Raffael - Grenzgänger auf der Neuneinhalb
Wenn Lucien Favre über das Wesen seiner Mannschaft doziert, geraten selbst ausgewiesene Fachleute oft ins Grübeln. Gern benutzt der Trainer des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin geheimnisvolle Vokabeln wie `polyvalent´, sobald er die Fähigkeiten von Neuzgängen erklären soll und meint damit deren Flexibilität. Ein inzwischen geflügeltes Wort ist auch `Neuneinhalb´, eine Position, die seit dem Rückrunden-Start der Brasilianer Raffael mit Erfolg ausfüllt. `Er kann Tore vorbereiten und schießen. Er spielt zwischen den Linien´, beschreibt Favre die Rolle von Raffael.
Weder passt zu ihm die Rückennummer neun als klassischer Mittelstürmer, noch die zehn als Regisseur. Deshalb ist er eine Neuneinhalb, Grenzgänger zwischen Mittelfeld und Angriff. Ein torgefährlicher Mittelfeldspieler, von deren Art es in der Bundesliga wenige gibt. In vier Spielen traf er zweimal und hat damit die Erwartungen erfüllt. Der 22 Jahre alte Brasilianer ist mit seinen 69 kg bei nur 1, 74 m Körpergröße ein Leichtgewicht und fiel bislang nicht durch besondere Zweikampfstärke auf. Seine Schusstechnik ist nicht brillant, und seine Flanken sind keineswegs berüchtigt.
Seine Stärken liegen woanders. Er ist flink und denkt ungemein schnell. Sein Siegtor gegen Arminia Bielefeld in letzter Sekunde zeigte dies. Vier Gegenspieler um ihn herum überlegten noch, was zu tun ist, da hatte er das Leder schon über die Torlinie gespitzelt. Er ist weder ein Modefreak wie Alex Alves, der selbst bei Minusgraden das Olympiastadion noch im Nadelstreifenanzug mit Einstecktuch verließ, noch ein Party-Löwe wie Marcelinho, der die Klub-Obrigkeit mit seinen nächtlichen Samba-Tänzen auf die Palme brachte.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wirkt Raffael wie ein Musterschüler. Der mit 4,5 Millionen Euro viertteuerste Neuzugang der Vereinsgeschichte genießt das zurückgezogene Leben mit seiner schwangeren Frau Jamilly. Mit seiner Torgefährlichkeit entlastet Raffael vor allem Marko Pantelic, der mit seinen Treffern die Hertha in der Hinrunde vor dem großen Absturz bewahrte. `Die Gegner konzentrieren sich jetzt nicht mehr nur auf mich, sondern müssen auch Raffael im Auge halten´, sagt Pantelic.
Der Serbe hält große Stücke auf seinen neuen Mitspieler: `Wenn er den Ball bekommt, dann weiß er, wohin er ihn weiterspielen muss.´ Des einen Freud, des anderen Leid. Im Gegensatz zu Raffael kommt der Brasilianer Andre Lima in Berlin überhaupt nicht zurecht. Der 22 jahre alte Angreifer, für den Hertha vor der Saison immerhin auch 3,5 Millionen Euro hinblätterte, schaffte zuletzt nicht mehr den Sprung in den Kader und rangiert auf dem Abstellgleis. Ein Beweis dafür, dass Berlin auch im Jahr 2008 längst noch nicht für alle Neuzugänge ein gutes Pflaster ist.
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