Wie YB fiel und der FC Zürich aufstieg – es ist auch die bemerkenswerte Geschichte der Trainer Wagner und Breitenreiter
Sie kamen fast zum selben Zeitpunkt in die Schweiz, beide trainierten einst den FC Schalke 04 – mittlerweile ist André Breitenreiter mit dem FCZ dem Titel nahe und David Wagner entlassen. Im Gegensatz zu Wagner schaffte es Breitenreiter, dass an seiner Arbeit keine Zweifel aufkamen.
Benjamin Steffen
18.03.2022, 14.55 Uhr
«Wo ist die Realität dieses FCZ, Erster oder 0:4 oder irgendwo dazwischen?», fragte ein Journalist den Trainer des FC Zürich, André Breitenreiter. Es war Mitte September 2021, die Zürcher hatten in Bern gegen YB 0:4 verloren, standen aber an der Spitze. Breitenreiter lachte und sagte: «Das ist eine super Frage.» Neben ihm sass der YB-Trainer David Wagner und nahm einen Schluck Wasser.
Die beiden deutschen Trainer arbeiteten noch nicht lange in der Schweiz, Breitenreiter war am 9. Juni vorgestellt worden, Wagner am Tag danach.
Breitenreiter hatte zum Start gesagt, er freue sich darauf, den FCZ zu unterstützen «und wenn möglich auch eine bessere Platzierung zu erzielen als in den vergangenen Jahren». Zuvor hatte der FCZ die Plätze 4, 7, 7 und 8 belegt.
Auch Wagner hatte sich gefreut und gesagt: «Wenn man so Grossartiges geleistet hat, ist relativ simpel, was man als Nächstes machen will.» Zuvor hatte YB die Plätze 1, 1, 1 und 1 belegt. Wagner sagte auch: «Die Gegner werden mehr machen. Und das bedeutet: Wenn wir das Gleiche anbieten, was wir bisher angeboten haben – das könnte nicht mehr langen.» Für Wagner schien das Terrain geebnet, aber auch die Erwartungshaltung grösser. Bei ihm und seiner Aufgabe gab es keine Luft nach oben, für Breitenreiter und den FCZ ganz viel.
Wo die Realität von YB ist? Super Frage. Aber das wollte Mitte September niemand wissen. Den Bernern stand das erste Champions-League-Spiel gegen Manchester United bevor. Sie gewannen. Wagner habe «mutig» gewechselt, hiess es. Er sei in Bern angekommen.
Und am Samstag treffen sich YB und der FCZ wieder in Bern, der FCZ steht weiterhin an der Spitze, 12 Punkte vor Basel, 14 vor YB. Vor knapp zwei Wochen ist Wagner entlassen worden.
Wagners Bilder gleichen sich
Niemand hielt diesen Fall und diesen Aufstieg für möglich – und dass sich YB und der FCZ treffen würden auf diesen Reisen runter und hoch, beide unter einem Trainer, der einst schon den FC Schalke 04 betreut hatte, diesen Jubel-Trubel-Klub.
Es ist nicht falsch, auf die Arbeiten in der Bundesliga zu verweisen, weil es Parallelen gibt. Wagner steht für Extreme, mit Schalke startete er gut in die Saison 2019/20, bald war er Gast im ZDF-«Sportstudio», und der Moderator sagte: «Es heisst immer, David Wagner hat Schalke wachgeküsst, wiederbelebt, aufgeweckt – was gefällt Ihnen am besten?» Und Wagner sagte: «Um ganz ehrlich zu sein: gar nichts davon.»
«Um ganz ehrlich zu sein» – mit diesen Worten fiel Wagner in der YB-Anfangszeit auf. Bei Interviews sass der Medienchef neben ihm und klopfte mahnend auf den Tisch, wenn Wagner diese Formulierung brauchte.
Breitenreiters FCZ-Refrain lautete so: «Wir bleiben schön demütig, wir wissen, wo wir herkommen» – immer wieder sagte er es, bis der Vorsprung so gross war, dass die Journalisten lachten.
