Simon Le Bon hat geschrieben:Toller Text, wie ich finde, von Florian Raz! (Tagi.ch)
Bald-Meistertrainer Breitenreiter auf den Spuren von Bruce Lee
Beim 2:1-Sieg beim entthronten Serienmeister YB überzeugt ein Bälleklauer im Mittelfeld. Und ein Stürmer beweist, dass es nicht auf die Grösse ankommt. Sondern auf die Technik.
Florian Raz
Publiziert heute um 09:57 Uhr
Ousmane Doumbia – Bälleklauer vor dem Herrn
Und weg ist der Ball: Ousmane Doumbia (v.) stoppt den Berner Meschack Elia.
Und weg ist der Ball: Ousmane Doumbia (v.) stoppt den Berner Meschack Elia.
Foto: Claudio De Capitani (Freshfocus)
Manchmal ist es so einfach. Ousmane Doumbia sieht Sandro Lauper nach vorne preschen. Er stellt sein Bein vor den Ball, er gewinnt den Zweikampf, er hebt den Kopf und sieht Blaz Kramer starten. Ein Steilpass – und der Stürmer rennt in Richtung des Führungstors des FC Zürich gegen die Young Boys. Alles eine einzige, fliessende Bewegung in der 74. Minute.
Manchmal ist es so schwierig. Über sieben Jahre spielt Ousmane Doumbia in der Schweiz. Er kämpft, er rackert. Er spielt jede Partie, als sei sie seine letzte, weil ihm das sein älterer Bruder so eingetrichtert hat.
Aber während Seydou von einem gut dotierten Vertrag zum nächsten sprintet, bleibt Ousmane in den unteren Regionen des Schweizer Profifussballs hängen. Er spielt in der Challenge League, er muss zweimal gar in der dritthöchsten Liga Anlauf nehmen. Einmal steht der Ivorer für ein paar Wochen sogar ohne Arbeitserlaubnis für die Schweiz da.
Und während Doumbia durch die Schweizer Fussballprovinz grätscht, fragt sich der FCZ immer wieder: Warum eigentlich fehlt unseren Mannschaften Stabilität, warum bricht unser Zentrum regelmässig auseinander?
Manchmal ist es so einfach: Nach 180 Spielen in der Schweizer Fussballprovinz erhält Doumbia im Herbst 2020 seine Chance in der Super League. Und Zürich erhält endlich jenes defensive Gewissen im Mittelfeld, das ihm über Jahre gefehlt hat.
Der italienische Weltmeister Gennaro Gattuso hat für sich den Begriff «ladro di palloni» erfunden, Bälleklauer. Doumbia ist sein Bruder im Geiste. Einer, der stolz ist auf eine Arbeit, für die sich andere als zu fein taxieren. Doumbia ist ein Bälleklauer vor dem Herrn.
Ende Juni läuft sein Vertrag mit dem FCZ aus. Im Mai wird Ousmane Doumbia 30 Jahre alt. Es ist der Moment, in dem er auf den einzigen grossen Vertrag seiner Karriere hoffen kann.
Es könnte wieder ziemlich kompliziert werden.
André Breitenreiter – der Bruce Lee unter den Trainern
Am Ende ein ganz entspannter Abend: FCZ-Trainer André Breitenreiter (r.) mit Blerim Dzemaili.
Am Ende ein ganz entspannter Abend: FCZ-Trainer André Breitenreiter (r.) mit Blerim Dzemaili.
Foto: Peter Klaunzer (Keystone)
Kurz wird er auf dem linken Fuss erwischt. Gegenüber Matteo Vanetta hat seine Young Boys in einem 4-3-3 auflaufen lassen statt im traditionellen Berner 4-4-2. Aber dann winkt André Breitenreiter, er ruft ein paar Anweisungen.
Der FCZ-Trainer stellt nicht gleich die ganze Mannschaft um. Es sind nur ein paar Details, die er ändert. Und schon verwandelt sich das extrem hohe Pressing der Berner von einer Überrumpelungstaktik in ein Zürcher Schlaraffenland mit der Aussicht auf ganz, ganz viele Laufduelle zwischen schnellen FCZ-Angreifern und eher gschtabigen YB-Innenverteidigern.
So funktioniert der Bald-Meistertrainer schon die ganze Saison. «Sei Wasser, mein Freund», sagte Bruce Lee. Und Breitenreiter hält sich an die Weisheit des legendären Kampfkünstlers. Er ist nicht mit irgendwelchen überkomplexen Plänen angetreten. Er schaut, was vorhanden ist. Und dann setzt er es so ein, dass daraus ein Vorteil wird.
Er hat mit Assan Ceesay einen Stürmer, der schnell ist, aber oft erst seine Beine sortieren muss, bevor er unter Druck das Spielgerät kontrollieren kann? Breitenreiter verbietet ihm einfach, dem Ball entgegen zu kommen. Jetzt rennt Ceesay stets nach vorn, nutzt seine Stärke – und hat wohl schon vergessen, dass er auch Schwächen hat.
