fühle ich mich in Zürich sehr wohl. Ich habe mich mit jedem Rückschlag weiterentwickelt.»
So weit, dass ihn jetzt andere Klubs jagen: Pedros Berater ist mit FCZ-Präsident Canepa im Gespräch. «Ich weiss, dass sich etwas entwickeln könnte. Aber mein Vertrag läuft noch bis 2016. Mein Fokus liegt momentan in Zürich.»