MF2000 hat geschrieben:https://www.tagesanzeiger.ch/der-niedergang-eines-klassikers-452951389520
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Der Niedergang eines Klassikers
Das Duell des FC Zürich gegen Basel beherrschte einst den Schweizer Fussball – das Spiel vom 11. Mai 2011 war der Auslöser, wieso das nicht mehr so ist.
Florian RazThomas Schifferle
Thomas Schifferle, Florian Raz
Publiziert: 18.10.2020, 11:27
Es ist der Abend der grossen emotionalen Ausbrüche. Vor dem Spiel an diesem 11. Mai 2011, einem Mittwochabend, geht ein fast biblischer Wolkenbruch über dem Letzigrund nieder. Basler Anhänger stürmen den Eingang zu ihrem Sektor und skandieren: «Zürich muss fallen!»
Sie werfen einen Rucksack voller Feuerwerkskörper ins Stadion und prügeln sich deshalb mit Sicherheitskräften, sie werfen Absperrgitter nach ihnen und beschlagnahmen zwei Verpflegungsstände, einen zerstören sie. Es gibt 200’000 Franken Sachschaden und zehn Verletzte. Drei Monate später zeigt die «Rundschau» verstörende Bilder dieses Krawalls.
Dann folgt das Spiel, Zürich gegen Basel. Vier Runden stehen in der Saison 2010/11 noch aus, der FCZ ist Leader, dank minimal besserer Tordifferenz als der punktgleiche Rivale. Er legt einen Auftritt hin, der so gut ist wie selten einer, zumindest eine Stunde lang. Er führt 1:0 und 2:1, eigentlich müsste er klarer führen, wenn bloss Alexandre Alphonse seine Chancen verwerten würde.
Die alten Rivalen werden auf unterschiedliche Umlaufbahnen katapultiert.
Der FCB ist gar nicht gut, aber am Ende hat er Alex Frei. Fünf Wochen zuvor ist Frei aus dem Nationalteam zurückgetreten, entnervt ob der Kritik an seiner Person. Jetzt im Letzigrund ist er es, der dem FCB mit seinen Toren das 2:2 rettet. Und damit das wesentlich prägt und beeinflusst, was danach alles folgen soll.
Im Rückblick gesehen, ist es dieser Mai-Abend vor neun Jahren, der die alten Rivalen endgültig auf unterschiedliche Umlaufbahnen katapultiert hat: Basel fängt Zürich als Leader noch ab, wird wieder Meister und ist danach auf Jahre hinaus der Dominator der Super League, Zürich dagegen erholt sich nie mehr von den Folgen dieses Spiels und ist bis heute bestenfalls ein braver Mitläufer, der zwischendurch sogar in der Challenge League verschwindet.
Heute steht diese Paarung wieder auf dem Programm. Zürich ist Letzter und in der Krise, Basel dümpelt im Mittelfeld und versucht mit den Transfers von Timm Klose und Pajtim Kasami in einem schwierigen Umfeld Aufbruchstimmung zu verbreiten. 15’800 Zuschauer dürften wegen der Corona-Vorschriften maximal in den Letzigrund, 5000, vielleicht 6000 werden effektiv nur erwartet. Ein Virus verstärkt den Eindruck, wie sehr der Klassiker des Schweizer Fussballs an Glanz verloren hat.
«Das war unglaublich: Köbi gegen Karli ...»
Ein Klassiker ist es seit den K&K-Zeiten, den Zeiten des Zürchers Köbi Kuhn und des Baslers Karl Odermatt, der eigentlich aus Luzern kommt. Zwischen 1963 und 1976 führen sie ihre beiden Vereine zu zusammen elf Meisterschaften und acht Cupsiegen. «Früher», erinnert sich Odermatt einmal in der «SonntagsZeitung» in weinseliger Stimmung, «war das etwas Unglaubliches: Basel gegen Zürich, Kunz gegen Grob, Künzli gegen Hitzfeld, Köbi gegen Karli …»
Aus Basler Sicht werden die Spiele gegen den FCZ auch darum zur Besonderheit, weil der FCB erst in der Zeit der grössten Rivalität mit dem FCZ bedeutsam wird in seiner Stadt. Bis 1965 ist er bloss ein beschaulicher Schweizer Mittelfeldclub mit einem Meistertitel im Palmarès. Rotblau ist weit davon entfernt, den Puls der Region mitzubestimmen.
Das ändert sich markant, als Helmut Benthaus Spieler-Trainer wird. In den 17 Jahren unter dem Deutschen gewinnt Basel sieben Meistertitel und zwei Cupfinals. Aber Benthaus tut viel mehr, als bloss für sportlichen Erfolg zu sorgen: Er schafft es, den Club auch in jenen Schichten der Bevölkerung populär zu machen, die Fussball bislang als Zeitvertreib für Proleten und damit als unter ihrer Würde betrachteten.
