Beitragvon AgroAglo » 26.07.21 @ 10:27
Der Trainer geht voran, auch im Dschungelregen
Ein neuer Verteidiger macht den Unterschied, ein fast schon abgeschriebener und ein oft kritisierter Spieler stechen beim ersten Saisonsieg des FC Zürich positiv hervor.
Christian Zürcher
Christian Zürcher
Publiziert heute um 07:15 Uhr
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Wetterfest: Der Regen kann André Breitenreiter nichts anhaben.
Wetterfest: Der Regen kann André Breitenreiter nichts anhaben.
Foto: Samuel Golay (Keystone)
André Breitenreiter – einer mit Mentalität
André Breitenreiter hat breite Schultern, er ist auf sie angewiesen, er trägt auf ihnen gerade ein paar Lastwagenladungen FCZ-Hoffnungen auf bessere Zeiten. Der FCZ ist im Umbruch, und als neu geholter Trainer mit präsidialen Lobvorschüssen ist er ziemlich stark mitverantwortlich für diese Sehnsüchte.
Breitenreiter hat in seinen ersten Tagen dazu beigetragen, dass man beim FCZ bereits von einer neuen Mentalität spricht. Nach dem Spiel gegen Lugano ist dann wieder von dieser Mentalität die Rede. Breitenreiter lobt sie. Nachwuchschef Heinz Moser hebt sie hervor, und ja, wenn mit Mentalität Einsatzwille und Laufbereitschaft gemeint ist, dann hat Breitenreiter seiner Mannschaft Grundtugenden beigebracht (hier geht es zum Spielbericht).
Tatsache ist aber auch, dass Breitenreiter der Mannschaft mit dem 3-4-1-2 ein kompaktes Gewand verpasst hat. Sie setzt auf schnelles Pressing und verunsichert damit die Tessiner. Defensiv steht der FCZ eher tief, sodass Lugano bis auf die Schlussphase kaum gefährlich vor Yanick Brecher auftaucht. Anfängliche Abstimmungsprobleme zwischen der Dreierkette und den Flügelspielern kann Breitenreiter zügig beheben, indem die Sechser Bledian Krasniqi und vor allem Ousmane Doumbia auf den Seiten aushelfen. Im Spiel nach vorn wirkt allerdings noch vieles unzulänglich und improvisiert, daran will der Deutsche arbeiten. «Es ist ein Prozess», sagt Breitenreiter.
Er selbst geht voran. Als sich der Himmel über dem Cornaredo entleert, sucht Trainerkollege Abel Braga Schutz unter der Trainerbank, Breitenreiter aber steht an der Seitenlinie im Regen bis zum Schlusspfiff, als wollte er sagen: Seht her, ich bin mir für nichts zu schade.
Mirlind Kryeziu – fast schon abgeschrieben
Fehlerlos: Mirlind Kryeziu macht dem ehemaligen Chelsea-Stürmer Demba Ba das Leben schwer.
Fehlerlos: Mirlind Kryeziu macht dem ehemaligen Chelsea-Stürmer Demba Ba das Leben schwer.
Foto: Samuel Golay (Keystone)
Die wenigsten haben ihm beim FCZ eine Zukunft zugetraut nach der letzten Saison. Er wurde damals wegen körperlicher Probleme zu Kriens in die Challenge League abgeschoben, er spielte dort neun Spiele und kehrte diesen Sommer zurück. Und wie.
Kryeziu fängt gegen Lugano Bälle ab, läuft sie ab, haut sie weg. Er steht da, wo ein zentraler Innenverteidiger stehen muss. Er bleibt ein Spiel lang ohne grosse Fehler, etwas, das ihm beim FCZ in zuverlässiger Regelmässigkeit unterlaufen ist. Es ist darum nicht er, der die Abwehr ins Schwitzen bringt, sondern der viel gelobte Becir Omeragic: Einen Rückpass spielt er so ungeschickt, dass Nikolas Muci allein auf Yanick Brecher losziehen kann. Doch der 18-jährige Tessiner kommt nicht einmal zum Abschluss, weil Kryeziu zurückeilt und ihn wie ein alter italienischer Verteidiger vom Ball trennt, schnörkellos und fair.
Der FCZ will noch einen Innenverteidiger holen, der Norweger Thomas Rogne soll mit dem Club im Gespräch sein. Kryeziu hat es in der eigenen Hand, bis dann sein Revier zu markieren.
Adrián Guerrero – der Neue
Sieht man eher selten: Adrián Guerrero trifft gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber – und feiert unverblümt.
