Beitragvon Friedrich » 24.05.07 @ 12:54
FACTS 21/2007, 24.05.07
Sport
«Ich kämpfe und leide, bis ich wieder spiele»
Beim Finale der Super League ist Kresimir Stanic zum Zuschauen verdammt. Aber der Stürmer des FC Zürich, der sich bei einem Autounfall schwer verletzte, gibt nicht auf: Er will auf den Platz zurück.
Von Kurt Brandenberger (Text) und Dan Cermak (Foto)
Er ist froh, dass die Saison zu Ende ist. Acht Monate ohne Fussball. Auf der Tribüne, wenn die Mannschaft spielte. Beim Arzt oder Therapeuten, wenn die Kollegen trainierten. Im Kraftraum statt am Ball. Ab Mitte Juni wird er wieder dabei sein und mit dem FC Zürich zur Vorbereitung der neuen Saison ins Engadin reisen. Endlich wieder leben. Endlich wieder Fussball spielen – hofft er. Die Hoffnung sei nicht unberechtigt, sagen die Mediziner. Prognosen darüber, ob Kresimir Stanics zertrümmerter Fussknochen die für den Spitzenfussball notwendige Beweglichkeit zurückgewinnt, wagen sie «zum jetzigen Zeitpunkt» nicht. Aber gewiss sei, dass der Weg zurück in den professionellen Fussball für den 22- jährigen FCZ-Stürmer «hart und lang» werde. Kommt hinzu, dass in der nächsten Saison die Konkurrenz um einen Platz im Sturm beim FCZ nach der Intergration des 17-jährigen Nachwuchsspielers Marco Schönbächler gross sein wird.
Krafttraining, Dauerlauf, Physiotherapie, dazwischen viel Ruhe und gesundes Essen im «Hotel Mama» – wo er ein Stockwerk über den Eltern zwei Zimmer bewohnt –, so sieht Stanics tägliches Rehabilitationsprogramm aus. Mit der Mannschaft hat er auf Anraten der Ärzte noch nicht trainiert. Das beim Unfall zerfetzte Bindegewebe, die Muskel- und Nervenstränge des Sprunggelenks heilten zwar gut, ertrügen aber noch keine Belastung und schon gar keine Schläge.
Ein Ende von Stanics Karriere wäre nach Meinung von FCZ-Trainer Lucien Favre nicht nur ein Schlag für die Mannschaft, sondern ein schwerer Verlust für den Schweizer Fussball: «Stanic ist vor dem Tor einer der Besten hier zu Lande. Er hat das Potenzial zum absoluten Ausnahmekönner. Sein Gespür für das Spiel ist fantastisch. Er ist schnell, kraftvoll und kopfballstark. Hätte er die schweren Verletzungen nicht gehabt, er wäre längst in der Nationalmannschaft.»
Und Lucien Favre, einer der herausragendsten Mittelfeldspieler, die die Schweiz je hatte, eine Primadonna, die sich das Tragen der Nummer 10 vertraglich zusichern liess und viele Jahre der bestverdienende Profi der Nationalliga A war, sagt noch: «Wenn ich es einem zutraue, dass er zurückkommt, dann Stanic.» Auch Favre war ein Spieler, der zurückkam: Nachdem ihn der Lausanne-Verteidiger Gabey Chapuisat mit gestreckten Beinen angegriffen und schwer verletzt hatte, spielte Favre noch sieben Jahre als Profi bei Servette und in der Nationalmannschaft.
«Gut, sehr gut», antwortet Kresimir Stanic auf die Frage, wie es ihm gehe dieser Tage. Auch nach einer Stunde Laufen in forschem Tempo spüre er nichts mehr von der Verletzung. Er zweifle nicht an seinem Comeback, «keine Sekunde». In den Gesprächen mit Stanic wird man aber das Gefühl nicht los, dass die Ungewissheit über die Zukunft als Fussballspieler an ihm nagt, dass ihn die Verletzung stärker plagt, als er zuzugeben bereit ist.
Klar, die geeignete Rolle, um alle Zweifel abzuwehren oder gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist jene des «cool man», eine Rolle, die Stanic bestens beherrscht. Mit seiner von Mèches durchzogenen Igelfrisur, dem giftig gelben Kapuzenpullover, den offenen Y-3-Schuhen, den modisch kurzen Hosen und dem Pokerface, das er aufsetzt, wenn er sich von Fragen bedrängt fühlt, zählt Stanic zu jener Gattung junger Stadtzürcher, die wissen, was angesagt ist, die «easy» drauf sind – auch wenn das manchmal ziemlich anstrengend sein muss.
Glück im Unglück
Dass er seit dem Unfall und dem Fahrausweisentzug mit Bus und Tram unterwegs ist statt im Geländewagen, mache ihm keine Mühe. Dass durch die Unfallversicherung die ärztliche Behandlung, der Spitalaufenthalt und die Lohnfortzahlung gedeckt seien, nennt Stanic «ein grosses Glück». Und die Kürzung des Monatslohns sei «null Problem», verdiene er doch noch immer «knapp 5000 Franken netto». Einzig dass die Gerichtsverhandlung, bei der er sich wegen Trunkenheit am Steuer, übersetzter Geschwindigkeit und Sachbeschädigung zu verantworten habe, laufend verschoben werde, sei «ziemlich nervig». Und natürlich, manchmal kämen die Bilder wieder hoch, die Bilder dieses verhängnisvollen Wochenendes vor acht Monaten, das so gut begonnen und das so grausam geendet habe.