Der YB-Trainer wusste, was Breitenreiter meinte. Nach dem ZDF-Auftritt hatte Wagner mit Schalke noch vier Ligaspiele gewonnen. Im September 2020 unterlag Schalke dem FC Bayern 0:8, bald darauf musste Wagner gehen. Er hatte immer mehr den Eindruck hinterlassen, nicht mehr zu wissen, was zu tun war; in Bern war es ähnlich. Als ihn YB entliess, sagte der Sportchef Christoph Spycher, Wagner habe «nicht recht gewusst, wo er den Hebel ansetzen» solle.
Es soll nicht heissen, man habe es kommen sehen. Aber die Bilder der Abschiede von Schalke und YB gleichen sich verblüffend.
Auch Breitenreiter hat schon Klubs verlassen müssen, 2016 Schalke, später Hannover, aber nach einem Aufstieg und einer guten Bundesligasaison. Es scheint, Breitenreiter drehe in einem Team rasch mal die richtigen, wichtigen Rädchen. Im FCZ geht es sogar so weit: dass er wachküsste, wiederbelebte, aufweckte.
Der FCZ wirkte wie eingeschlafen, in der zweiten Tabellenhälfte, unter dem Trainer Massimo Rizzo, der an Temperament zu wenig hatte, was zuvor Ludovic Magnin zu viel verströmt hatte. Mit Ancillo Canepa traf Breitenreiter auf einen engagierten Präsidenten; aber er kannte die Konstellation mit starken Klubchefs aus Hannover mit Martin Kind, von Schalke mit Clemens Tönnies, aus Paderborn mit Wilfried Finke. Er wusste, dass die Möglichkeiten gross sind, wenn er Canepa und dessen Frau Heliane für sich gewinnt – die Möglichkeiten zu Entfaltung und Gestaltung, nicht unbedingt für einen Meistertitel, aber zumindest: um so viel besser zu werden, dass es auffällt.
Und so flickte Breitenreiter wie ein erfahrener Handwerker am FCZ herum. Er brauchte nicht einmal ein Märchen zu schreiben, wie es über Wagner erzählt wird, weil er einst Huddersfield in die Premier League führte. Es klingt fast banal, wenn erklärt wird, wie Breitenreiter die Spieler stärkte: mit den richtigen Worten und den richtigen Aufgaben auf der richtigen Position. Aber darum geht es, wenn es ein Konstrukt erst einmal zu festigen gilt: ums Wesentliche.
Im FCZ kamen keine Zweifel
Es war, wie der YB-Trainer Wagner prophezeit hatte: Die Gegner machten mehr, und der FCZ machte sogar das Richtige. YB hingegen hatte alles erreicht – und musste noch mehr anbieten. Auf der Suche danach drohte YB die Identität zu verlieren, den Stil aus Dynamik und Dominanz.
Ob es an Wagner liegt oder auch an Glück und Pech, an Gegentoren, Platzverweisen und Verletzungen, an Wechseln, die alsbald nicht mehr als «mutig» galten, sondern als «seltsam» – einerlei. Es ist auch nicht entscheidend, ob Breitenreiter so etwas wie der bessere Trainer ist. Aber Breitenreiter war dieser Trainer, der es schaffte, dass an seiner Arbeit keine Zweifel aufkamen. Wagner gelang es nicht – und Zweifel sind Gift für die Arbeit eines Trainers, in der Wirkung nach aussen und innen.
Es gibt die grossen deutschen Trainer, die so gut wie überall Erfolg haben, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder Julian Nagelsmann. Und es gibt eine andere Kategorie mit den Trainern für Momente, für Aufstiege und Ligaerhalte, für Weckdienste und Meistertitel in kleineren Ligen. Dazu gehören Wagner und Breitenreiter. Breitenreiter ist für den FCZ der richtige Trainer zur richtigen Zeit – bei Wagner war es am ehesten die falsche Zeit, aber es reichte für ein paar gute Augenblicke. Und als er nach seinem letzten Spiel gegen Luzern Auskunft gab, an der Pressekonferenz, im TV – da sagte er kein einziges Mal «um ganz ehrlich zu sein».
Es sei «eine super Frage», hatte Breitenreiter nach dem 0:4 gegen YB gesagt. Seine Antwort dauerte recht lange, und einmal sagte er: «Hier wachsen überhaupt nicht die Bäume in den Himmel.» Die Realität ist, dass die demütigen FCZ-Bäume dem Himmel schon ziemlich nahe sind.