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Der FCZ-Trainer Ludovic Magnin ist der Wutbürger des Schweizer FussballsDer Trainer Ludovic Magnin redet den FC Zürich grösser, als er ist – doch nun durchlebt er seine erste Identitätskrise im neuen Job.Samuel Burgener, Zürich
4.5.2019
Am Donnerstagmittag sitzt der Trainer Ludovic Magnin in der Saalsporthalle in Zürich, es ist die Pressekonferenz des FCZ vor dem Meisterschaftsspiel am Samstag in Basel. Magnin schwitzt im Gesicht, hustet, die Stimme krächzt. Er hatte Fieber in den vergangenen Tagen. Magnin ist angeschlagen. Körperlich. Und in seiner Funktion als Trainer.
Magnin spricht noch einmal über den Cup-Halbfinal gegen den FC Basel eine Woche zuvor. Er muss. Immer wieder hatte er während des Spiels den Schiedsrichter und den vierten Offiziellen kritisiert, immer wieder schrie er auf den Platz, fuchtelte und fluchte in der Coaching-Zone. Nach Spielschluss sagte er, der Schiedsrichter sei entscheidend gewesen für die Niederlage. Kurz darauf gab es Diskussionen in den Katakomben. Später ging Magnin aufs Äusserste: Er sprach dem Schiedsrichter die Unparteilichkeit ab.
Am Tag nach dem Spiel wurde Magnin von der Liga für drei Spiele gesperrt, weil er den Schiedsrichter als Betrüger bezeichnet haben soll. Und wohl auch, weil er Wiederholungstäter ist. Der FCZ kündigte einen Rekurs an. Später entschied er, darauf zu verzichten. Doch Magnin und der Klub wollen das Umschwenken nicht als Einsicht verstanden wissen. Magnin bestreitet die Vorwürfe bis heute. In der Saalsporthalle kommt er jetzt in Wallung, ballt die Hände zu Fäusten, sein Kopf wird rot, die Stimme laut. Magnin sagt: «Es ist unverhältnismässig.» Und er sagt auch: «Es gibt in der Schweiz die Meinungsfreiheit. Aber sie wird nicht wirklich gelebt.»
Die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr schrieb nach dem Cup-Spiel auf Facebook, Magnin hetze systematisch gegen Schiedsrichter und inszeniere sich am Spielfeldrand wie ein verwöhnter «Goof». Viele Leute pflichten ihr bei. Es entsteht eine Kluft zwischen der öffentlichen Wahrnehmung von Magnin und Magnins eigener Wahrnehmung. Magnin sieht sich im Recht und als Opfer der Schiedsrichter und der Liga. Die Umgebung sieht ihn mehr und mehr als Wutbürger des Schweizer Fussballs.
In der Geschichte um Magnin klaffen Innen- und Aussensicht im FC Zürich auseinander. Wie geht das alles zusammen? Wo liegt die Wahrheit? Und was macht das mit Magnin?
Die grosse Unberechenbarkeit
Magnin erlebt gerade die erste Identitätskrise der jungen Karriere als Trainer. Der FC Zürich ist nach GC das schlechteste Team der Rückrunde und hat nach GC die wenigsten Tore geschossen. Der Vorsprung auf den Barrage-Platz beträgt vier Punkte. Seit dem Stellenantritt Magnins im Februar 2018 sank das Team in der Meisterschaft ins Mittelmass ab. Kaum ein Spieler ist unter Magnin merklich besser geworden. Er hat kaum junge Spieler eingebaut. Magnin wollte unberechenbar sein und ist es geworden – im negativen Sinn. Oft bleibt verborgen, wie der FCZ eigentlich spielen will.
Der FC Zürich ist erstarrt. Doch die Erzählungen Magnins von schönem Fussball und einer offensiven Spielart halten den Klub auf eigenartige Weise in Bewegung. Magnin spricht in Interviews oft in Begriffen: Leidenschaft, Energie, Philosophie, Kreativität, Spektakel, Offensive, Systemwechsel, Ballbesitz. Magnin macht den FC Zürich mit seiner Rhetorik grösser, als er derzeit ist.
