Beitragvon spitzkicker » 27.01.21 @ 8:41
Aus dem Tagi vom 27. Januar 2021
«Ich war darauf vorbereitet, allein zu sein»
FCZ-Spieler Ousmane Doumbia Die Karriere des Ivorers verlief lange auf Umwegen und Nebengeleisen. Warum er mit 28 Jahren doch noch beim FC Zürich angekommen ist. Und was ihn als afrikanischen Fussballer antreibt.
Florian Raz
«Das musst du schreiben!» Ousmane Doumbia lacht. Praktisch während des gesamten Gesprächs auf den Klappsitzen der Saalsporthalle hat der Mittelfeldspieler des FC Zürich an seinem linken Turnschuh gezupft. Er hat sehr aufmerksam zugehört und gewissenhaft geantwortet.
Aber jetzt ist dem Ivorer spontan eine Aussage entschlüpft, die ihn selbst begeistert: «Die Deutschschweiz ist schwierig – aber nicht schwieriger als Afrika.» Er entspannt sich, der Oberkörper geht hoch. Es sieht aus, als öffne sich gerade der ganze Mensch. «Schreib genau das! Schwierig. Aber nicht schwieriger als Afrika.»
Es ist ein fröhlicher und sehr ehrlicher Moment, der ganz viel über die Ernsthaftigkeit verrät, die dieser 28-Jährige sonst ausstrahlt. Denn gleich darauf erklärt Doumbia, welche Schwierigkeiten er meint.
Jeder Tag ist ein Kampf
Zum Beispiel den Gedanken daran, dass er ohne Vertrag die Schweiz verlassen müsste: «Als afrikanischer Fussballer ist darum jeder Tag in Europa ein Kampf. Du musst dich immer beweisen. Und wenn der Vertrag auf sein Ende zugeht, bist du nicht mehr so entspannt.»
Doumbia kennt das Gefühl, seit er 2013 als 21-Jähriger aus Abidjan nach Genf gezogen ist, um für Servette zu spielen. Als die Genfer nach einer Saison in die Promotion League absteigen, steht er für ein paar Wochen ohne Arbeitserlaubnis da, weil ihm die Behörden nicht abnehmen, dass man in der dritthöchsten Liga professionell Fussball spielen kann. Später gibt ihm der FC Winterthur erst keinen Vertrag, weil er zuvor seine Hüfte operiert hat. Also steigt Doumbia noch einmal hinunter in die Promotion League. Er muss bei Yverdon beweisen, dass sein Körper hält, sein Arbeitswerkzeug, ehe es mit Winterthur doch noch klappt.
Alles kompliziert. Eine Karriere auf Umwegen und Nebengeleisen. Sieben Jahre in der Schweiz, sieben Jahre kein Angebot aus der höchsten Liga. Natürlich beginnt er sich die Frage zu stellen, warum nie einer aus der Super League anruft: «Ich kann ja nicht gut selber bei den Clubs anklopfen.»
Er lebt in einer Einzimmerwohnung in Töss und stellt irgendwann fest, dass er in ein Alter kommt, in dem ein Fussballer kaum mehr die Chance erhält, sich auf höherem Niveau zu beweisen, wenn er nie in einer höchsten Liga gespielt hat. Auch das: nicht einfach.
Aber eben: alles nicht schwieriger als in der Heimat. «Wir haben so viele Talente in Afrika», sagt er, «und wenn es die Möglichkeiten gäbe, würden wir bei uns zu Hause spielen.» Aber es gibt sie nicht. Keine Infrastruktur, kein Geld, keine Chance. «Darum träumen alle afrikanischen Fussballer davon, einmal in Europa zu spielen.»
Auch das: vertrackt. Den Weg auf den Alten Kontinent finden nur die wenigsten. Doumbia ist überzeugt, dass das jenen anzusehen ist, denen es gelingt: «Wenn ich zwei Schwarze spielen sehe, erkenne ich sofort, welcher in Afrika geboren ist und welcher in Europa. Der Afrikaner rennt um sein Leben.»
Doumbia schafft es immerhin in die Schweiz. Einer seiner vier älteren Brüder hilft ihm. Es ist Seydou Doumbia, der 2008 zu YB kommt und sie mit seinen Toren träumen lässt, ehe er für über zwölf Millionen Franken nach Moskau weiterzieht. Seydous Berater bringt Ousmane fünf Jahre später zu Servette, und der ältere Bruder gibt ihm gute Tipps für das Leben in Europa.
Ousmane hält sich daran, was ihm Seydou erzählt. Zum Beispiel, dass es einfach ist, ein gutes Spiel zu zeigen: «Aber die Leute beachten dich erst, wenn du konstant gut spielst.» Also spielt der Jüngste der Doumbia-Familie in jeder Begegnung so, als sei es seine letzte. Seine dreijährige Tochter lebt in Abidjan. Die Familie sieht er über die sozialen Medien. «Fussball ist Verzicht», sagt Doumbia. «Als ich Afrika verlassen habe, war ich darauf vorbereitet, allein zu sein.»
180-mal muss er sich in der Challenge oder der Promotion League beweisen, ehe er in diesem Oktober doch noch in die höchste Schweizer Liga kommt. Der FC Zürich holt ihn als Ersatz für den nach Parma abgewanderten Simon Sohm.
Dzemailis perfekter Partner
Seither macht Doumbia den FCZ besser. Weil er genau das tut, wofür sich in dieser Mannschaft zuvor kaum einer interessiert hat. «Wenn wir den Ball haben, dann überlege ich mir sofort: Was ist, wenn wir ihn verlieren?», erzählt Doumbia. «Wo würde ihn der Gegner hinspielen? Wo kann ich ihn gleich wieder abfangen?»
Es macht ihm Spass, dem Gegner den Ball abzujagen. Mehr noch. Es erfüllt ihn mit Stolz. Gennaro Gattuso nannte sich einen «Bälleklauer». Doumbia versteht genau, was der italienische Weltmeister damit gemeint hat: «Und je früher ich den Ball zurückhole, umso mehr Raum hat mein Team für Angriffe.»
Mit dieser Einstellung ist er fast schon per Definition der perfekte Partner des offensiver ausgerichteten Rückkehrers Blerim Dzemaili. Das erste gemeinsame Spiel der beiden beim 4:1-Sieg in Basel machte aus FCZ-Sicht jedenfalls Lust auf mehr.
Ousmane Doumbia hat immer daran geglaubt, dass er sich mit viel ehrlicher Arbeit irgendwann die Chance verdient, doch noch in die Super League zu kommen. Und als er in Vaduz erstmals im Dress des FC Zürich aufläuft, stellt er fest: «Ich habe mich gefühlt, als sei ich schon seit langem beim FCZ.» Das freut ihn. Aber es überrascht ihn nicht: «Ich habe in den letzten Jahren jeden Tag auf diesen Moment hingearbeitet. Ich war bereit.»