Benthaus hat die Lust, den Sport mit der Hochkultur zu vermischen. Und trifft mit dem Basler Theaterdirektor Werner Düggelin einen kongenialen Partner. Es ist eine Mischung aus aufregendem Fussball und intellektueller Begleitung, die den FCB als unverzichtbares Wahrzeichen wie die Fasnacht in seiner Stadt verankert. «Mit unserer Idee haben wir die Basler Fussballkultur geschaffen», sagt Benthaus später. Und der grosse Antipode dieser Fussballkultur heisst FC Zürich.
Mit der Gutsherrenart von Ancillo Canepa ist der FCZ zum biederen Club geworden.
Mit der Gutsherrenart von Ancillo Canepa ist der FCZ zum biederen Club geworden.
Foto: Keystone
Der FCZ steht lange Zeit für eine Stadt, in der für Basler Gleis 12 im Zürcher Hauptbahnhof der schönste Ort in der Stadt ist, weil hier der Zug zurück in die Heimat fährt. Zürich gilt als gross, laut, vorlaut, mächtig, der Zürcher Akzent ist grob. Die Stadt dient perfekt als Feindbild, auch in Basel.
Es mag im ersten Moment unlogisch klingen. Aber vermutlich liegt es auch am tiefen Sturz des FCB ab Mitte der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts, dass Spiele gegen den FCZ in Basel so lange ihren Sonderstatus behalten haben. Unabhängig von der Platzierung der beiden Mannschaften. Gerade weil der FCB von der Benthaus-Ära bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends keine Erfolge feiert, bleiben die Heldengeschichten aus den alten Tagen lebendig.
Die Grösse von Rotblau speist sich über Jahrzehnte nur aus verflossenen Erfolgen. Und aus den in der Erinnerung immer epischer werdenden Auseinandersetzungen mit den Zürchern. So wird jedes Spiel gegen den FCZ auch immer zur Gelegenheit, sich noch einmal in der goldenen Vergangenheit zu sonnen.
Für Basel hat sich die Rivalität verschoben
Die Duelle zwischen Baslern und Zürchern, die zwischen 2005 und 2011 die Meistertitel unter sich ausmachen, scheinen da die Geschichte des scheinbar ewigen Streits weiterzuspinnen. Und doch verändert sich in Basel etwas markant: Mit den aktuellen Erfolgen wird die Gegenwart wichtiger als die Vergangenheit.
In Zürich ist das umgekehrt. Da ist die Vergangenheit wichtiger, weil die Gegenwart so trostlos ist. Die grossen Figuren sind verschwunden. Bei Kuhn, Künzli, Grob oder Martinelli genügten die Vornamen, um zu wissen, von wem die Rede ist. Köbi, Fritz, Karli, Rosa... Die Mannschaften der Neuzeit sind besetzt von Spielern, die auswechselbar sind und keine Identifikation schaffen. Hannu Tihinen ist noch der Letzte, der ein Idol war. Der Finne ist bereits seit zehn Jahren weg.
Wenn der Blick nach hinten aber nicht mehr alleiniger Ankerpunkt der eigenen Identität ist, können sich Rivalitäten verschieben. Genau das geschieht in Basel, als die Young Boys den FCZ als härtesten Gegner im Meisterrennen ablösen. Es sind nicht mehr die Spiele gegen den historischen Erzrivalen, die die grössten Emotionen auslösen. Es sind jene Partien, in denen es um Titelgewinne geht und in denen neue Heldengeschichten geschrieben werden können.
Und so nimmt die Brisanz des Klassikers aus Sicht der Basler mit jedem Jahr ab, in dem sich der FCZ irgendwo zwischen Rang 7 und der Challenge League befindet.
Es gibt keinen Religionskonflikt oder politische Verwerfungen.
Es zeigt sich, dass dem Schweizer Klassiker vermutlich eine tiefergehende Verankerung fehlt, die über den Sport hinausreicht. Da ist keine räumliche Nähe wie zwischen Schalke und Dortmund oder erst recht zwischen Liverpool und Everton. Da gibt es keinen Religionskonflikt wie beim Old Firm von Glasgow zwischen den Rangers und Celtic und auch keine politischen Verwerfungen wie beim Clasico zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid.
Und jene Städterivalität, die zwischen Basel und Zürich ausserhalb des Fussballfelds herrscht, hat längst nicht mehr die Wucht vergangener Tage. Natürlich wird das kleinere Basel den Neidkomplex gegenüber Zürich nie ganz ablegen. Aber er scheint in den letzten Jahren doch spürbar geschrumpft zu sein. Was sich an den Schnitzelbänken zeigt, die gut als Fiebermesser der Basler Befindlichkeit funktionieren. Dort wird höchstens noch aus nostalgischen Gründen über Zürich hergezogen. In der Stadt Basel lacht man heute lieber über die Baselbieter.
