Beitragvon Djuric14 » 28.01.22 @ 22:26
Interview mit Blerim Dzemaili vom FCZ
«Alter Held? Ich möchte ein neuer Held werden»
Seit 19 Jahren ist Blerim Dzemaili (35) Profi. Er möchte sein Fussballer-Leben nicht noch einmal durchmachen, aber seinen FCZ noch einmal erbeben lassen.
Ueli Kägi, Florian Raz
Publiziert heute um 20:00 Uhr
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Clubs: Blerim Dzemaili vor dem neuen FCZ-Campus im Schwamendinger Heerenschürli.
Foto: Urs Jaudas
Endet alles so, wie es begonnen hat? 2006 Ihr erster Meistertitel mit dem FC Zürich als junger Spieler. Und jetzt, 16 Jahre später …
An den Meistertitel dürfen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal zu denken wagen.
Aber es hat sich doch nichts verändert seither: 2007, als Sie zum zweiten Mal Meister wurden und den Club dann verliessen, kämpfte der FCZ wieder mit Basel um den Titel. Und nun stehen die beiden Rivalen erneut an der Spitze.
(Lacht.) Doch, vieles hat sich verändert. Und ich habe in dieser Saison von Anfang an gesagt, dass YB die individuell stärksten Spieler hat. Als wir YB 1:0 besiegen konnten, war der Gegner aus meiner Sicht die bessere Mannschaft. Aber unser Erfolg zeigt, was für einen Teamgeist wir haben.
Denken Sie nie daran, welche Wahnsinnsgeschichte es wäre, wenn Sie Ihre Rückkehr mit dem Titel krönen könnten?
Damit werde ich täglich konfrontiert, weil mich Leute darauf ansprechen. Anfang Saison haben allerdings viele gesagt: «Du, wenn ihr nicht noch zwei, drei Spieler holt, seid ihr Abstiegskandidat Nummer 1.» Und jetzt sollen wir Meisterkandidat Nummer 1 sein? Ich bin seit 19 Jahren Profi. Ich weiss, wie schnell sich alles ändern kann. Darum: Mit den Füssen auf dem Boden bleiben und unsere Spielfreude auf den Platz bringen. Und wenn wir im Frühling noch immer dort stehen, wo wir jetzt sind, können wir vom Titel reden.
Jüngling, Publikumsliebling, Meister: Der 20-jährige Dzemaili mit Alhassane Keita bei der Meisterfeier 2006.
Foto: Walter Bieri (Keystone)
In der vergangenen Saison war der FCZ Abstiegskandidat, jetzt steht er auf Platz 1. Dazwischen liegt ein Trainerwechsel. Was macht André Breitenreiter so besonders?
Er ist eine der wichtigsten Personen im Verein. Er strahlt eine Ruhe aus, die den Druck wegnimmt. Und er hat seine Spielphilosophie. Er will, dass wir jeden Gegner hoch angreifen. Und wenn einer so viel Erfahrung hat wie er, hören die Spieler auch auf ihn und sagen: Okay, von dem kann ich was lernen. Er spürt die Spieler und weiss, wie er ihnen Selbstvertrauen geben kann. Und mit Selbstvertrauen bist du ein ganz anderer Spieler als ohne.
Das gilt auch für Sie. Sie waren vergangene Saison in einem tiefen Loch. Jetzt sind Sie Leaderfigur.
Nach seiner Ankunft kam Breitenreiter gleich nach dem ersten Training zu mir und sagte: «Du hattest eine schwierige letzte Saison. Aber ich will, dass du einen würdigen Abgang hast. Du bist eine Clublegende.» Er findet oft den richtigen Ton – auch bei mir.
Hätten Sie letzte Saison jemanden gebraucht, der Sie nach 14 Monaten ohne Ernstkampf gebremst hätte? Sie haben sich doch zu viel aufgeladen.
Ich habe etwas getan, das ich wahrscheinlich bei keinem anderen Club getan hätte: Ich habe gespielt, obwohl ich nicht fit war. Ich hatte Schmerzen, konnte nicht sprinten. Aber ich habe gespürt, dass die Mannschaft mich braucht. Da gehst du auch mal ein Risiko ein. Aber es war schwierig, bei uns hat vergangene Saison nicht alles gepasst. Und ich bin keiner, der eine Partie im Alleingang entscheiden kann.
2006 waren Sie der Jungstar beim FCZ. Jetzt sind Sie als Doyen zurückgekehrt. Welche Rolle ist schöner?
Meine Karriere war lang. Ich hatte Verletzungen, ich musste wieder von null beginnen. Wenn ich ganz ehrlich bin: Das möchte ich nicht noch einmal alles durchmachen. 14 Jahre im Ausland, weg, weit weg von der Familie: Auch das raubt Kraft. Ich bin froh, dass ich heute mit bald 36 Jahren hier bin. Ich fühle mich in meiner jetzigen Rolle viel entspannter als damals, als ich 19, 20 Jahre alt war und die ganze Karriere vor mir hatte. Ich war ja auch nicht sicher, was die Zukunft bringt. Mein Kreuzbandriss (im April 2007, kurz vor dem zweiten Titelgewinn) hätte auch das Karrierenende bedeuten können.