Sieht man eher selten: Adrián Guerrero trifft gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber – und feiert unverblümt.
Foto: Marc Schumacher (Freshfocus)
Der 23-jährige Spanier spielte vergangene Saison für Lugano, dieses Jahr lieh ihn sein Verein Valencia an den FCZ aus. Und ausgerechnet der linke Aussenverteidiger schiesst das erste Tor für den FCZ. Guerrero feiert sein Tor so, wie man es bei Torerfolgen gegen alte Arbeitgeber nur selten sieht: sehr euphorisch. Guerrero setzt an der Eckfahne zum exaltierten Jubelsprung an. Trotzdem bleibt es im Stadion verhältnismässig ruhig. Das hat auch damit zu tun, dass beide Fankurven auf den Spielbesuch verzichteten, weil sie gegen personalisierte Tickets protestieren.
Guerrero kam in Lugano in 29 Spielen auf zwei Assists. Die Tessiner Medien zitierten ihn mit dem Satz, dass er sich in der Offensive verbessern wolle. Beim FCZ lässt er gleich Taten folgen. In der 20. Minute sieht er viel Raum vor sich, stösst in diesen und hat das Glück, dass dies Assan Ceesay auch sieht und auch noch in der Lage ist, ihm den Ball in den Lauf zu spielen. Guerrero nimmt den Ball und spielt ihn via Innenpfosten ins Tor. Ein sehenswerter Treffer.
Das Spiel gegen Lugano zeigt: Er könnte zu einer Bereicherung auf der linken Seite werden. Die anderen Zuzüge wie Marc Hornschuh, Nikola Boranijasevic oder Rodrigo Pollero kommen zu kurzen Einsätzen, die noch keine grossen Aussagen über ihre Schaffenskraft erlauben.
Antonio Marchesano – der Wichtige
Muss sich gegen Blaz Kramer durchsetzen, damit er den Penalty schiessen darf: Antonio Marchesano.
Muss sich gegen Blaz Kramer durchsetzen, damit er den Penalty schiessen darf: Antonio Marchesano.
Foto: Samuel Golay (Keystone)
Er ist der Chef auf dem Platz, das sieht und spürt man. Zum Beispiel, wenn er Angriffe einleitet oder einem überhasteten Ceesay Ruhe schenken möchte («calma, calma»), das merkt man aber auch nach Penaltypfiffen. Blaz Kramer hat sich den Ball geschnappt, es kommt zu einem Hin und Her zwischen ihm und Marchesano, vielleicht raunte er diesem zu, dass er im Freundschaftsspiel gegen Rotterdam verschossen hatte. Marchesano aber insistiert und bekommt dann doch den Ball, setzt ihn und verlädt Baumann.
Noch am Morgen vor dem Lugano-Spiel hat André Breitenreiter sich beim Tessiner erkundigt, ob er schiessen könne und möchte. Marchesano konnte und wollte. Für die Zukunft unter dem neuen Trainer ist Marchesano zuversichtlich: «Wir gehen mit einer neuen Philosophie in diese Meisterschaft. In den nächsten Spielen werden wir noch mehr davon sehen.»
Assan Ceesay – der Vielgescholtene
Leistete einen grossen Beitrag zum Sieg: Assan Ceesay war zweimal direkt an den FCZ-Toren beteiligt.
Leistete einen grossen Beitrag zum Sieg: Assan Ceesay war zweimal direkt an den FCZ-Toren beteiligt.
Foto: Samuel Golay (Keystone)
Viel ist an dieser Stelle über die Unzulänglichkeiten des Assan Ceesay geschrieben worden, sie gab es auch gegen Lugano, doch sie gerieten nach der Partie vollends in Vergessenheit. Der Gambier hat mit seinen Aktionen wesentlich dazu beigetragen, dass der FCZ sein erstes Saisonspiel gewann.
Ceesay hat zweimal seine Schnelligkeit ausgespielt. Einmal hat er das Auge und den guten Pass für Guerrero, das andere Mal fühlte sich Kreshnik Hajrizi ausserstande, den 27-Jährigen fair zu bremsen, er wählte das Foul und verursachte einen Penalty.
Wenn nun Ceesay zu etwas mehr Ruhe findet, wenn er die einfachen Dinge richtig macht und auch einmal ein Tor schiesst, dann könnte das mit ihm und dem FCZ doch noch etwas werden. Wahrscheinlicher aber ist, dass bis Ende Sommer ein neuer Stürmer kommt und der FCZ einen Abnehmer für Ceesay findet.
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