Beitragvon schwizermeischterfcz » 14.04.18 @ 9:28
Gutes Interview von Magnin in der NZZ:
Ludovic Magnin: «Die Jungen heute haben kein Leben mehr»
Der FCZ-Trainer Ludovic Magnin setzt auf Ehrlichkeit und gibt den Spielern Freiheit. Er sagt, sie lernten gerade, damit umzugehen. Lucien Favre wiederum spielt eine wichtige Rolle für Magnin.
Christine Steffen, Michele Coviello
14.4.2018, 08:00 Uhr
Der FCZ hatte wieder eine turbulente Saison, er blieb unter den Erwartungen. Was fehlt ihm?
Ich bin überrascht über diese Aussage. Wir sind Aufsteiger, die Leute vergessen das manchmal. Aber natürlich ist es nicht unser Anspruch, irgendwo im Mittelfeld zu landen. Wenn wir gute Transfers machen können, müssen wir uns im nächsten Jahr hinter den beiden Schwergewichten YB und Basel als dritte Kraft etablieren, dann «step by step» den einen überholen und am Ende den anderen vom Thron holen.
Das tönt nach einem einfachen Plan.
Ja, nur ist der Fussball nicht berechenbar. Wir bilden junge Spieler aus, und dann, wenn sie bereit wären für den Kampf um den Titel, müssen wir sie vielleicht verkaufen. Nüchtern betrachtet, ist es so: Wir können nicht alle Jungen behalten, wenn sie leistungsmässig überzeugen. Entweder helfen sie uns, einen Titel zu gewinnen, oder sie bringen uns Geld. Wir können den lukrativen Angeboten aus den grossen Ligen nur begegnen, indem wir den Jungen versichern, dass sie eine Chance haben zu spielen. Es ist nicht damit getan, dass sie in der ersten Mannschaft trainieren dürfen – das können sie auch in der Bundesliga oder in England.
Ludovic Magnin
cen. · Der knapp 40-Jährige beendete seine aktive Karriere 2012 im FCZ. Zuvor hatte Magnin acht Jahre in der Bundesliga gespielt. Entdeckt und gefördert hat ihn Lucien Favre in Echallens. Der Verteidiger hat 62 Einsätze für die Nationalmannschaft absolviert. Nach seinem Rücktritt begann er in der FCZ-Academy die Trainerausbildung. Im Sommer 2016 wurde er als Coach mit der U 18 Schweizer Meister. Als der FCZ 2016 den Cup gewann, assistierte er im Final dem Cheftrainer Uli Forte, den er im Februar als Cheftrainer ablöste. Er ist daran, seine Trainerausbildung mit der Uefa-Pro-Lizenz abzuschliessen.
In den letzten Spielen kamen viele Junge zum Einsatz. Warum dieser grosse Umbruch in so kurzer Zeit?
Ich kenne die jungen Spieler in- und auswendig und weiss, was sie können. Ich muss mich nicht zwingen, sie einzusetzen. Einen Freipass haben sie trotzdem nicht. Wenn aber ein Junger so stark ist wie ein Älterer, ziehe ich den Jungen vor. So haben meine Trainer mit mir gearbeitet, ich fand das fair und logisch. In der Schweiz hat man immer Angst, die Jungen zu verheizen. In Mailand haben sie einen Goalie mit 17 spielen lassen. Ich bin froh, hat mich Lucien Favre mit 17 ins kalte Wasser geworfen, auch wenn jeder gedacht hat, ich hätte keine Muskeln und sei nicht bereit.
So ein Umbau muss auch Probleme mit sich bringen.
Die Kunst ist, dass die Jungen verstehen, dass sie keinen Freipass haben, weil sie denken, sie kennen mich aus der Juniorenzeit. Und die Älteren dürfen nicht glauben, dass die Jungen alles machen können, nur weil Magnin der Cheftrainer ist. Ich erwarte von den jüngeren Spielern, dass sie keinen Respekt haben vor den Älteren auf dem Platz. In der Kabine hingegen sollen sie einen Riesenrespekt haben, sie gehört den älteren Spielern.
Es ist der Wunsch des Präsidenten, dass die Jungen spielen. Wie wichtig ist das?
Ich bin seit acht Jahren im Verein und habe oft mit dem Präsidentenpaar über Fussball geredet. Der Präsident hat mich unter anderem wohl auch gewählt, weil wir die gleiche Vorstellung haben, wie man den Verein weiterbringt. Es gibt viele Menschen, die eine grosse Klappe haben, aber wenn sie in eine gewisse Position kommen, machen sie es wie alle anderen. Wenn ich etwas mitnehme von den Gesprächen mit Trainern, vor allem natürlich mit Lucien Favre, dann das: «Mach es nach deinem Gefühl, mach es, wie es für dich richtig ist. Lieber wirst du entlassen, weil du deine Idee verfolgst, als die Wünsche des Präsidenten oder des Sportdirektors zu erfüllen. Das verlängert nur deine Anstellung um vier Wochen.»
Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Präsidentenpaar beschreiben?
Ehrlich. In den acht Jahren, die ich im Verein bin, hatten wir auch Phasen, in denen wir uns überhaupt nicht einig waren. Als ich die Spielerkarriere beendete, sagte ich, was ich über die Mannschaft dachte. Hätten wir damals nicht schon diesen gegenseitigen Respekt gehabt, wäre es zur Trennung gekommen. Ich bin ihnen dankbar, dass ich als junger Trainer diese Chance erhalten habe.
Es ist auffällig, wie ehrlich Sie sind, auch nach den Spielen. Sie sagen unumwunden, was Sie schlecht fanden. Machen Sie das bewusst so?
So bin ich. Wir müssen die Menschen nicht für dumm verkaufen. Es sind Tausende im Stadion anwesend oder verfolgen das Spiel im Fernsehen. Soll ich sagen, wir hätten super gespielt, wenn das nicht der Fall gewesen ist? Ich kenne das aus meiner Aktivzeit, wenn einer nur Floskeln benutzt – das will ich nicht.
Wenn man ehrlich ist, macht man sich auch angreifbar. Ist Ihnen das egal?
Entweder man mag mich oder nicht. Ich selber habe auch Mühe mit dem Mittelmass, mit politischer Korrektheit und solchen Dingen. Das ist nicht meine Stärke.
Müssen Sie sich nicht etwas anpassen? Die Bühne ist grösser als in der U 21.
Mit allem Respekt, wer zehn Jahre in Deutschland gespielt hat, weiss, dass die Bühne in der Schweiz nicht so gross ist. Unmittelbar nach dem Spiel gehe ich zusammen mit unserem Medienchef in die Kabine. Das beruhigt. Dann gehe ich raus und kann ehrlich sein, ohne Emotionen. Wenn ich kritisiere, dann gesamthaft. Ich mache keine Einzelkritik, das fand ich als Spieler schlimm, wenn dir der Trainer nach der Partie noch einen reinwürgt. Die Spieler sind zuerst einmal Menschen, und der Fussball ist ein Spiel. Das vergisst man hin und wieder.
Sie haben mit René van Eck einen Assistenten, der genauso emotional ist wie Sie. Ist diese Mischung gut?
Davon bin ich überzeugt. Ich habe in der Ausbildung auch gehört, dass ich einen Assistenten brauche, der das Gegenteil sei von mir, der mich beruhige. Warum? Das Gegenteil von mir ist einer, der keinen Ton sagt. Das passt nicht, wenn ich einen dynamischen, leidenschaftlichen Fussball will.
Sie sind zwei Charakterköpfe.
Das erwarten wir auch von unserer Mannschaft. Wäre die Mannschaft charakterlich das Spiegelbild der Trainer, wären wir zufrieden. Unsere Karrieren basieren auf Arbeit.
Sie haben einmal gesagt, alle Spieler heute seien so brav. Ist das so?
Ja.
Darum braucht es Sie und van Eck.
Wir sind einfach herzliche Menschen. Mit uns kann man lustig sein, wir können mit den Spielern jubeln und sie auch einmal umarmen. Aber wenn es schlecht läuft, sind wir die Ersten, die hart reagieren.
Wie grenzen Sie sich von den Spielern ab?
Ich grenze mich nicht ab.
Aber Sie müssen eine Autorität sein.
Verliere ich meine Autorität, wenn ich glücklich bin und dies zeige? Für mich ist ein guter Trainer einer, der mit der Distanz spielen kann. Du musst spüren, wenn ein Spieler mehr Nähe braucht. Ein anderer hingegen braucht vielleicht einen Klaps, der dritte einen Vater. Die Spieler müssen mich mögen und respektieren, wie ich bin, wenn wir weiterkommen wollen.
Sie haben auch schon bedauert, dass in der Ausbildung der Jungen die Individualität abtrainiert wird, dass sie nicht mehr dribbeln dürfen und am Ende alle gleich sind. Wie wollen Sie die Kreativität fördern?
