Beitragvon laissa » 09.08.17 @ 14:30
Hey, hier kommt Fredy
Seit Januar ist Fredy Bickel Geschäftsführer Sport bei Rapid Wien – es geht ihm gut mit dem Fussball, dem Leben und der Musik.
Thomas Schifferle
Die Toten Hosen röhren aus den Lautsprechern: «Hey, hier kommt Alex! / Vorhang auf – für seine Horrorschau!» In der Kurve der hartgesottenen Rapid-Fans steht auf einem Transparent: «Wir wollen die Veilchen leiden sehen.» Auf der Trainerbank sitzt Fredy Bickel und ist angespannt. Eine Beruhigungszigarette hat er hinter sich.
Es ist Derbytag in Wien, Rapid gegen Austria, Grosskampftag in Hütteldorf, dem alten Arbeiterquartier im Westen der Stadt. Hinter dem Stadion erhebt sich einer der grössten Gemeindebauten Wiens für 3500 Menschen. Zum 322. Mal spielen die Hütteldorfer und die Veilchen gegeneinander, nur in Glasgow sind zwei Stadtrivalen häufiger aufeinandergetroffen. «Ein Derbysieg kommt knapp hinter dem Meistertitel», sagt Bickel.
«Unsere Stadt – unser Verein» steht über der Tür, die auf den Platz führt. Bescheidenheit tönt anders. Rapid besitzt auch viel Geschichte. Eine neue Imagestudie sagt, 45 Prozent aller Fussballinteressierten in Wien seien Rapid-Fans, nur 14 Prozent würden zur Austria halten. Rapid hat seine Anhänger im ganzen Land. Ist Rekordmeister mit 32 Titeln. Und seit Anfang Januar der Arbeitgeber von Fredy Bickel als Geschäftsführer Sport.
Bickel spürte schnell sein Wiener Blut
Im vergangenen September musste Bickel bei YB gehen, vertrieben vom damaligen Verwaltungsrat Urs Siegenthaler, der allerhand zum Gerede beitrug, Bickel habe eine zu teure Mannschaft zusammengestellt. (Es ist nahezu jene Mannschaft, die jetzt in Bern von Presse und Fans gefeiert wird.)
Eigentlich wollte Bickel nach der Vertreibung aus seinem Berner Paradies nicht gleich wieder arbeiten. Der 52-Jährige wollte sich nach aufreibenden dreieinhalb Jahren bei YB erholen.
Dann aber kam Rapid und liess beim Werben um seine Dienste nicht locker. Bickel war schnell der Favorit der Verantwortlichen, und er selbst spürte schnell sein Wiener Blut, das er dank einer Grossmutter hat. Bei ihm ist es irgendwie auch kein Zufall, dass er nun in einem Haus lebt, in dem während des Zweiten Weltkrieges ein jüdisches Flüchtlingslager untergebracht wurde. Seine Grossmutter war Jüdin. So etwas versteht Bickel als Zeichen.
Hier, im 2. Wiener Bezirk, lässt es sich hervorragend leben. Der Augarten, ein Park, liegt Bickel zu Füssen. Einen Stock unter ihm wohnt Josef Hickersberger, ein alter Rapidler und früherer Nationaltrainer Österreichs.
Der dritte Mann an der Wand
Am Tag vor dem Derby sitzt Bickel auf dem Sofa, schaut sich im Fernsehen den Linzer ASK gegen St. Pölten an und vergisst vor lauter Begeisterung eine Flasche Wein im Gefrierfach. Auf einem Büchergestell stehen kleine Souvenirs aus seiner Berner Zeit, «Merci, Fredy», steht unter einem Bild von ihm. An der Wand hängt ein grosses Filmplakat von «Der dritte Mann», dem Film von Carol Reed.
Das Derby ist noch eine heiss-feuchte Nacht weg, und Bickel macht, was er so gerne macht: Er lässt Lieder laufen, die er auswendig kennt, von Georg Danzer, von S. T. S. (Steinbäcker, Timischl und Schiffkowitz), er fühlt sich wohl in Wien, mit dieser Musik, so wohl wie einst in Bern mit Patent Ochsner oder Züri West. S. T. S. singen: «Der hat wolln sei Glück probiern in der grossen fremden Stadt / Aus der Traum – zerplatzt wia Seifenblosn – nix is bliebn.» Bickel singt mit. Die paar Zeilen müssen für seine Zeit bei Rapid nichts bedeuten.
Sein erstes halbes Jahr war schwer. Die Mannschaft spielte nicht gut, die Angst vor dem möglichen Abstieg wuchs, gerade nach dem 0:3 Anfang April beim Tabellenletzten Ried. «Wir müssen mit der Mannschaft reden», forderten die aufgebrachten Fans, welche die Schmach miterlebt hatten, «wo geht das?» Es ging während der Heimfahrt auf einem Autobahnrastplatz, 400, vielleicht 500 warteten da. Drei sprachen in ihrem Namen und «lasen der Mannschaft die Leviten», berichtet Bickel. Sie sagten: «Es kann nicht sein, dass ihr als schlechteste Mannschaft Rapids in die Geschichte eingeht. Ihr dürft niemals absteigen.» Zeitungen schrieben, der Verein habe sich bei dieser Aktion unter Druck setzen lassen.