Magnin ist der Verstärker im Anspruchsdenken des FCZ. In den vergangenen fünfzehn Jahren war in der Schweiz nur Basel erfolgreicher als der FCZ. Die Meisterjahre mit dem Trainer Lucien Favre hängen nach, die leichte Art von Favres Fussball. Der Präsident Ancillo Canepa sieht den FCZ als Spitzenklub, und Magnin redet immer wieder über Favre, bezeichnet ihn als zweiten Vater, Mentor, Vorbild. Er erzählt von der gemeinsamen Zeit bei Echallens und Yverdon, von den Telefongesprächen. Magnin präsentiert die Freundschaft mit Favre wie andere eine teure Uhr.
Magnin weckt Sehnsucht und Phantasie
Magnin reiht sich ein in die grosse Vergangenheit des FCZ, weckt Sehnsucht und Phantasie, auch weil er Welscher ist. Die letzten Meistertrainer im FCZ waren Westschweizer: Daniel Jeandupeux, Lucien Favre, Bernard Challandes. Magnin verspricht tollen Fussball – und als Konsequenz daraus Erfolg. Beim Stellenantritt im Februar 2018 sagte er: «Ich will, dass mein Team taktisch perfekt agiert.» Und: Er sei da für die grossen Spiele.
Die grossen Spiele! Magnin startete im Februar 2018 schlecht in die Meisterschaft, aber gewann später den Cup-Final gegen YB. Im Herbst darauf fehlten ihm in der Liga wieder Punkte, doch in der Europa League besiegte er den Bundesligaklub Leverkusen und war nach vier Spielen für die Sechzehntelfinals qualifiziert. In der Rückrunde stolperte er vor sich hin, doch er siegte, als es wirklich brenzlig wurde: gegen GC, Xamax und vor einer Woche gegen den FC Sion.
Magnin wird von diesen Siegen getragen. Er behauptete monatelang, sein Team sei so stark, wie es beim Sieg gegen Leverkusen gespielt habe. Doch Magnin verkannte die Realität. Dem FCZ fehlen ein überragender Goalie, ein souveräner Abwehrchef, ein Stratege im Mittelfeld und ein Stürmer, der regelmässig trifft. Die Hierarchie im Team ist flach. Der Captain Kevin Rüegg ist 20 Jahre alt und überfordert, wenn er sich zur Krise äussern soll. Erst jüngst sagte Magnin, dass das Leverkusen-Spiel wohl ein Ausschlag nach oben gewesen sei.
Der FCZ und Magnin: Eine hochemotionale Bindung
Der FC Zürich und Magnin haben den Anspruch, mehr zu sein als Teams wie Luzern, Lugano, St. Gallen, Sitten, Thun oder Xamax. Doch es bleibt offen, worauf der Anspruch gründet ausser auf der Historie. Der FCZ hat nach 31 Spielen ungefähr gleich viele Punkte wie alle diese Teams, nur 37. Er ist Teil der Masse in der Super League, ohne Alleinstellungsmerkmal – mit Ausnahme der Rhetorik von Magnin, die so viel beschwört.
Der FCZ und Magnin sind eine hochemotionale Bindung. Magnin ist eine Erscheinung, archaisch, kraftvoll. Es hat etwas Beeindruckendes, wie er dasteht an der Seitenlinie, als zornige Version der Comic-Figur Tintin, mit dem athletischen Körper, dem geröteten Gesicht und den letzten roten Haaren, die unbändig sind wie er selber. Magnin verrenkt sich an der Seitenlinie, leidet. Es scheint, als bewege er sich permanent am Limit oder darüber hinaus. Manchmal scheint ihm alles zu entgleiten.
