https://www.tagesanzeiger.ch/der-chef-g ... 0897416058Beim 3:1-Sieg jubelt ein FCZ-Mann besonders ausgefallen, derweil ein junges Talent eine besondere Tugend an den Tag legt.
Christian ZürcherDie Säge ist gewöhnlich ein Gerät zur Zweiteilung von Gegenständen, seit Jahrhunderten leistet sie der Menschheit gute Dienste. Dann kam der Fussball und brachte der Säge völlig neue Einsatzmöglichkeiten. Als Instrument der Freude zum Beispiel. Man nennt sie auch den Retro-Klassiker unter den Jubelgesten. Der Begriff verrät: Gegenwärtig ist sie vom Aussterben bedroht. Zum Glück gibt es André Breitenreiter. Der Deutsche nutzt gerne diese Säge. Und weil seine Mannschaft in diesen Tagen so viel trifft, wird in Schweizer Stadien so an manch imaginärem Baumstamm gesägt.
Auch in Lausanne. Gerade hat Wilfried Gnonto zum 1:0 getroffen, und Breitenreiter beginnt zu sägen. Er sägt und sägt und sucht den Blick von Gnonto. Weil dieser aber sehr mit der eigenen Jubelgeste beschäftigt ist (dem Flieger), sägt Breitenreiter halt noch ein bisschen weiter.
Das ausgiebige Sägen ist der Beleg, dass wieder einmal ein Plan aufgegangen ist. Statt Aiyegun Tosin (Schonung) schickte er Wilfried Gnonto aufs Feld, dieser trifft zweimal. Statt Blerim Dzemaili (Kunstrasenphobie) setzt er auf Bledian Krasniqi, auch dieser beteiligt sich an zwei Toren. Breitenreiter hat ein Händchen mit seinem Personal. Bereits gegen Luzern eine Woche zuvor gelingt ihm mit dem Setzen auf Tosin ein ähnliches Kunststück, der Nigerianer trifft zweimal.
Breitenreiter freut sich zudem, wie seine Taktik aufgeht. Das Zürcher Pressing verunsichert Lausanne, seine Spieler jagen den Ball wie tollkühne Hunde, Lausanne kommt nie zur Ruhe. In der ersten Halbzeit ist der FCZ so dominant, dass manche Zuschauer bereits zur Pause nach Hause gehen. Was Breitenreiter derzeit anfasst, funktioniert.
Wilfried Gnonto – Mann des Spiels, wieder einmal
Als er ausgewechselt wird, drückt ihn André Breitenreiter an sich, einmal, zweimal. Der Deutsche weiss, was er an diesem jungen Mann hat. Bereits als 18-Jähriger kann er den Unterschied machen. Bei den beiden ersten Toren trägt er sich als Torschütze ein. Natürlich hilft ihm dabei auch, dass Lausanne ab der 30. Minute zu zehnt spielen muss. Ein wüster Tritt gegen den Fuss von Assan Ceesay beendet den Arbeitstag von Trazié Thomas frühzeitig.
Fortan hat Gnonto noch mehr Raum, und wenn er etwas kann, dann das Dribbeln bei hohem Tempo. Die bereits eher hüftsteifen Lausanner Innenverteidiger kämpfen plötzlich auch noch mit Knoten in den Beinen. Es ist erst Gnontos zweiter Start von Beginn an – und man merkt, was Selbstvertrauen im Fussball anrichten kann. Mit jedem Tor traut sich Gnonto etwas mehr zu.
Gnonto ist also in Form. Aiyegun Tosin auch. Assan Ceesay ist seit dieser Saison ein neuer Stürmer. Plötzlich hat der FCZ Varianten in der Offensive. Jetzt braucht nur noch Blaz Kramer etwas Zielwasser.
Alex Frei hat es im Frühling angekündigt. «Von Bledi wird man noch einiges sehen.» Bledi heisst mit vollem Namen Bledian Krasniqi, er spielte vergangene Saison zur Leihe unter Trainer Frei in Wil, weil man beim FCZ keinen Platz für den Junior sah.
Im Sommer holte ihn der FCZ zurück, und sogleich spielte sich der 21-Jährige in die Mannschaft. Gegen Lausanne deutete er an, was Frei gemeint haben könnte. Zum Beispiel bei der Entstehung des ersten Tors. Er tänzelt mit dem Ball an drei Lausannern vorbei und spielt ihn dann dem einschussbereiten Gnonto auf den Fuss. Auch beim zweiten Tor ist Krasniqi beteiligt. Nach dem Spiel spricht Krasniqi davon, wie man das Spiel in der zweiten Hälfte «töten» wollte und daran scheiterte. Wie sich die Mannschaft nach der Partie in die Augen schaute und sich schlecht fühlte. Tatsächlich schafft es der FCZ nicht, seine Dominanz 90 Minuten lang auszuspielen, plötzlich kommt Lausanne gegen Ende des Spiels zu Chancen.
Dies muss Krasniqi und seine Kollegen gestört haben. Im Siegestaumel Selbstkritik üben, das ist eine seltene Tugend. Krasniqi hat sie.
Adrian Guerrero – er läuft und läuft und läuft
Für einmal bleibt er ohne Skorerpunkt – und doch fällt er auch gegen Lausanne auf. Sobald er ein bisschen Raum vor sich sieht, sobald er einen Konter riecht, dann setzt Adrian Guerrero zum Sprint an. Kein Weg ist ihm zu weit. Von der eigenen Platzhälfte zur gegnerischen Eckfahne – kein Problem. 60 Meter im Vollspurt über den Platz – warum nicht. Und anders als viele seiner Berufskollegen leidet er nicht unter der Krankheit der schleppenden Rückwärtsbewegung. Was nach vorne geht, geht auch nach hinten.
Guerrero hat das Lungenvolumen eines Langläufers und die Schadensanfälligkeit eines ISO-zertifizierten Uhrwerks. Er läuft und läuft und läuft – und die Muskeln halten.
Die Fans – Loyal und mit Grüssen an die Liga
Die Liga hat vergangene Woche beschlossen, dass ab sofort Gästefans in Gästesektoren verboten sind. Trotzdem reisen rund 400 Zürcher Fans nach Lausanne, ein paar kaufen sich Tickets und setzen sich ins Stadion, die meisten aber harren hinter der Gegentribüne in der Lausanner Polarkälte aus.
Sie jagen dabei allerlei Feuerwerk in den Himmel. Es sind laute Grussbotschaften an die Liga, kleine Protestnoten, an denen sich auch die Lausanner beteiligen. Nach einer Minute verlassen die Ultras ihre Kurve, auch ihnen stösst das Gästeverbot sauer auf. Es wird unangenehm ruhig im mit 3192 Zuschauern sehr dürftig besetzten Stadion. Es ist eine Andeutung, wie es einmal klingen könnte, wenn die Kurvenfans nicht mehr kommen.