Inzwischen scheint sogar die Rivalität zwischen der Zürcher Süd- und der Basler Muttenzerkurve einen emotionalen Tiefstand erreicht zu haben. Dazu dürfte auch beitragen, dass Konflikte mit der Zürcher Polizei dafür sorgen, dass die organisierten Basler Anhänger mehrfach auf die Reise in den Letzigrund verzichten. Der Aufmarsch der Zuschauer an der Badenerstrasse ist nie mehr annähernd so gross gewesen wie an jenem 11. Mai 2011, als 22’800 für einen brodelnden Kessel sorgen. Das hat nur etwas Gutes: Die Zeit der schlimmsten Ausschreitungen ist vorbei.
Bernhard Burgener hat den FC Basel mit seiner Art der Führung ins Chaos gestürzt.
Bernhard Burgener hat den FC Basel mit seiner Art der Führung ins Chaos gestürzt.
Foto: Urs Lindt (Freshfocus)
Damit sind wir zurück an diesem Tag im Mai 2011, der die Entwicklung der beiden Clubs zuletzt so sehr definiert hat. Der FCB ist drei Spiele nach dem 2:2 gegen den FCZ Meister, schafft direkt den Sprung in die Champions League und sorgt da für Furore, als er sich dank eines 2:1 gegen Manchester United für die Achtelfinals qualifiziert. Er ist nicht mehr zu bremsen, zumindest so lange er von Bernhard Heusler als Präsident und Georg Heitz als Sportchef geführt wird. In den letzten neun Jahren nimmt er in den europäischen Wettbewerben 125,7 Millionen Euro allein an Prämien ein, der FCZ kommt auf einen Bruchteil davon, auf 17,4 Millionen.
Nachdem Basel Anfang Dezember 2011 gegen Manchester United gewonnen hat, zieht Trainer Urs Fischer beim FCZ die Bilanz des Jahres: «Wo der FCB jetzt steht, könnte der FCZ auch stehen. Auch wir könnten wie Basel sein – im optimalsten Fall.»
Ein Machtkampf und seine Folgen
Der optimale Fall ist weit weg. Wegen der verpassten Champions League kündigt Präsident Ancillo Canepa eine Reduktion des Budgets von 26 auf 20 Millionen Franken an. Er sucht neue Gelder und holt zusätzlich Leute in den Verwaltungsrat. Daraus entwickelt sich ein Richtungsstreit, der gar zu einem Machtkampf führt. Fischer ist eines der Opfer davon und wird zehn Monate nach der knapp verpassten Meisterschaft entlassen.
Canepa behält am Ende zwar die Macht, und die Gegner ziehen sich wieder zurück. Die Folge ist aber, dass er sich mehr und mehr abschottet und den Club zusammen mit seiner Frau Heliane zu einer Familiensache macht. 90 Prozent der Aktien gehören den Canepas inzwischen. Er mag den FCZ noch lange als Spitzenclub anpreisen und alle, die das hinterfragen, schon fast als Hinterwäldler anschauen. An einem führt trotzdem kein Weg vorbei: Mit Canepas Gutsherrenart ist der FCZ nicht durchgestartet, sondern zum gewöhnlichen Club geworden und um Jahre zurückgefallen – fernab des Glanzes alter grosser Klassikertage, als er auf Augenhöhe mit dem FC Basel war.
In Basel kommen die Probleme erst ab dem Sommer 2017, nach acht Meistertiteln in Serie. Bernhard Burgener übernimmt den Club und stürzt ihn mit seiner Art der Kommunikation und des Finanzgebarens zunehmend ins Chaos. Aber auch das reicht in Basel noch immer zu den Plätzen 3, 2 und 2, zu einem Cupsieg und einem Viertelfinal in der Europa League, zu Transfers von Klose und Kasami und zu einer Lohnsumme, die höher ist als überall sonst im Schweizer Fussball.
Köbi und Karli spielten einst für 100’000 Franken im Jahr, höhere Gehälter erlaubte der Schweizer Verband zu ihrer Zeit nicht. «Heute würden wir sicher eine Million verdienen», sagt Odermatt einmal. Sie wären ihr Geld noch wert.
Gemäss einer Studie der Fairleigh Dickinson Uni (2011) sind Fox News Zuschauer nicht nur schlechter informiert als die Zuschauer anderer News Sender, sondern sind im Schnitt sogar etwas schlechter informiert als Menschen, die gar keine Nachrichten sehen.