Ein aktueller Bericht aus der heutigen NZZ zum chinesischen Fussball.
27. März 2012, Neue Zürcher Zeitung
Die «goldene Pfeife» im Abseits
Der Fussballmeisterschaftsstart in der Volksrepublik China ist mit neuen Hoffnungen verbunden – ob nun alles sauber ist?
Alles glänzt in der chinesischen Profiliga. Die Stadien sind aufgemöbelt, das Fernsehen verkauft Werbung wie noch nie, die 16 Mannschaften machen tolle Geschäfte. Die illegalen Wettbüros allerdings auch.
Peter Achten, Peking
Der Fussball ist König – auch in China. Zum Saisonstart im März sind Interesse und Hoffnungen gross. Angepfiffen wurde die Meisterschaft aber nicht von der «goldenen Pfeife», denn die ist in der Person des Olympia- und WM-Schiedsrichters Lu Jun für fünfeinhalb Jahre hinter Gittern. Über die Winterferien hat sich die Skandal-Liga gemausert. Unparteiische und höchste Funktionäre des Chinesischen Fussballverbandes (CFA) wurden kurz vor Saisonbeginn wegen Spielabsprachen und -wetten, gekaufter Spiele und Korruption zu teilweise langen Haftstrafen verurteilt. Die Anhänger registrierten die Entwicklung mit Genugtuung. Auch bei ihnen liegt allerdings einiges im Argen. Vergangene Saison kam es zu wüsten Ausschreitungen – die chinesische Polizei freilich fackelt nicht lange und greift hart durch.
Anzeige:Der Messi Chinas
Wie so vieles wurde nach chinesischer Ansicht auch das Fussballspiel in China erfunden. Vor 2000 Jahren schon rannten Spieler einem ledernen, mit Tierhaaren gefüllten Ball nach. Vor 1000 Jahren wurde der Legende nach ein begnadeter Spieler – der Lionel Messi der Song-Dynastie sozusagen – sogar zum Premierminister des Reichs der Mitte ernannt. Von diesem sportlichen Glanz ist nichts mehr übrig geblieben. Dem chinesischen Fussball reichte es gerade einmal, im Jahr 2002, an die Weltmeisterschafts-Endrunde. Für Brasilien 2014 dagegen kickte sich China in der Asien-Gruppe deplorabel ins Aus. Nicht erstaunlich, befindet sich der Fussball national doch in einer kläglichen Situation. Seit fast zwei Jahrzehnten wird professionell Fussball gespielt, seit acht Jahren in der Chinesischen Super League (CSL).
Die aus 16 Teams bestehende Liga steht seit Beginn unter einem unglücklichen Stern. Weil Glücksspiel in der Volksrepublik ausser in staatlichen Lotterien verboten ist, wird unter den Glücksspiel-verrückten Chinesen gewettet, dass es eine Art hat. Auch und gerade auf Fussball. Auf chinesische Partien natürlich, vor allem aber auf die auch im Fernsehen übertragenen Spiele der europäischen Fussball-Grossmächte Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und England.
Viel Geld ist im Spiel. Experten sprechen von hohen zweistelligen Milliarden-Dollar-Beträgen. In der heimischen Liga geht die Zockerei so weit, dass auch der Frauen- und der Jugend-Fussball betroffen sind. Kommt dazu, dass von den 16 CSL-Teams die Hälfte in Korruption und Kauf von Schiedsrichtern und gegnerischen Spielern verwickelt war. Keine Mannschaft wurde relegiert. In der Saison 2012 soll aber alles anders werden.
Die Verurteilung mehrerer Schiedsrichter und von drei Vizepräsidenten der CFA veranlasste das zentrale Fernsehen, erstmals seit dem Boykott vor drei Jahren wieder über heimischen Fussball zu berichten und während der Saison sogar 30 Direktübertragungen in Aussicht zu stellen. Die Anhänger blieben wegen der Skandale immer mehr den Stadien fern. Ausser beim FC Beijing Guoan, wo an Heimspielen auch 2011 durchschnittlich 40 000 Zuschauer ins Arbeiter-Stadion strömten. Diese Saison allerdings wird, wenn es nach den Klubbesitzern und CFA-Granden geht, alles sauber, sportlich, professionell. Der letztjährige Meister Guangzhou Evergrande zum Beispiel hat Grosses vor. Der Immobilienmogul Xu Jiayin, Präsident und Besitzer, will 700 Millionen Yuan (umgerechnet gut 100 Millionen Franken) investieren. Der argentinische Stürmer und frühere Fluminense-Star Dario Conca ist das Aushängeschild. Wie alle anderen Klubs beschäftigt Guangzhou neben gutbezahlten chinesischen Spielern fünf noch besser bezahlte Ausländer, davon nach Reglement einen Asiaten. Der Präsident Xu hat für die Spiele hohe Prämien ausgesetzt, für die nationale Meisterschaft genauso wie für die asiatische Champions League.
Ebenfalls mit der grossen Kelle richtet der in den letzten Jahren in mannigfaltige Skandale verwickelte Verein Shanghai Shenhua an. Mit der Verpflichtung des früheren französischen Internationalen Nicolas Anelka (zuletzt bei Chelsea) hat sich der Shenhua-Besitzer und IT-Mogul Zhu Jun einen Bubentraum erfüllt. Dieser ist freilich nicht ganz billig. In Anelkas Zweijahresvertrag wird der Verdienst mit 300 000 Dollar beziffert – pro Monat, netto.
Kostspielige Investitionen
Die Liga hat insgesamt umgerechnet rund 400 Millionen Dollar investiert. 14 von 16 Klubs haben einen direkten Draht zu Immobilienfirmen. So kommt es, dass 13 Equipen von Ausländern trainiert werden. Der in Europa bekannteste Coach ist der Franzose Jean Tigana (Shanghai Shenhua), der frühere japanische Nationaltrainer Takeshi Okada arbeitet bei Hangzhou Greentown, dazu kommen Fussballlehrer aus den Niederlanden, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Portugal, Kroatien und Brasilien. Viele bezweifeln, dass mit den kostspieligen Investitionen die Qualität des chinesischen Fussballs angehoben werden kann. Im Internet sind die Blogger eher skeptisch: Anelka, hiess es in einem Mini-Blog, solle gefälligst einige Tore schiessen.