Kollegah hat geschrieben:https://m.tagesanzeiger.ch/articles/26588176
Kann jemand den Artikel über Tosin posten? Danke!
Et voila:
Die Geschichte beginnt in Benin, und sie handelt von einem jungen Mann, der als Bub auf der Strasse kickte und gut war. Und der sich wünschte, dass sein Vater ihm zugeschaut hätte, was er mit dem Ball alles anstellen kann, wie er Tore schiesst und jubelt. Aber der Vater liess sich nie blicken, er sagte dem Sohn: «Wenn du einmal in Europa spielst, reise ich zu dir.»
Aiyegun heisst der Bub, Tosin mit Nachname, ein Nigerianer, der im benachbarten Benin aufwächst. Seine Mutter stammt von dort. Zwei Brüder hat er, eine Schwester, er lernt, mit wenig auszukommen, aber er hat grosse Träume. Er ist damit nicht allein in Afrika, und doch sieht er keinen Grund, sich ausreden zu lassen, dass er eines Tages mit Fussball so viel Geld verdient, um auch der Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Er bewundert Xavi und den FC Barcelona, und er setzt sich in den Kopf: «Ich muss es schaffen.»
Tosin erzählt, er ist jetzt nicht mehr in Benin, sondern in der Südtürkei, der 21-Jährige sitzt in der Lobby eines Hotels am Strand von Lara bei Antalya. Er ist Stürmer des FC Zürich, hat einen Vertrag bis 2023 und einen Lohn, der hoch genug ist, um seiner Mutter ein schönes Auto zu kaufen und in seiner westafrikanischen Heimat ein Haus zu bauen. Tosin kommt gerade vom Training, und eigentlich ruht er sich selten aus. Er sagt: «Ich habe nie frei, ich will das nicht. Weil mein Weg nicht zu Ende ist. Mein Hunger ist noch lange nicht gestillt.»
«Tosin hat einen Instinkt, den man so nicht erlernen kann.»Ludovic Magnin, FCZ-Trainer
Als Kind hat Tosin keine Möglichkeit, in einem Club zu spielen. Mit Kollegen bildet er eine Mannschaft, manchmal finden Turniere statt, und der Sieger erhält Medaillen. Tosin fällt Spähern auf, er soll gefördert werden. In der BES Academy von Cotonou bekommt er einen Platz, entwickelt sich gut und verlässt bald als Teenager seine vertraute Umgebung in Benin. Mit 16 zieht er nach Nigeria, um in der Akademie Real Sapphire weiterzulernen. Dort, in Lagos, herrschen strenge Sitten. Wer den Ansprüchen nicht genügt, muss gehen. Wer ein vielversprechendes Talent ist, wird vielleicht mit einem Flugticket nach Europa belohnt.
Tosin ist einer dieser jungen Fussballer, die der Akademie Ansehen und Geld eintragen können. Und darum einer der Auserwählten.
Einen Tag vergisst er nie
Es ist der 25. Juli 2016, als er aufbricht, das Datum wird er nie vergessen. Berlin ist das Ziel, aber bevor die Reise losgeht, erhält er eine traurige Nachricht: Sein Vater, der krank war, ist gestorben. Aiyegun Tosin ringt mit sich, ihn quälen Gedanken: Was soll ich tun? Daheim bleiben bis nach der Beerdigung? Bekomme ich noch einmal ein Flugticket, noch einmal eine Chance? Gefährdet es vielleicht die Karriere? Und hat nicht der Vater ihm immer gesagt, er solle mit aller Konsequenz seinen Weg gehen?
«Mein Vater hat mir beigebracht, stark und mutig zu sein.»Aiyegun Tosin
Er spürt die Unterstützung seiner Familie, seiner Mutter, sie sind stolz, dass er es überhaupt so weit gebracht hat, dass er in Deutschland erwartet wird. Also geht er. Mit 18 Jahren. Und tausend Gedanken im Kopf. Er ist Teil einer Gruppe, in der sich alle danach sehnen, einen Vertrag zu erhalten. Irgendwo. Sechs Monate ist sein Visum gültig. In dieser Zeit muss es mit dem Durchbruch klappen.