Entspannter also – auch zufrieden?
Absolut. Mir war immer klar, dass ich kein riesiges Talent bin. Aber ich habe täglich an mir gearbeitet. Nach dem Kreuzbandriss hatte ich diese Angst, nicht mehr zurückzukehren. Dass ich später bei Napoli, an vielen anderen Orten in Italien oder bei Galatasaray in Istanbul spielen würde, hätte ich damals nie gedacht.
Sportlich auf dem Höhepunkt: Dzemaili im März 2013 beim 1:1 im Serie-A-Spitzenspiel mit Napoli gegen Juventus und Claudio Marchisio.
Foto: Federico Tardito (Freshfocus)
Was bedeutete Ihnen die Rückkehr zum FCZ vor einem Jahr?
Sehr viel. Der FCZ hat mir alles ermöglicht. Als ich zurückkam, sind wir zweimal zusammengesessen, dann hatten wir den Vertrag. Ich wollte einem Verein helfen, der in den vergangenen Jahren Probleme hatte.
Als Sie gekommen sind, haben Sie nicht nur eine Liebeserklärung an den FCZ abgegeben, sondern auch an die Stadt Zürich. Ist es so schön, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Fast noch schöner. Wenn du viel umherziehst, merkst du gar nicht, wo du hingehörst. Ich hatte einmal die Idee, dass ich später in Mailand leben könnte. Das ist nahe an der Schweiz und nahe bei meinem Sohn (Dzemaili ist geschieden, sein Sohn Luan lebt mit der Mutter in Norditalien). Aber dann habe ich mir überlegt: Moment mal. Aufgewachsen bin ich in Zürich. Hier fühle ich mich daheim! Und als ich aus China zurückgekehrt bin, war für mich klar: Ich will in Zürich sein. Hier habe ich den Respekt der Leute, hier fühle ich mich wohl.
Wie ist es denn, als alter Held durch die Heimatstadt zu wandeln?
Klar schauen mich viele Leute an. Doch während hier nur geschaut wird, kommen im Ausland die Leute sofort zu dir. In Zürich kann ich gut abschalten, ohne Problem in ein Café gehen. Was ich aber zum alten Helden noch sagen möchte: Viel lieber würde ich ein neuer Held werden (lacht).
Werden Sie in der Stadt darauf angesprochen, dass der FCZ Meister werden könnte?
Sehr oft. Im Moment ist eine unglaubliche Euphorie da. Wir hingegen versuchen, das Feuer eher etwas einzudämmen. Und es dann vielleicht im Mai …
… wieder zu entfachen. Wo bewegen Sie sich denn in der Stadt?
Ich bin viel am See, viel in der Stadt. Ich bin ein Stadtzürcher, in Oerlikon aufgewachsen. Und ich habe Mühe mit dem Gedanken, ich müsste mal ausserhalb der Stadt leben. Zürich bietet so viel und ist so viel lebendiger geworden. Früher ging man unter der Woche um neun Uhr nach Hause. Weil alle immer nur an die Arbeit gedacht haben. Obwohl Zürich klein ist: Heute fühlt es sich für mich wie eine Grossstadt an.
Sie sind als Kind von Mazedonien nach Zürich gekommen. Haben Sie sich sofort zu Hause gefühlt?
Es war für mich wirklich immer einfach. Ich bin hierhergekommen, weil mein Vater hier gearbeitet hat. Ich habe ihn in den ersten Jahren meines Lebens wenig gesehen. Dass ich zu ihm kommen konnte, war das Schönste. Und dann hier leben zu dürfen! Wenn du jung bist, merkst du gar nicht, welch ein Privileg du hast. Ein Kollege von mir, der aus Kosovo stammt, sagt seinen Kindern jedes Mal, wenn sie in die Schweiz zurückkommen: «Küsst den Boden, es gibt keinen besseren.» Ich würde meinen Sohn sofort hier aufwachsen lassen.
Sie waren als Kind von Ihrem Vater getrennt. Jetzt sind Sie von Ihrem Sohn getrennt, weil er in Italien bei der Mutter lebt. Wie gehen Sie damit um?
Im Moment ist es schwierig. Ich nutze die Nationalmannschaftspausen und die Ferien, um Zeit mit ihm zu verbringen. Er ist mir extrem wichtig, und ich merke, wie sehr er mich braucht. Wir telefonieren täglich. Er ist der Hauptgrund, warum ich nicht sicher bin, ob ich noch eine Saison anhänge. Wäre er in meiner Nähe, würde ich spielen, bis der Körper sagt: Es ist vorbei, du kannst nicht mehr.
