Beitragvon spitzkicker » 26.09.20 @ 9:31
Gefällt mir, die Story. Aus dem Tagi von heute, 26. September 2020:
Vielleicht hat der FCZ genau auf ihn gewartet
Verteidiger Lasse Sobiech Beinahe hätte ihm ein Schiff den Unterschenkel abgetrennt. Jetzt soll Lasse Sobiech beim FC Zürich jene Lücke füllen, die Hannu Tihinen vor zehn Jahren hinterlassen hat.
Es gibt ein Video, es ist ein paar Jahre alt, das Lasse Sobiech mit seiner Gitarre zeigt. Er singt etwa die schöne Songzeile: «Es ist, als ob es Bier nicht in jedem Supermarkt gibt.» Wobei es nicht eigentlich um Alkoholgenuss geht. Sondern um die Tragik des FC St. Pauli. Sobiech spielt mit dem Musiker Thees Uhlmann, der das Lied geschrieben hat. Das Ganze klingt sehr vernünftig.
Trotzdem winkt Lasse Sobiech ab, wie er da an einem Dienstagmittag in der Zürcher Septembersonne sitzt. Nein, er will nicht zu einer Art Guillaume Hoarau des FC Zürich werden, der vom Fussballplatz auf die Konzertbühnen und zurück wechselt. Auch wenn die 196 cm Körpergrösse, die Gitarre und der Gesang ja wunderbar passen würden. Und könnte man Uhlmann mit etwas Fantasie nicht als eine Art Büne Huber von Hamburg sehen?
Doch da ist natürlich zuerst einmal die Position auf dem Platz. Sobiech ist als Innenverteidiger so etwas wie der natürliche Feind von Zentrumsstürmer Hoarau. Vor allem aber stellt Sobiech mit fest: «Thees wollte mal, dass ich mich mit ihm auf eine Bühne stelle. Aber da hätten die Zuschauer wohl eher nicht so viel Freude gehabt.»
Das klaffende Loch
Auf das Duett mit Faber wird Zürich also vergebens warten. Aber auch so bringt dieser 29-jährige Deutsche vieles mit. Ist es vielleicht sogar genug, um ihn zu jenem Spieler zu machen, auf den der FCZ seit Jahren wartet und hofft? Denn es ist ja verrückt: Bei den Zürchern klafft da immer noch diese riesige Lücke, die Hannu Tihinen mit seinem Rücktritt im Juli 2010 hinterlassen hat. Als Innenverteidiger. Und als Persönlichkeit, das vor allem.
Beim FCZ sind sie sich recht sicher, dass sie in Sobiech nun die Leaderfigur gefunden haben, die dem Team fehlt. Dabei können natürlich 196 cm Körperlänge und ein gerader Rücken helfen.
Gegen YB dauert es nur ein paar Minuten, ehe Sobiech klarmacht, wofür er im Zürcher Dress stehen will: Mit Wucht rennt er den Berner Felix Mambimbi um. Danach steht er mit breiter Brust vor dem Gegenspieler. Eine Art Gandalf des FCZ, der mit seiner ganzen Körpersprache ausdrückt: «Du kommst hier nicht durch!»
Das ist das Spiel von Sobiech. Ganz ehrlich sagt er: «Ich bin jetzt nicht der typische Dribbler.» Aber das ist es ja auch nicht, was dem FCZ in den letzten Saisons gefehlt hat. Den Zürchern mangelt es nicht an technisch feinen Spielern. Sie brauchen jemanden wie Sobiech.
Der mag es körperlich, sucht das direkte Duell mit dem Gegenspieler: «Und ich weiss, dass sich positive Aggressivität auf die Mitspieler überträgt.» In der ersten Runde haben nur drei Spieler in der Super League mehr Zweikämpfe bestritten als er. Keiner ist in mehr Luftduelle gestiegen.
Mit Flüchtlingen und Hartz IV
Vor allem wirkt Sobiech wie einer, der tatsächlich zu einem Führungsspieler werden kann. Zunächst einmal, weil ihm das auf dem Feld schlicht liegt. Er mag es nicht nur, seine Mitspieler zu organisieren: «Ich brauche das für mein Spiel.»
Und dann bringt er auch eine Art von Empathie mit, die ihm helfen könnte, eine Figur zu werden, die über den Rasen hinausstrahlt. Sobiech ist im Ruhrpott in einer Lehrerfamilie aufgewachsen. Die hat ihn nicht nur sanft in Richtung Abitur geleitet. Seine Eltern haben ihm auch mitgegeben, dass sich vieles im Leben schon damit entscheidet, in welche Familie man geboren wird: «Also sollten die, die Glück hatten, sich für jene einsetzen, die weniger Glück hatten.»
Für Sobiech bedeutet das, dass er sich für eine Fussballschule in Südafrika einsetzt und ein Göttikind in Kenia hat. Er hat in Hamburg in einem Zelt für Flüchtende übernachtet. Und vor zwei Jahren gab er einen Monat lang nur so viel Geld aus, wie ihm zustehen würde, wenn er mit Hartz IV durchkommen müsste – der deutschen Minimalvariante des Arbeitslosengeldes. Einfach, um mal wieder aus seiner Fussballerblase zu kommen.
Viel hat nicht gefehlt – und Lasse Sobiech wäre gar nie richtig in dieser Blase gelandet. Just in den Tagen, in denen Captain Tihinen im Sommer 2010 den FCZ verlässt, fährt in Hamburg ein Schiff ins Bein des damals 19-jährigen Sobiech.
Das ist einerseits Pech. Wie vielen Menschen, die ihre Füsse in die Alster baumeln lassen, fährt schon ein Ausflugsdampfer mit dem Namen «Schleusenwärter S.C.» in den Unterschenkel? Andererseits hat Sobiech riesiges Glück, dass er einen Monat später seine Zehen wieder bewegen kann. «Zum Glück hatte das Boot einen Gummiring rundum. Sonst hätte es mir auch das Bein abtrennen können», erzählt er.
So kostet ihn sein Dösen in der Hamburger Sonne nicht gleich die Karriere. Aber vielleicht die Chance, wenigstens zu einem Einsatz bei seinem Jugendclub zu kommen. Sobiech verpasst einen Teil der Saisonvorbereitung von Borussia Dortmund, das danach unter Jürgen Klopp zur Meisterschaft stürmt.
Meisterfeier mit Klopp
Die Meisterfeier hat er mitgemacht: «Und eine Medaille habe ich auch.» Über die Ersatzbank hinaus hat es ihm beim BVB aber nie gereicht. Er selbst nennt sich darum nicht Meister, sondern sagt: «Ich war dabei, als Borussia Meister geworden ist.»
Die Karriere hat Sobiech danach nicht in die ganz grossen Teams geführt. Jung kickt er eine Saison mit Fürth in der Bundesliga. Er kommt auf zehn Einsätze beim HSV. Vor allem aber ist er in der 2. Bundesliga unterwegs. Fünf Jahre bei St. Pauli, dem selbst ernannten Gegenentwurf zum Kommerzfussball. Später steigt er mit Köln auf, hat dann aber keinen Platz mehr im Kader.
Zum FCZ ist er vorerst bloss für eine Saison ausgeliehen. Die Wohnung in Köln hat er trotzdem aufgegeben. Seine Freundin sucht in Zürich einen Job im Marketingbereich. Zürich und Lasse Sobiech – vielleicht wird das ja eine längere Beziehung.
Florian Raz