Rapid pflegt die Tradition
Zurück in Wien, entliess Bickel umgehend Trainer Damir Canadi. Das hatte nichts mit dem Auftritt der Fans zu tun, sondern mit dem Beschluss der Vereinsleitung, der wegen der wachsenden Kluft zwischen Trainer und Mannschaft schon vorher gefasst worden war. Canadi war der zweite Trainer in der letzten Saison, nach Mike Büskens, der sich ebenfalls nur fünf Monate gehalten hatte. Auf Canadi folgte sein Assistent Goran Djuricin, der Vater von Marco, dem heutigen GC-Stürmer. Bickel erzählt von ihm, seiner Herkunft aus einer Familie mit 13 Kindern, von den Tränen, die ihm, Djuricin, bei der Beförderung zum Cheftrainer kamen.
Rapid ist ein Verein, der die Tradition pflegt. Tradition heisst: Er lebt auch in der Vergangenheit. Gerhard Hanappi hiess das alte Stadion, bis es vor zwei Jahren als Allianz-Stadion neu erbaut wurde. Hanappi ist das, was in Zürich Köbi Kuhn ist oder in Basel Karl Odermatt. Der Platz vor der neuen Arena ist nach ihm benannt, in Zürich oder Basel käme es keinem in den Sinn, auf diese Art eine alte Legende zu ehren.
25 700 füllen das Stadion beim Derby. Es regnet. Im ersten Stock gibt es einen Logenraum für 1000 Gäste, im zweiten einen für 700 und im dritten einen für 600. Da hat sich Österreichs Teamchef Marcel Koller niedergelassen. Die Fussballgäste werden in Österreich zuvorkommend behandelt, auch an kleinen Standorten wie Mattersburg. Da gibt es zwar kein Dach über der Tribüne und hinter einem Tor gleich die Kuhwiese, aber dafür auch ein Zelt für 1500 VIPs.
Rapidler bleibt einer, solange das Auge sieht und ein Tropfen Blut durch die Adern fliesst.
Rapids Museum hatte im ersten Jahr nach seiner Eröffnung 20 000 Besucher. Die neuen Spieler erhalten das Leitbild des Vereins in die Hand gedrückt. Darin steht: «Seit jeher erkämpfen wir uns mit vollem Einsatz den Erfolg und geben nie auf. In guten wie in schlechten Zeiten leben wir unsere Leidenschaft und sind stolz, uneigennützig zum Ruhm Rapids beizutragen.» Das tönt fast so dramatisch wie die alte Rapid-Hymne, wo einer Rapidler sein will, solange das Auge sieht und ein Tropfen Blut durch seine Adern fliesst.
Nur Hans Krankl fehlt beim Derby, eine Ikone des Vereins wie Hanappi oder auch Ernst Happel. Er fläzt sich derweil auf einem Stuhl, als er beim TV-Sender Sky seinen Auftritt hat. Er ist nie mehr bei Rapid gewesen, seit er, heisst es, einen Kandidaten fürs Präsidentenamt unterstützte, der mit dem Auszug Rapids aus Hütteldorf spielte. Für alle Rapidler ist nur schon der Gedanke daran eine Todsünde.
Rapid geht nach 39 Minuten 1:0 in Führung. Torschütze ist Louis Schaub, einer der jungen, hoch talentierten Rapidler. Zu seiner Geschichte gehört der Tag im April 2003. Er sass im Auto, als sein Vater, der frühere Frankfurt- und Dortmund-Spieler Fred Schaub, tödlich verunfallte. Lange wurde er damit konfrontiert. Nach diesem Derby gibt es andere Themen: seine Tore, Austrias Aufstand, der Spielunterbruch, das 2:2.
Ein lautes und feuriges Derby
Die Hütteldorfer haben alles unter Kontrolle gehabt. Durch Schaub gehen sie nach knapp einer Stunde mit zwei Toren in Führung, sie haben danach drei Chancen für weitere Treffer. «Wenn wir das 3:0 machen, geht das Spiel 5:0 aus», behauptet Trainer Djuricin und fragt: «Warum kann man den Gegner nicht mal wegschiessen?» Die Wortwahl ist zweifelhaft, steht aber für seine Verärgerung, das Spiel nicht gewonnen zu haben.
Es ist ein lauter und feuriger Nachmittag im Stadion. Auf dem Platz gibt es Provokationen, fliegende Ellbogen und sonstige Grobheiten, «ein richtiges Derby», bilanziert Austrias Trainer Thorsten Fink, «alles ist drin». Seine Mannschaft verkürzt um ein Tor. Gleich danach klatschen die Rapid-Fans stehend die «Rapid-Viertelstunde» ein. Im Leitbild heisst es: «Sie ist Ausdruck unseres immerwährenden Siegeswillens. Wir treten mutig und selbstbewusst auf.»
Dummerweise für Rapid ist davon an diesem Sonntag in den letzten 15 Minuten nichts zu sehen. Die Mannschaft verkrampft sich und verliert einen Spieler durch Platzverweis. Austria gleicht aus. Die Rapid-Kurve tobt, Feuerzeuge und eine Fahnenstange fliegen auf den Platz. Die «Kronen Zeitung» wird anderntags von einem «Pulverfass» berichten. Der Schiedsrichter unterbricht für sieben Minuten. Austria vergibt danach sogar das Siegtor. «Es wäre des Guten zu viel gewesen», gibt Fink zu.
Bickel sitzt später mit Freunden im Businessclub, lässt sich von seiner Tochter Marillenknödel holen und von einer Kellnerin ein letztes Glas Weissen reichen. In einer ersten Aufwallung redet er davon, sie seien die Dümmsten. Im zweiten Moment sagt er: «Es ist das Schlimmste, so gegen Austria nicht zu gewinnen.»
(Tages-Anzeiger)