Magnin beklagt ständig die Umstände auf dem Platz. Er sagte in dieser Saison mehrfach, es brauche den Videoschiedsrichter. Es war immer eine Kritik an den Schiedsrichtern. Beim 0:2 gegen Basel Anfang April schrie Magnin so oft auf das Feld, dass er nach dem Spiel heiser war und die Medienkonferenz auslassen musste. Die Liga hatte Magnin bereits im Sommer auf sein Verhalten an der Seitenlinie hingewiesen. Einmal sagte Magnin, er habe ein Foul aus 500 Metern gesehen. Das Flapsige gehört bei ihm zum Paket. Der FCZ duldet es.
Magnin schreitet selbstsicher durch die Krise
Magnin erklärt sich stets mit seinem Wesen. Dass er sei, wie er sei. Dass er sich verbessern, aber nicht ändern könne. Er sei ausgestattet mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den er als Spieler auf dem Platz habe ausleben können. Und der ihn jetzt ausrasten lasse. Von aussen wirkt es manchmal einfach, als handle es sich um ein Anstandsproblem.
Magnin bezeichnet sich oft als «ein bisschen verrückt», und dieses Verrücktsein ist bei ihm immer positiv konnotiert. Auf den Vorwurf hin, er sei zu emotional, verweist er auf die grossen Trainer Jürgen Klopp, Diego Simeone, Josep Guardiola. Sie seien ebenfalls emotional. Eine Lehrerin hatte bei Magnin einst ins Zeugnis geschrieben, er sei ein guter Sportler, aber ein schlechter Verlierer.
Einmal sagte Magnin nach einem Spiel: «Ich sage nichts zum Schiedsrichter. Sonst bin ich wieder der Böse.» Es ist der Zynismus der scheinbar Benachteiligten, die Sprache des Präsidenten Canepa, der ständig Angriffe wittert. Magnin und Canepa sind befreundet und sich ähnlich in ihrem Furor. Sie sind die Aushängeschilder eines widerborstigen FCZ.
Und: Magnin und Canepa sind umstellt von ihresgleichen. Der Assistenztrainer René van Eck ist Magnin ähnlich, energetisch, wild, forsch, ein Outlaw der Szene. Der beste Spieler Benjamin Kololli zertrümmerte im Herbst die Scheibe einer Spielerbank mit blosser Faust, weil er ausgewechselt worden war. Der designierte Führungsspieler Adrian Winter brannte nach dem Cup-Sieg vor einem Jahr vor aller Augen eine Pyro-Fackel ab.
In dieser Umgebung schreitet Magnin selbstsicher durch die Krise. Er ist der Zögling von Ancillo und Heliane Canepa. Das Engagement wurde als langfristig angepriesen. Magnin legitimiert sich auch durch die Zeit als Nationalspieler in der erfolgreichen Ära des Trainers Jakob Kuhn und über die Meistertitel in der Bundesliga mit Werder Bremen und dem VfB Stuttgart. Er hat im FCZ eine Jobgarantie, auch für die Challenge League.
Die Güte der Medien
Magnins starke Position hat auch mit dem Wohlwollen der Medien zu tun. Er kennt viele Journalisten seit langem, begrüsst sie per Handschlag. Er bedient das Bedürfnis nach Originalität im durchgestylten Fussballbetrieb, bietet immer auch Zirkus und Folklore. Er nimmt die Menschen für sich ein. Er ist offen, ehrlich, wird als authentisch dargestellt – anders als der propere Gerardo Seoane bei YB, der coole Murat Yakin in Sitten, der sachliche Marcel Koller bei Basel.
