«Die Leidenschaft, die Motivation, das alles gehört zu mir»Auch wenn er bald 37 Jahre alt wird, brennt das Feuer weiter im Altmeister des FC Zürich – und das kann dann auch einmal bei einem TV-Interview ausbrechen. Thomas Schifferle
Besten Dank, Blerim Dzemaili.
Wofür?
Für das Pauseninterview, das Sie letzten Sonntag in St. Gallen dem TV-Sender Blue gaben.
Es ging ja nicht gegen den Schiedsrichter. Sondern es kam aus der Situation heraus.
Das Interview dauerte knapp 40 Sekunden, aber wie da die Emotionen aus Ihnen herausbrachen und Ihre Stimme fast überschlug, war beste Unterhaltung.Mir geht es um eines: Wir haben den Match im Griff und spielen eine super erste Halbzeit. St. Gallen hat eigentlich keine Chance, wir müssten vielleicht das 2:0 machen. Und dann kommt diese Situation, …
… als Mirlind Kryeziu den Ball gegen Randy Schneider verliert.
In vielen Fällen entscheidet man auf Foul für den Verteidiger, weil es sofort auch matchentscheidend sein kann. Vielleicht war der Schiedsrichter in dem Moment auch etwas beeinflusst, weil er eine halbe Minute vorher ein Foul für Aliti gepfiffen hatte, obwohl es keines war, und kam dann zu diesem Entscheid. In den Emotionen sagt man schnell etwas. Aber aus meiner Sicht habe ich nichts Schlimmes gesagt.
«Es ist lächerlich – der Schiedsrichter – es ist lächerlich», ist ein Zitat.Ich finde, man darf Entscheidungen von Schiedsrichtern kommentieren.
Die Liga hat ein Verfahren gegen Sie eingeleitet. Sie hätten kein Verständnis, wenn Sie dafür gesperrt würden?
Wofür? Sagen Sie mir etwas, was an dieser Aussage nicht korrekt war.
Es geht um diesen Satz. Oder darum: «Wir können nicht jedes Mal auch gegen den Schiedsrichter spielen.»
Meines Erachtens war der Entscheid nicht gerechtfertigt. Meine Aussage zielte auch nur darauf.
Die Situation lässt sich auch anders beurteilen. Kryeziu macht es nicht gut, dass er als hinterster Spieler in einen Zweikampf geht.
Es ist vorbei. Es ist alles gesagt.
In ein paar Tagen werden Sie 37 Jahre alt. Woher kommen bei Ihnen diese Emotionen?
Ich bin so, ich bin immer so gewesen, ich kann mich nicht ändern. Ob das jetzt meine letzten zwei Monate als Spieler sind oder ob nochmals eine Saison dazukommt, ich werde immer so bleiben. Ich gehe mit Emotionen auf den Platz, ich gehe mit Emotionen ins Training. Da diskutieren wir auch öfter, weil es mir immer ums Gewinnen geht. Das machte ich schon als 18-Jähriger und legte mich auch einmal mit einem an, der 30 war.
Sie können sich auch während eines Spiels immer wieder aufregen. Haben Sie hinterher manchmal das Gefühl, Sie hätten das zu sehr gemacht und deshalb die Konzentration verloren?
Nein, das nicht. Das nimmt mir eher Energie. In letzter Zeit hatte ich kaum noch Gelbe Karten. Aber wenn ich mein Verhalten nachher sehe, denke ich manchmal schon auch: Was hast du da für einen Blödsinn gemacht?
Am Ende der 40 Sekunden haben Sie auch gesagt …
… Achtung, jetzt kommt es.
Genau, da haben Sie gesagt: «Zum Glück habe ich nicht mehr lange.» Das tönt nach dem Rücktritt Ende Saison.
Das kann ja auch erst in einem Jahr sein.
Sie haben sich noch nicht entschieden?
Nein. Wir haben in diesem Jahr 17 Punkte gewonnen, nur YB hat zwei mehr. Trotzdem sind wir nur drei Punkte vom letzten Tabellenplatz weg. Deshalb will ich nicht über meine Zukunft reden. Im Moment ist mir wichtig, dass wir so schnell wie möglich aus dieser Situation herauskommen.
Als es dem FCZ im Herbst richtig schlecht ging, bedauerten Sie nie, dass Sie nach dem Meistertitel nicht aufgehört hatten?Nein, nie! Ich wusste, ich komme mit einer guten Physis wieder zurück. Und das ist auch so gekommen. Ich kann in der Rückrunde die Spiele problemlos bestreiten. Klar, wenn man Verletzungen hat, vor allem in dem Alter, in dem ich bin, denkt man schon ab und zu, ob nicht bald genug ist. Aber seit fünf Monaten (klopft dreimal auf den Tisch) habe ich absolut keine Probleme.
Was treibt Sie noch an? Die Leidenschaft für den Fussball? Die Beziehung zum FCZ?Alles, alles. Das Wichtigste überhaupt ist immer mein Verhältnis zum FCZ gewesen. Die Leute schauten mich schräg an, als ich sagte, ich komme zurück, um Erfolg zu haben (im Januar 2021). Ich bin so, die Leidenschaft, die Motivation, das gehört alles zu mir. Ich komme jedes Mal gern zum Training, auch wenn ich nach einem freien Tag auch schon gedacht habe, dass ich gern noch einen zweiten Tag frei hätte. Aber wenn ich auf dem Platz bin, ist alles gut, und ich habe Spass.