Und über allem steht Sohn Luan: Dzemaili an der Euro 2016 in Frankreich nach dem 1:0 gegen Albanien.
Foto: Reto Oeschger
Zehn Clubs in sechs Ländern – wo war es am schönsten?
Ganz klar in Italien. Die Lebensweise entspricht mir total, sie hat eine gewisse Nähe zu Mazedonien. Bevor ich zu Bolton bin, hätte ich auch zu Juventus oder zu Milan gehen können. Aber ich war total auf die Premier League fixiert. Ich sass bei Milans Sportchef Ariedo Braida im Büro, er wollte mich unbedingt, doch ich dachte: Nein, nein. 2007 war ich dann mit Krücken im Stadion, als Milan die Champions League gewann, und dachte: «Du Blödmann. Bei diesem Team könntest du ab Sommer spielen!» Der Wechsel nach England war im Nachhinein ein Fehler. Als ich dann später doch noch nach Italien ging, wollte ich nicht mehr weg.
Die Clubs in Italien also waren für Sie der Höhepunkt Ihrer Karriere. Und Bolton der Tiefpunkt?
Nein, das war die Nationalmannschaft – bis Vladimir Petkovic Trainer wurde. Mit 19 erhielt ich mein erstes Aufgebot. Ich dachte: Wow! Mein Weg zum Stammspieler schien vorgezeichnet, es war wie im Traum. Dann erlitt ich 2007 meine Verletzung und rannte dem Nationalmannschafts-Zug ständig hinterher, ohne dass ich ihn einholen konnte. Der Pfostenschuss im WM-Achtelfinal gegen Argentinien 2014 steht als Sinnbild für meine Ära in der Nationalmannschaft unter Hitzfeld.
Was für ein Drama: Blerim Dzemaili köpfelt den Ball in der 121. Minute zuerst an den Pfosten und lenkt ihn danach mit dem Schienbein am Tor vorbei. Die Schweiz verliert den WM-Achtelfinal 2014 gegen Argentinien 0:1.
Foto: Reto Oeschger
Vor Ihrer Rückkehr haben Sie bei Shenzhen kein einziges Spiel gemacht. Hat es in China wirklich nur wegen Corona nicht funktioniert?
Als das Virus richtig ausbrach, waren wir gerade in Europa im Trainingslager. Danach konnten wir monatelang nicht nach China einreisen. Und als wir endlich dort waren, fragte mich der General Manager: «Willst du nicht noch etwas Pause machen?» Ich verstand gar nicht, was er wollte. Dann war Trainer Donadoni, der mich verpflichtet hatte, nach drei Spielen bereits entlassen. Und nach zwei Monaten schickten sie mich hinterher.
Das Geld haben Sie trotzdem erhalten?
Ja, einen grossen Teil davon.
Hatte der Entscheid, nach China zu gehen, vor allem finanzielle Gründe?
Ich bin zwar ein neugieriger Typ und freute mich auf China. Aber natürlich: Die finanzielle Seite war wichtig. Ich war 33 und hatte die Chance auf einen Zweijahresvertrag. Es war für mich klar, dass ich unterzeichne.
Eine Karriere, 21 Trikots: Blerim Dzemaili nach seiner Rückkehr zum FCZ.
Foto: Toto Marti (Freshfocus)
Als Sie nach Zürich zurückkehrten, redeten Sie von Ausbildungen, die Sie neben dem Fussball absolvieren. Wo stehen Sie?
Ich habe mein Fernstudium in Sportmanagement abgeschlossen und sehe in diesem Bereich auch meine Zukunft. Trainer möchte ich nicht werden. Wenn man selbst eine gute Karriere gemacht hat, verlangt man von Spielern vielleicht Dinge, die diese vielleicht nicht umsetzen können.
Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Steigen Sie dann auf dem FCZ-Campus gleich von der Garderobe aus einen Stock höher?
Nein, nein. Ich will nach der Karriere fünf, sechs Monate den Kopf durchlüften.
Aber das Ziel, dass Sie einmal FCZ-Sportchef sein möchten, haben Sie doch schon als junger Fussballer ausgerufen.
(Lacht.) Es hat sich vieles verändert seither. Die Situation mit meinem Sohn wird mir viel Flexibilität abverlangen. Darum kann ich mir auch vorstellen, eine eigene Managementfirma zu eröffnen.
Das heisst: Spielerberater.
Ja. Im Moment aber schaue ich nur auf das Hier und Jetzt – und darauf, ob ich hier als Spieler weitermachen will. Jeder sagt: «Hänge noch ein Jahr an, hänge noch ein Jahr an.» Und dann sagt jeder: «Aber wenn ihr Meister werdet, wäre es schon … »
… ein perfekter Abgang.
Und darum: Keine Ahnung (lacht).
Blerim Dzemaili