16. September 2006, ein spätsommerlicher Samstagnachmittag im Letzigrund. Es laufen die letzten Minuten zwischen dem FCZ und dem FC Thun. Die Zürcher dominieren den Gegner und liegen mit 4:0 vorn. Kurz vor Schluss trifft auch noch die eingewechselte Nummer 11, der Stürmer Stanic, zum 5:0-Endstand. Der FCZ hat erneut gezeigt, wer der Meister ist im Land. Jubel auf den Rängen, Hochstimmung bei den Spielern. Ab unter die Dusche und auf zur Saturday-Night-Sause.
Kresimir Stanic, den die Kollegen «Kretsch» nennen, fährt in ein Waldhaus bei Kindhausen, wo sein Klubkamerad und Freund, der Mittelfeldspieler Almen Abdi, Geburtstag feiert. Auch andere FCZ-Spieler sind da und natürlich viele schöne Mädchen. Die Stimmung ist ausgelassen, Kretsch im Hoch. Er tut, was viele Gleichaltrige an solchen Feten tun: Er trinkt viel – Wodka, Red Bull, Alkopops, Bier. Gegen zwei Uhr in der Früh kommt Flaute in die Fete. Stanic spürt, dass genug gebechert ist. Er muss nach Hause, schnell. Ein Kollege, der FCZ-Ersatztorhüter David da Costa, fährt ihn zu seinem am Waldrand abgestellten Wagen. Stanic steigt ein, fährt los, macht Tempo, legt in Dübendorf sechs Metallpfosten flach, kommt in der Zürcher Hirschwiesenstrasse in einer Rechtskurve von der Strasse ab und kracht ungebremst in einen Findling. Kollege Da Costa, der hinter Stanic hergefahren ist, hält kurz an, sieht diesen leblos im Wrack liegen und sucht das Weite.
Vom Spitalbett aus tut Kresimir Stanic eine Woche nach dem Unfall öffentlich Busse. Er trage die alleinige Schuld und übernehme die volle Verantwortung, schreibt er in einem vom FC Zürich initiierten Brief an die Medien. Er habe einen grossen Fehler begangen, für den er sich schäme. Er habe seine Vorbildfunktion als Spitzensportler nicht wahrgenommen, seinen Arbeitgeber und die Fans enttäuscht und auch seine Mannschaftskollegen im Stich gelassen.
Das Schuldbekenntnis verfehlt seine Wirkung bei den aufgeregten Medien nicht: Aus dem verantwortungslosen Raser wird der sympathische Junge, der eine Dummheit begangen hat: Schwamm drüber, und gute Besserung!
Mit dem Ablass beginnt die Genesung. Kommt hinzu, dass der Heilungsprozess gemäss den Ärzten sehr positiv verläuft. Stanic ist zurück im Leben. Von diesem Augenblick an sei für ihn klar gewesen: «Ich bin nicht abgeschrieben, ich werde kämpfen und leiden, bis ich wieder in der ersten Mannschaft des FCZ spiele; mein Leben bleibt der Fussball.»
Mit 18 schon ganz oben
Kresimir Stanic ist der älteste Sohn kroatischer Einwanderer. Der Vater hat sich in dreissig Jahren Schuften auf Baustellen in der Schweiz die Knochen kaputtgemacht und bezieht eine IV-Rente. Die Mutter schiebt als Krankenschwester Nachtschichten. Der Bruder ist Maurer, eine Schwester absolviert das KV, die andere geht noch zur Schule. Stanics leben seit der Geburt Kresimirs in einer Mietwohnung, eine Tramstation vom Letzigrund entfernt.
Vater Stanic ist Fan des Stadtklubs. Als Kresimir 7 ist, bringt er ihn zum Training bei den Junioren. Am Wochenende nimmt er den Spross mit an die Spiele. Kresimir wird als Zuschauer ein «Südkurvler» und als Akteur auf dem Rasen zu einem förderungswürdigen Eigengewächs, dem früh eine Karriere als Fussballprofi prophezeit wird. Stanic spielt bald in der Schweizer U-16-Nationalmannschaft und beginnt eine KV-Lehre – die er nicht abschliessen wird. Als 18-Jähriger gibt er sein Debüt in der Nationalliga A.
Es ist geschafft, Fussball sein Leben. Aber kaum ganz oben angekommen zieht er sich einen Kreuz- und Innenbandriss im linken Knie zu. Nach Komplikationen muss er sich ein zweites Mal operieren lassen. Zwanzig Monate laboriert er an der Verletzung, kämpft sich aber zurück – «mit eisernem Willen», wie Mannschaftskollegen und Trainer sagen. Und so ist Kretsch der FCZ-Stürmer dabei im denkwürdigen Finale im Mai 2006 in der St.-Jakob-Arena, als der FCZ in der Nachspielzeit Basels Meisterträume zum Platzen bringt.
Kresimir Stanics Glück währt nicht lange. Der Autounfall im letzten September wirft ihn erneut zurück. «Warum ist das passiert, warum trifft es immer mich?», fragt Stanic und antwortet nach einigen Sekunden des Schweigens selbst: «Gottes Wege sind unergründlich.» Das sagt er ohne Anflug von Blasphemie, ohne sarkastischen Unterton. Wenn es um Gott und Glauben geht, kennt Stanic, der kroatisch-schweizerische Doppelbürger, keinen Spass.
Am kommenden Wochenende wird Kretsch mit einem Kollegen für ein paar Tage nach Kroatien in die Ferien fahren – «in meine Heimat», wie er sagt. Danach beginne die letzte Etappe auf dem Weg «zurück ins Leben», zurück zum Fussball. «Ich weiss, dass ich es schaffe», sagt Kresimir Stanic.
Es klingt wie eine Beschwörung.
«Der hat doch einen IQ von 0,1!»
Lucien Favre über Loddar