Michael Frey ist im Chaos gelandet – und schiesst trotzdem ToreDer traditionsreiche Fussballklub Fenerbahce Istanbul befindet sich in der vielleicht grössten Umbruchphase seiner Geschichte. Der Abstiegskampf ist näher als der Meistertitel. Aber seinem Schweizer Stürmer könnte es schlechter laufen.
Marco Ackermann 5.12.2018, 12:41 Uhr
Was war das doch für ein Theater, damals Ende August, kurz vor der Schliessung des internationalen Transferfensters. Michael Frey weigerte sich plötzlich vor einem Spiel, für den FC Zürich aufzulaufen. Der Berner Stürmer hatte nur noch ein Ziel: Er wollte den Wechsel in die Türkei ertrotzen, zum 19-fachen Meister Fenerbahce Istanbul.
Aus dem FCZ ertönte der Vorwurf, Frey habe die eigenen Interessen über jene des Teams gestellt – und schliesslich legte der Klub seinem Spieler keine Steine mehr in den Weg. Man liess ihn gehen. Und manch ein Fan mag sich gefragt haben: Wieso zieht es Frey in dieses unruhige Land, in diese von Schulden und Skandalen erschütterte Liga?
Fast wie in der WM-Barrage 2005Wie wüst die Fratze des türkischen Fussballs sein kann, hat Frey vor einem Monat erlebt. Im emotional aufgeladenen Derby gegen Galatasaray kam es zuerst zu Nickligkeiten, und dann, als das Spiel beim Stand von 2:2 schon abgepfiffen war, bildete sich im Mittelkreis eine Menschentraube, in der Vertreter der beiden Klubs aufeinander losgingen. Es waren Szenen wie aus dem Wilden Westen, die Tumulte erinnerten an das Barrage-Spiel der Schweizer Nationalmannschaft in der Türkei im Herbst 2005.
Der Schiedsrichter zückte nach Spielschluss gleich dreimal die rote Karte, und die Rangeleien hatten für beide Teams weitere Folgen. Auf der Seite von Fenerbahce wurde der Brasilianer Jailson mit der Höchststrafe von acht Spielsperren belegt. Der frühere spanische Internationale Roberto Soldado, ein Konkurrent von Michael Frey im Sturmzentrum, muss sechs Spielsperren absitzen.
Ja, es sind hektische Wochen, die Frey seit seiner Ankunft am Bosporus erlebt hat. Frey war kaum zwei Monate da, da wurde bereits sein Trainer Phillip Cocu freigestellt. Dies, obwohl der Niederländer erst im Sommer einen Dreijahresvertrag erhalten hatte. Die Resultate in der Meisterschaft waren allzu sehr unter den hohen Erwartungen geblieben. Nur: Mit dem Trainer Erwin Koeman, einem Landsmann Cocus, wurden die Resultate nicht besser. Der stolze Traditionsklub ist in der Süperlig immer tiefer gesunken, er liegt in der Tabelle unterdessen im 15. Rang, nur noch einen Platz entfernt von der Abstiegszone – als Zweiter der Vorsaison notabene.
Neuer Präsident, neue HoffnungFenerbahce Istanbul aus dem asiatischen Stadtteil Kadiköy befindet sich gerade in der vielleicht grössten Umbruchphase seiner Klubgeschichte – und Michael Frey ist mitten in diesem Chaos gelandet. Nach der Regentschaft des mächtigen Präsidenten Aziz Yildirim, die rund zwei Jahrzehnte angehalten hat, muss sich der Verein zuerst einmal wieder sammeln. Es drücken zentnerweise die Schulden. Unlängst war die Rede von Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 600 Millionen Franken. Das macht es für Fenerbahce schwierig, gute Spieler anzuziehen oder zu halten.
Die Hoffnung gründet darauf, dass der neue Präsident Ali Koc den Klub sanieren kann und sich dessen Investitionen nach und nach auszahlen. Sein finanzieller Background sollte gross genug sein: Die Koc Holding hat ein Milliardenvermögen aufgebaut und zählt zu den potentesten Unternehmen des Landes.
Michael Frey versucht derweil, Fuss zu fassen in Istanbul – und das scheint ihm immer leichter zu fallen. Aus den letzten acht Partien in Meisterschaft und Europa League, seit Ende Oktober, hat er immerhin fünf Tore erzielt. Mit dem französischen Star Mathieu Valbuena weiss er einen passsicheren Regisseur in seinem Rücken. Und mit Fenerbahce hat Frey erreicht, was auch seinem früheren Arbeitgeber FCZ gelungen ist: Sie alle stellten vorzeitig das Überwintern im Europacup sicher. Für Fenerbahce ist das die versöhnliche Note nach einem äusserst wilden Herbst.
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Tagi: "Bleibt noch eine Frage: Wer wird Meister?" Alain Nef: "Das kann ich nicht beantworten."
Tagi: "Geht Ihre Tendenz nicht auch in Richtung Basel?" Alain Nef: "2006 meinte ich das auch. Und dann kam es anders."