Er trainiert in Berlin bei Rathenow, einem Amateurclub und tastet sich langsam an einen anderen Alltag heran, eine neue Mentalität, er sagt: «Ich musste zuerst erleben, wie das in Europa eigentlich ist.» Nach einem Monat hat der Agent der Akademie aus Nigeria eine neue Destination: Malta. Dort fängt das Spiel von vorne an: trainieren, sich aufdrängen, hoffen. Am Schluss: wieder nichts. Aber aufgeben? Niemals! Tosin hat ja einen Traum, und er erinnert sich oft an seinen Vater: «Er hat mir beigebracht, stark und mutig zu sein.»
Seit August ist Tosin Vater
Die nächste Station ist die Slowakei, Tosin bleibt für ein paar Wochen dort. Und er denkt sich auch nicht viel, als der Manager ihm mitteilt, nun sei Lettland an der Reihe. Lettland – wo auch immer das ist. Die meisten seiner Kollegen, die mit ihm im Sommer nach Deutschland geflogen waren, sind gescheitert und längst wieder in Afrika.
Ende 2016 ist das. Aber für Tosin beginnt ein guter Abschnitt bei FK Ventspils. Die Kälte im Winter setzt ihm zwar zu, aber er leidet nur wegen der Temperaturen. Heimweh kennt er nicht, er schätzt die Schönheiten der Hafenstadt, und vor allem hat er jetzt einen Vertrag. Endlich. Er ist ein kräftiger, schneller Mann, und bald ein wichtiger Faktor in der Mannschaft.
Am 14. Dezember gegen den FC St. Gallen erzielte Tosin sein drittes Tor für die Zürcher. (Bild: Keystone)
Im April 2019 wird der FCZ auf ihn aufmerksam, wartet aber bis Anfang September, bis er rund 300 000 Franken nach Lettland überweist und Tosin bekommt. Die Schweiz also. Wieder etwas Neues. Aber das spielt für ihn keine Rolle. Er zieht nach Zürich mit seiner Frau, einer Lettin, am 5. August werden sie Eltern einer Tochter. Tosin wohnt in der Stadt, unweit von Sportchef Thomas Bickel, und gewöhnt sich rasch an die neue Umgebung.
Tosin ist Offensivspieler, zu Spektakulärem fähig wie Ende Oktober beim 3:2 gegen Basel. Er ist meistens am Flügel unterwegs, und er hat einen Instinkt, «den man so nicht erlernen kann», sagt sein Trainer Ludovic Magnin: «Aiyegun hat den Fussball im Blut.» Und: «Er ist respektvoll im Umgang mit seinen Mitmenschen und dankbar für die Chance, die wir ihm gegeben haben.» Tosin will nicht enttäuschen, nicht seine Familie, nicht die Leute beim FCZ. Er lernt Deutsch und hält es für seine Pflicht, auch dann zu arbeiten, wenn der Trainer den Spielern eine Pause gibt. Eifrig ist er immer schon gewesen, wenn es um Fussball geht. Aber er ist noch disziplinierter geworden, «ein halber Europäer», sagt er. Und grinst zufrieden.
Bickels schöne Prognose
Für den FCZ hat er bis jetzt drei Tore erzielt, das erste gleich bei seinem Debüt in der 7. Runde gegen Thun. 2020 sollen ganz viele dazukommen. Thomas Bickel erwartet «den nächsten Schritt». Der Sportchef sieht den Spieler immer noch in der Ausbildung, «aber wenn er so weitermacht, ist er einer für die Bundesliga». Es wäre eine dieser Bühnen, von denen der kleine Aiyegun in seiner Kindheit geträumt hat. Und würde seiner Geschichte fast einen kitschigen Anstrich geben.