Magnin unterhält den Schweizer Fussballbetrieb. Kein Trainer ist in den vergangenen zwölf Monaten öfter erwähnt worden. Magnin weiss immer eine Geschichte zu erzählen. Er zitiert den Kollegen Urs Fischer und den Autobauer Henry Ford, er erinnert sich an seine Zeit in der Bundesliga und an seine vielen Jugendstreiche. Er schwärmt vom FC Barcelona der 1990er Jahre mit Hristo Stoitschkow und Romario. Vor dem Meisterschaftsspiel gegen Basel Anfang April behauptete er, sein Team spiele schwach, weil er an der Seitenlinie zu ruhig geworden sei.
Manchmal wirkt es, als hangle sich Magnin mit Anekdoten und Parabeln durch die schwierige Zeit.
Im Spätherbst wurde Magnin von grossen Schweizer Zeitungen als Nationaltrainer protegiert oder für die Bundesliga empfohlen. Er wolle vorerst beim FCZ bleiben, sagte Magnin.
Magnin erzählt oft, wie sehr ihm der FCZ am Herzen liege. Doch seine Beziehung zum Klub ist ambivalent. Als er als Spieler vom VfB Stuttgart zum FC Zürich wechselte, wollte er zur Kultfigur werden, doch er spielte wenig, wurde für seinen hohen Lohn kritisiert.
Was Magnins Stärken sind, ist im Spiel des FCZ nicht zu erkennen
Heute irritiert Magnin viele Fans, die sozial engagiert sind und politisch links stehen. Jüngst erzählte er, wie er nach der Spielerkarriere den Job als Hausmann nach zwei Wochen hinschmiss und seiner Frau sagte, er müsse wieder auf den Platz. Er sagt oft, dass man mit harter Arbeit alles erreichen könne. Und er sagt, wer den Kopf in den Sand stecke, lande mit vielen Medikamenten in einer Klinik. Solche Aussagen missfallen den Fans, weil sie von einem Mann kommen, der gesund ist, sich beruflich verwirklicht und gut verdient.
In diesem Strudel durchlebt Magnin die Bewährungsprobe als Trainer. Es fällt ihm zurzeit schwer, darin etwas Gutes zu sehen. Es ist offensichtlich geworden, dass ihm seine Emotionalität als Trainer zur Schwäche werden kann. Doch was seine Stärken sind, ist am Spiel des FC Zürich nicht zu erkennen.
Es wirkt manchmal, als müsse Magnin etwas nachholen. Schon als Spieler hatte er kompensieren müssen, besonders in Deutschland. Seine anfänglichen körperlichen Schwächen, die mangelhafte Technik, den Umstand, dass er Schweizer ist. Und ein bisschen auch sein Äusseres, über das sich die deutschen Medien belustigt haben. Der feuerrote Kopf, die roten Haare, der schlaksige Körper.
Magnin hat aus der Position des vermeintlich Schwachen immer Kraft geschöpft. Sein Wille und seine Ausdauer wirkten gegen Widerstände – und Magnin war stolz darauf. Heute ist er es, der permanent die Schiedsrichter attackiert, die Schwächsten im Umzug. Und in diesem Kontext verliert er an Glaubwürdigkeit.
Und so steht sich Magnin auch selber im Weg. Er wirkt manchmal, als misstraue er sich selber. Als fürchte er sich davor, ohne seine Impulsivität nicht bestehen zu können. Unruhe bedeutet immer auch Unsicherheit. Dabei wird Magnin oft gelobt: für sein taktisches Können, für sein Gespür für Menschen und Dynamiken, für Ehrgeiz und Courage, für Humor und Grosszügigkeit.
Magnin hat in der Saalsporthalle auch leise Momente. Einmal sagt er, er sei ein junger Trainer und müsse lernen, seine Emotionen zu kanalisieren. Doch Sekunden später kehrt alles um, und Magnin sagt, die Liga wolle ihn erziehen. Man begegne ihm mit Vorurteilen. Er werde wie ein Dieb behandelt, der einmal gestohlen habe und nun kein Vertrauen mehr erhalte.
Das ist die Sicht von Magnin, die Sicht des FCZ, die Sicht von innen.
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