Beitragvon elmex_sensitive » 04.07.07 @ 23:18
Was Favre bei Hertha anders macht
Mit Charme und harter Hand heizt der Schweizer den Konkurrenzkampf an
Von Dirk Banse und Steffen Lüdeke
Der Schweizer Lucien Favre gibt seit elf Tagen die Kommandos auf Herthas Trainingsgelände
Die Spieler von Hertha BSC staunten nicht schlecht, als sie den Trainingsplatz betraten. Auf einem Hocker stand ein kleiner CD-Rekorder, aus dem Piepstöne und französische Worte drangen. Währenddessen maß Lucien Favre mit großen Schritten die Abstände zwischen den bunten Hütchen ab, die er zuvor aufgestellt hatte. Der eine oder andere Spieler konnte sich ob des Anblicks ein Schmunzeln nicht verkneifen. Nur wenige Minuten später verging den Profis aber das Lachen. Die Töne und Worte aus dem CD-Rekorder waren Anweisungen für einen Konditionstest, der die meisten Spieler an den Rand der Erschöpfung brachte. Spätestens jetzt wussten sie, dass mit dem neuen Trainer nicht zu spaßen ist.
Obwohl der drahtige Schweizer erst seit elf Tagen die Kommandos beim Fußball-Bundesligisten gibt, hat er sich schon Respekt verschafft. Favre ist freundlich und zurückhaltend im Auftreten, aber gnadenlos in der Sache. Wer seinen Ansprüchen nicht genügt, bekommt das ungefiltert zu spüren. Der einstige Abwehrchef Dick van Burik und zwei Probespieler hat er schon aussortiert, weitere werden folgen. Ins Trainingslager nach Österreich wird Favre in der kommenden Woche nur 22 Spieler mitnehmen. Das heizt den Konkurrenzkampf an.
Für den Neuanfang geholt
Die Vereinsführung beobachtet die Arbeit des 49-Jährigen mit vorwiegend positiven Gefühlen. Sie hatte den Meistertrainer vom FC Zürich geholt, um einen Neuanfang zu wagen. Genau das setzt Favre um, er bringt das bisherige Mannschaftsgefüge gehörig durcheinander. Unbeirrt bastelt er an einem Team, das die schlechte letzte Saison vergessen machen soll. Dazu gehört auch, dass sich kaum ein Profi eines Stammplatzes sicher sein kann. Favre hat seinen eigenen Blick. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, ob der Spieler alt oder jung ist, Verdienste hat oder bislang in der zweiten Reihe stand. Er muss nur in sein System passen. Favre will auf der Grundlage einer guten Athletik schnellen und offensiven Fußball spielen lassen.
Dementsprechend gestaltet er auch das Training. "Wir machen viel mit dem Ball. Der Trainer lässt uns immer wieder üben, wie wir uns als Mannschaft am besten verschieben und verhalten, um in Ballbesitz zu kommen", sagt Sofian Chahed. Favre treibt seine Spieler dabei immer wieder an. Der aus dem französischen Teil der Schweiz stammende Coach benutzt dazu noch seine Muttersprache. "Allez!" ist das derzeit am häufigsten zu hörende Wort auf Herthas Trainingsgelände. Für Mittelfeldspieler Kevin Boateng stellt das kein Problem dar. "Die Verständigung ist völlig okay. Er spricht gut Deutsch. Und die französischen und englischen Worte, die er benutzt, kann auch jeder verstehen." Favre bemüht sich aber, mehr und mehr Deutsch zu sprechen. Inzwischen begrüßt er die Spieler beispielsweise schon mit "Guten Morgen" statt "Bonjour".
Einsatz mit dem ganzen Körper
Wenn ihm die Worte fehlen, nutzt er seine Arme und Hände. Vor allem bei taktischen Anweisungen setzt er seinen ganzen Körper ein. "Er macht die Übungen vor. Man sieht, dass er ein ganz feiner Fußballer gewesen sein muss", sagt Andreas Schmidt. Die Spieler haben Respekt, obwohl oder gerade weil Favre kein Selbstdarsteller ist. Und Favre hat Respekt vor seinen Spielern. Deshalb siezt er sie auch. "Ich habe das schon immer so gemacht und werde das auch beibehalten, wenn ich die Mannschaft besser kenne."
Inzwischen sind sich Trainer und Spieler nähergekommen. Obwohl Favre die Übungseinheiten deutlich später beendet als seine Vorgänger, haben die Profis Spaß. "Wir machen schon viele taktische Sachen, und der Ball ist immer dabei. Das gefällt mir gut", sagt Pal Dardai.
Favre ist angekommen auf seiner neuen Trainerstation. Und vieles spricht dafür, dass Hertha mit ihm eine gute Wahl getroffen hat.
Aus der Berliner Morgenpost vom 5. Juli 2007