Wovon machen Sie Ihren Entscheid abhängig, ob Sie noch eine Saison anhängen wollen?
Von meinem Körper. Und von meiner mentalen Verfassung. Irgendwann komme ich an den Punkt, an dem ich mir sage: Auch ich habe ein Privatleben. Bei mir ist es so, dass mein Sohn nicht in der Nähe lebt, sondern im Moment in Spanien und ab Sommer wieder in Italien und dass ich gern mehr Zeit für ihn hätte. Viele Leute denken, wir Fussballer hätten ein super Leben. Ja, auch ich bin der Meinung, dass wir das schönste Leben haben. Aber wir müssen auch auf viel verzichten. Sei es nur schon darauf, einmal eine normale Woche zu haben: von Montag bis Freitag arbeiten und dann das Wochenende geniessen.
Wie alt ist der Kleine jetzt?Vor ein paar Tagen ist er acht geworden.
Und Sie haben ihm zum Geburtstag ein grosses Spielzeugauto geschenkt.
Diese Zeit ist vorbei. Für ihn gibt es nur eines: Fussball, Fussball, Fussball.
Wollen Sie Ihren Rücktritt auch darum so lange wie möglich hinauszögern, weil Sie noch so gern spielen und darum befürchten, Sie könnten zu früh aufhören?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe ein paar Sachen im Kopf, was ich später machen könnte. Ich freue mich auf das Leben nach dem Fussball. Irgendwann ist genug.
Ohne dass wir schon ein Abschiedsinterview führen: Wie fällt Ihre Bilanz nach 20 Jahren Spitzenfussball aus?Die Zeit in Italien war unglaublich, mit den beiden Cupsiegen mit Neapel (2012 und 2014). Ich durfte zehneinhalb Jahre in der Serie A spielen, ich machte über 30 Spiele pro Saison, war Captain oder sonst einer der wichtigen Spieler. Ich kann auf eine Karriere zurückblicken, die einfach schön gewesen ist. Nach meiner Verletzung beim FCZ, meinem Kreuzbandriss 2007, hätte ich niemals gedacht, dass sich das so entwickelt. Und dass ich mit dem FCZ nochmals den Meistertitel gewinnen konnte, macht mich glücklich. Wirklich.
Was ist denn dieser Club für Sie?Er hat mir ermöglicht, dass ich diese Karriere haben konnte. Als ich in die 1. Mannschaft kam, war das nicht einfach. Lucien Favre holte mich aus dem Nachwuchs hoch, förderte und unterstützte mich, auch an schlechten Tagen. Darum kam ich vor zwei Jahren zurück, auch aus Dankbarkeit. Klar, es war ein Risiko, es gab Druck, das wusste ich. Aber davor hatte ich keine Angst.
Wirklich nicht? Sie hätten auch scheitern können.
Ja, das hätte sein können. Das ändert doch nichts an dem, was ich international geleistet habe, nichts an meiner Karriere. Klar, mit dem Meistertitel ist es wie im Märchen herausgekommen.
Wenn danach nur nicht diese erste Saisonhälfte gewesen wäre.Sie war wirklich schlecht. Ein Meister darf sich so etwas nicht erlauben. Jetzt spielen wir eine gute Rückrunde. Und dass wir trotzdem nur drei Punkte Vorsprung auf den Letzten haben, zeigt die Ausgeglichenheit der Liga.
Was hat sich mit Bo Henriksen als Trainer geändert?
Er ist ein Mensch, der uns Spieler spüren kann, er weiss, wie er mit uns umgehen muss. Er hat das Menschliche wieder in die Mannschaft zurückgebracht, das hatte uns vorher ein wenig gefehlt. Fussballerisch wissen wir, was wir können, wir haben einfach einen gebraucht, der dafür sorgt, dass wir wieder an uns glauben: dass wir mit mehr Selbstvertrauen agieren, dass wir gegen jeden gewinnen können. Das macht dieser Trainer. Er ist ein sehr guter Motivator.
Wie muss ein Trainer mit Ihnen umgehen? Spielt das überhaupt noch eine Rolle?
Ich weiss selbst, dass ich nicht mehr jeden Match bestreiten kann. Das macht mein Körper gar nicht mehr mit.
Das haben Sie zuerst auch lernen müssen.Ich dachte Anfang Saison: Wenn ich 20, 25 Spiele mache, ist das für mich mehr als genug. Der Trainer weiss das.
Und wie soll er nun mit Ihnen umgehen?So wie mit jedem anderen auch. Es macht keinen Sinn, wenn man mich anders behandelt, weil ich jemand … Wie soll ich das jetzt sagen?
Weil Sie Dzemaili sind.Genau.
Die einen Spieler müssen mehr gehätschelt werden, die anderen brauchen manchmal Feuer unter dem Hintern. Wie ist das bei Ihnen?
Verhätscheln muss man mich nicht mehr. Ich habe eher immer Feuer gebraucht, man musste mich kritisieren, und wenn das der Fall war, war ich gereizt. Und dann holte ich das Optimum aus mir heraus. Oder ich ärgerte mich über einen Mitspieler oder einen Gegner. Dann war ich oft viel besser.
https://www.tagesanzeiger.ch/die-leiden ... 5092023826
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