Er hat mit Mirlind Kryeziu einen Innenverteidiger von beeindruckender Physis und gar nicht mal so schlechter Technik, der aber wahnsinnig Mühe hat, in einer Viererkette die richtigen Entscheidungen zu treffen? Breitenreiter stellt auf Dreierkette um. Jetzt gewinnt Kryeziu die Duelle mit dem gegnerischen Mittelstürmer, spielt ordentliche erste Pässe. Und weiss vermutlich nicht einmal mehr, wie man Stellungsfehler schreibt.
Das alles sieht recht simpel aus. Aber es ist brutal effektiv. Ach ja, in Bern fällt das entscheidende 1:0 nach einem Laufduell zwischen einem schnellen Zürcher Stürmer und einem eher gschtabigen Berner Innenverteidiger. Wer hätte es gedacht? Vermutlich André Breitenreiter.
Das Resultat: Der FCZ steuert ungebremst auf seinen 13. Meistertitel zu. 17 Punkte Vorsprung auf YB und mindestens 12 auf den FC Basel sind unmöglich zu verspielen.
Wilfried Gnonto – nicht auf die Grösse, auf die Technik kommt es an
Der Beweis: Grösse spielt keine Rolle. Wilfried Gnonto (l.) enteilt mal wieder Cédric Zesiger.
Der Beweis: Grösse spielt keine Rolle. Wilfried Gnonto (l.) enteilt mal wieder Cédric Zesiger.
Foto: Peter Klaunzer (Keystone)
Möglich, dass er mit seinem tiefen Schwerpunkt ideal auf den Berner Plastikrasen passt. Und die taktische Ausrichtung, mit der YB-Interimstrainer Vanetta sein Team auf den Platz schickt, ist ein Geschenk für den Italiener. Aber das soll den Auftritt von Wilfried Gnonto nicht schmälern. Der 18-Jährige ist all das, was eigentlich die Berner sein müssten in ihrem Spiel der allerletzten Chance: aggressiv, motiviert, hungrig auf jeden Ball.
Keine zwölf Minuten sind vergangen, da ist Gnonto schon gefoult worden, er hat selber ein Foul begangen, er hat gedribbelt und geschossen. Es ist bis auf die Tribüne zu spüren, wie schwierig der Abend seines direkten Gegenspielers Cédric Zesiger werden dürfte. Der 1,94 Meter grosse Innenverteidiger wirkt häufig überfordert von den trommelartigen Antritten und den rasend schnellen Drehungen seines 24 Zentimeter kleineren Gegenspielers. Gnonto beweist: Es kommt nicht auf die Grösse an, sondern auf die Technik.
Wobei es Zesiger fast zu gönnen ist, dass der Zürcher Stürmer bei seiner Vorarbeit zum 2:0 durch Antonio Marchesano in der 79. Minute mal einen anderen Berner schlecht aussehen lässt: Sandro Lauper. Aber den dafür so richtig.
Blaz Kramer – in den richtigen Bahnen
Wappenküssen leicht gemacht: Blaz Kramer feiert vor den Zürcher Auswärtsfans sein 1:0.
Wappenküssen leicht gemacht: Blaz Kramer feiert vor den Zürcher Auswärtsfans sein 1:0.
Foto: Claudio De Capitani (Freshfocus)
Blaz Kramer hat so vieles, was einen modernen Stürmer ausmacht. Er ist für seine Grösse extrem schnell. Bloss sind seine Beine oft schneller als seine Gedanken. Er hat einen brutal harten Schuss mit rechts. Nur bringt die Härte oft eine Höhe mit sich, die sich nicht ganz mit der eines handelsüblichen Fussballtors deckt. Er gibt stets vollen Einsatz. Was aber oft in (für beide Seiten) schmerzhaften Zusammenstössen mit den Gegnern endet.
Aber jetzt, da es darum geht, den Serienmeister in dessen Heimstadion zu entthronen, bringt Kramer plötzlich alles zusammen. Er ist hellwach, als Doumbia den Ball gewinnt. Er nutzt seinen Vorteil im Sprint gegen Zesiger aus. Und weil der Ball danach auf seinem schwächeren linken Fuss liegt, ist das mit der Kraft auch kein Problem. Er schiebt mit dem Innenrist – und gibt YB-Goalie David von Ballmoos damit die Gelegenheit, den Ball zwischen seinen Beinen hindurch ins Tor rollen zu lassen.
Und irgendwo auf der Tribüne fragt sich Sportchef Marinko Jurendic, ob Trainer Breitenreiter nach Assan Ceesay tatsächlich auch noch Kramer in die Spur bringt.
Ja, es macht Spass diesen Text zu lesen. Ist nach dem gestrigen Resultat aber auch nicht wirklich verwunderlich.
Besten Dank fürs Posten.