Das macht mir Sorgen. Die Jungen heute haben kein Leben mehr. Nur Fussball und Schule. Doch die Persönlichkeit entwickelt sich auch ausserhalb dieser zwei Gebiete. Die Jungen können sich heute nichts mehr erlauben, überall sind Handys, sofort kursieren Bilder. Wenn ich mich erinnere, was ich alles gemacht habe . . . Oder meine Kinder: Wenn ich zu Hause Theater gemacht habe, wurde ich nach draussen geschickt. Wenn ich heute meine Kinder nach draussen schicke, reklamieren die Nachbarn wegen des Lärms. Auch die Spieler haben zu wenig Zeit und Gelegenheit, um Kinder und Jugendliche zu sein.
Wie bringen Sie den Jungen das Verrückte bei?
Ein Beispiel: Bei mir gibt es in der Kabine keine einzige Regel.
Keine Regeln? Dann hantieren die Spieler mit dem Handy, so viel sie wollen?
Sie müssen das selber regeln. Was ich vorgebe, sind Werte. Es sind die gleichen wie bei mir zu Hause: Respekt, Solidarität, Anstand. Meine Leitplanken sind nicht eng: Ein 18-Jähriger muss selber überlegen, wie er sich verhalten will. Der gesunde Menschenverstand sagt einem doch, dass das Handy in der Kabine eine Stunde ausgeschaltet sein kann. Man muss den Spielern die Möglichkeit geben, erwachsen zu sein. Ich hatte als Spieler mein ganzes Leben lang Bettruhe. Ich bin Familienvater, und ein Trainer sagt mir, wann ich ins Bett muss? Für mich zählt, was auf dem Platz passiert.
Können die Jungen mit dieser Freiheit umgehen?
Sie lernen es. Wenn sie schlecht spielen, sind sie draussen. Bussen bringen gar nichts. Aber wenn einer drei Wochen auf der Bank sitzt: Das wirkt. Das ist der einzige Hebel, den ein Trainer hat. Meine Spieler haben Freiheit. Aber wenn sich einer schlecht benimmt oder keine Leistung bringt, geht er in die U 21 oder auf die Tribüne.
Sie setzen auf Eigenverantwortung.
Ja. Noch ein Beispiel: Ich halte vor den Spielen keine lange Motivationsrede.
Sie halten keine Rede?
Doch. Aber man darf nicht übertreiben. Als ich aus der Bundesliga zurückkam und in einem Spiel gegen Bellinzona antreten musste, sprach der Trainer so, als sei es das Spiel meines Lebens. So verliert man die Glaubwürdigkeit. Manchmal muss man den Spielern auch einfach sagen: Wir sind die bessere Mannschaft, wir haben die besseren Einzelspieler, und wenn wir heute verlieren, sind wir selber schuld. Der Gegner ist schlechter. Punkt. Ich hatte Trainer, die mir vor dem Spiel gegen den Tabellenletzten das Gefühl gaben, ich spielte gegen Real Madrid. Das funktioniert für mich nicht.
Welche neuen Akzente wollen Sie im Spiel setzen?
Ich verlange von den Spielern, dass sie verschiedene taktische Varianten beherrschen. Am Anfang waren sie im Kopf damit überfordert. Und im Moment ist es noch einfacher, mit einem System zu spielen, da weiss jeder, was er zu tun hat. Langfristig müssen sie aber in der Lage sein, variabel zu spielen. Es ist mir lieber, sie beherrschen mehrere Systeme zu 95 Prozent als eines zu 100.
Wenn man Sie so sprechen hört, hört man auch Lucien Favre.
Das hoffe ich. Wir reden schliesslich stundenlang am Telefon. Er hat mich als Spieler geprägt und prägt mich heute als Trainer. Wenn ich jemanden kopieren möchte – auch wenn das nicht gut ist –, dann ist es sicher Lucien Favre.
Magnins Vorbild Lucien Favre. (Bild: Denis Tyrin / AP)
Magnins Vorbild Lucien Favre. (Bild: Denis Tyrin / AP)
Sprechen Sie mit ihm über Ihren Job hier?
Ja, aber wir reden auch über seinen Job.
Gibt er Ihnen Tipps?
Es ist anders: Es ist ein Austausch.
Kennt er die FCZ-Mannschaft?
Das ist nicht wichtig. Die Strategie, die Philosophie ist wichtig.
Sie wollen etwas verändern und aufbauen im FCZ. Doch Sie müssen auch Resultate liefern. Sie stehen auch unter Zeitdruck.
Die Punkteausbeute ist ungenügend und enttäuschend. Dessen bin ich mir bewusst, aber das ist im Moment zweitrangig. Es findet ein Prozess statt, ein enger Austausch mit der sportlichen Leitung und der Vereinsführung. Ich bin überzeugt, dass die Resultate kommen werden.
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